Was hat man in der Vergangenheit nicht Hässliches über das Verhältnis der Beiden zueinander geschrieben? Da entstand leicht der Eindruck, dass auf der einen Seite ein belesener, intelligenter, an vielen Dingen interessierter Mann stand, auf der anderen Seite Frau, hausbacken, langweilig, dumm – kurz, zwei Menschen, die ein Verhältnis, wenn sie auch Mutter und Sohn waren, hatten, zueinander hatten, das man nur noch als eine erzwungene Symbiose zwischen Katze und Hund bezeichnen kann.
Doch war es wirklich so? Gab es nicht vielmehr Gerüchte und Gemeinheiten, die gerne hinter vorgehaltener Hand erzählt wurden, um in erster Linie den Ruf des Königs zu schädigen?
Dabei hatten Mutter und Sohn viel mehr gemeinsam, als es beim ersten Blick erscheint.
Da wäre als Erstes das Aussehen des Königs. Das hatte er eindeutig von seiner Mutter geerbt, denn sie war eine, wenn auch klein und zierlich, engelhafte Schönheit. Ihre schlanke, Gestalt, die schwarzbraunen Haare, die stahlblauen Augen, das fein geschnittene Gesicht – Prinzessin Marie gefiel ihrem Schwiegervater, König Ludwig I. so außerordentlich gut, dass er, als passionierter Kenner von erlesener Frauenschönheit, sogleich Stieler den Auftrag gab, seine Schwiegertochter zu malen. Das Portrait Prinzessin Maries kann noch heute in Schloß Nymphenburg, in der Schönheitsgalerie, besichtigt werden:
https://de.wikipedia.org/wiki/Marie_...of_bavaria.jpg
Zweitens die Lust und Freude an der umfangreichen Privatkorrespondenz. König Maximilian, der oft von München abwesend war, schrieb seiner Frau nachweislich 243 Briefe, seine Frau beantwortete sie alle und es liegt die Vermutung nahe, dass sie ihm weitaus mehr Briefe schrieb. Mit Dutzenden von liebevollen Briefen erfreute sie auch ihre Kinder, außerdem hielt sie den Briefkontakt zu zahlreichen anderen Personen und wurde deshalb die „schreibselige Königin“ genannt. Sie zeigte sich dabei als sprachgewandte und geschickte Verfasserin, die stets in der Lage war, den richtigen Ton zu treffen.
Ihr Sohn Ludwig war ebenfalls ein eifriger Briefeschreiber, der selbst flüchtige Bekannte mit zahlreichen Briefen beehrte. Sein Briefstil war mitunter poetisch, manchmal etwas schwülstig und er gab sich Mühe, die Empfänger mit kleinen, selbst verfassten Gedichten zu erfreuen.
Zum Dritten hatten Mutter und Sohn ein großes soziales Engagement. Königin Marie gründete zahlreiche Wohltätigkeitsvereine, trat für die Abschaffung der Kinderarbeit ein und gründete den Frauenverein vom Roten Kreuz. Ihre Beispiel prägte das Tun ihres Sohnes nachhaltig.
Viertens war ihnen die Liebe zu den Bergen gemeinsam. Als Marie zum ersten Mal die bayrischen Alpen sah, war sie restlos begeistert. Mehr noch: sie erfand ein praktisches Kostüm, dass es ihr ermöglichte, nicht nur als Bergwanderin, sondern auch als Bergsteigerin aktiv zu sein, denn unter ihrem wadenlangen Rock trug sie Männerhosen, für damalige Zeiten unerhört! Sie unternahm Ausflüge nach Pinswang, Reutte, ins Lechtal, zur Ehrenberger Klause, zum Stuibenfall, den Plansee, nach Oberammergau und nach Partenkirchen. 1854 bestieg sie den Watzmann und nach dem Tod ihres Mannes die Zugspitze, was er ihr zu Lebzeiten verboten hatte. Ihr privates Refugium war Elbigenalp, ein eher einfaches Haus, das als Stützpunkt für Wanderungen im Lechtal prächtig geeignet war. Mitunter unternahm sie sogar im nächtlichen Bergwinter Spaziergänge.
Ihre Söhne nahmen sie und ihre Mann schon als Kinder mit, später, dementsprechend ausgerüstet, begleiteten sie ihre Eltern auf den Wanderungen. Die Königin gründete sogar den „Alpenrosen-Orden“ dessen Großmeistererin sie war.
Ist es da ein Wunder, dass sich ihr ältester Sohn, Ludwig, unwiderstehlich zur Bergwelt hingezogen fühlte? Das Beispiel seiner Mutter hatte ihn von frühester Kindheit an geprägt. Als ganz junger König, im Jahr 1864, schrieb er seiner Mutter, dass er sich im Gebirge so frei wie ein Adler fühle und es sehr bedauere, dass sein Vater nicht hier sein könne.
Fünftens: Mutter und Sohn verfügten mitunter über ein heftiges Temperament, das auch der Umgebung auffiel. Ludwig wurde des öfteren von seiner Mutter kritisiert, so dass bei den Umstehenden er Eindruck entstand, der König sei immer noch ihr kleiner Ludwig, der ihr noch am Schürzenband hinge. Das ging sogar einmal soweit, dass Königin Marie, sie hatte ihren Sohn über mehrere Tage besucht, regelrecht wütend wurde. Ihr Sohn hatte sich zwar um sie gekümmert und ihr eben auch versprochen, sie am Tag ihrer Abreise zum Bahnhof zu begleiten. Der Wagen stand bereit, die Königin wartete und wer eben nicht erschien, war ihr Sohn Ludwig. Der hatte nämlich wieder einmal eine nächtliche Ausfahrt unternommen und kam nun sehr schlecht aus dem Bett. Seine Mutter wartete über eine Stunde und sie schimpfte, wie er mit ihr umginge, andere Kinder würden es besser machen, usw.. Als der König schließlich doch noch kam, küsste er seiner Mutter immer wieder die Hand, benahm sich sehr fürsorglich und begleitete seine Mutter, die sich schließlich beruhigt hatte, zum Bahnhof.
Wenn sich der König über seine Mutter ärgerte, nannte er sie „preußische Prinzeß“, die „Witwe meines Vorgängers“, sogar einmal „dumme Gans“. Das wurde von der Umgebung gierig aufgeschnappt, weitererzählt und breitgewalzt.
Sechstens: der König und seine Mutter verfügten über eine robuste Gesundheit, abgesehen vom Gelenksrheumatismus, an dem die Königin und der König schon in jungen Jahren litt. Dazu kamen bei ihm Kopf- und Zahnschmerzen, sowie ein Bruch in der Leistengegend.
Siebtens: der König und seine Mutter kamen auf weite Strecken gut miteinander aus, viel besser, als im Allgemeinen angenommen wird:
- Der König wollte mit seiner Mutter in den ersten Regierungsjahren nach Jerusalem und Rom reisen. Das scheiterte aber, weil er in der Zwischenzeit sehr viele Befugnisse hätte abgeben müssen, so das dies faktisch einer Entmachtung gleich kam.
- Er beschenkte seine Mutter von Kindheit an sehr liebevoll, bedachte sie zunächst mit kindlichen Geschenken, später mit Schmuck und Juwelen. Er vergaß nie ihren Geburtstag, nie das Weihnachtsfest und erfreute sie mit allerlei Aufmerksamkeiten.
- Er lud sie immer wieder nach Hohenschwangau ein und sogar am 15. Oktober 1885 nach Neuschwanstein. Stolz zeigte er ihr, wie weit das Schloß gediehen war, eine Geste, die nur wenigen Menschen vorbehalten war.
- Immer, wenn sich der König in München aufhielt, eine gewisse Zeitspanne im Jahr hatte er in der Residenz Anwesenheitspflicht, besuchte er mit seiner Mutter die Mitternachtsmesse in der Frauenkirche. Obwohl er offiziell den Übertritt seiner Mutter zum Katholizismus missbilligt hatte, so verband sie doch die gemeinsame Konfession. Der Kirchenbesuch wäre auch niemandem aufgefallen, bis der König eines Tages seinen Regenschirm vergessen hatte. Bis dahin hatte er, ein älterer Herr mit seiner Mutter, unerkannt am Gottesdienst teilgenommen.
- Der König schrieb seiner Mutter im Laufe seines Lebens weit über 200 Briefe.
- In Chapman-Hustons Buch habe ich einige davon, wenn auch auf Englisch, lesen können. Er berichtet ihr von seinen Aufenthalten ihm Gebirge, wie er sich dabei fühlt, was er fühlt, später auch immer wieder von seinen heftigen Zahnschmerzen. Er berichtet seiner Mutter von den Behandlungen und dankt ihr für ihr Anerbieten, ihn zu besuchen, bittet sie aber, zu Hause zu bleiben. In späteren Briefen spürt man, wie er seine Mutter immer mehr ins Vertrauen zieht, sie bittet, aber niemandem zu sagen, wie schlecht es ihm ginge. Auch die finanzielle Situation wird erwähnt, worauf ihm seine Mutter, zur Deckung seiner Schulden, sofort ihren gesamten Schmuck anbietet, was Ludwig aber ablehnt.
Bemerkenswert ist der folgende, von Chapman-Huston überlieferte, letzte Brief, den der König am 1. Juni 1886 – sechs Tage vor seinem Tod! – von Schloß Linderhof aus als dankbarer und liebevoller Sohn der Mutter schrieb:
„Liebe Mutter!
Herzlichen Dank für Deinen lieben Brief und die Neuigkeiten, die er enthielt. Da ich dieses Jahr außergewöhnlich lange in Hohenschwangau war, und erst am 11. Mai von dort aufgebrochen bin, fuhr ich nicht während dieses Monats zurück – was ich sonst gewöhnlich tue – sondern erst heute, am 1. Juni. Ich werde ein paar Wochen hier sein und dann wahrscheinlich Ende Juli oder Anfang August wie üblich. Daß Du froh bist, nicht in München zu sein, kann ich gut verstehen, es ist so grässlich dort, besonders im Sommer. Es war sehr schön auf dem Hochkopf mit strahlendem Mondschein, und ebenso in Linderhof. Ich hoffe, dass Du einige schöne Sommertage in Elbigenalp hast; ich kann nur zu gut verstehen, dass Du nicht in die Stadt fahren möchtest, während Königin Isabella auf Besuch dort ist, aber ich denke, sie wird gleich nach der Entbindung ihrer Tochter wieder abreisen.
Ich küsse Deine Hand, liebe Mutter und bin immer, in innigster Liebe,
Dein dankbarer Sohn Ludwig“
Der Tod ihres Sohnes am 13. Juni 1886 brach Königin-Mutter Marie das Herz. Nicht einmal drei Jahre später, am 18. Mai 1889, starb sie selbst auf Schloß Hohenschwangau.
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