Um es gleich im Vorab zu sagen: ja, ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen, den Mantel des Königs und zwar in der Ausstellung "Götterdämmerung" im Jahr 2011 auf Herrenchiemsee.
Ein imposantes Kleidungsstück, schwerer Wollwalk, also Loden, anthrazitgrau, abgesetzt mit blausschwarzem Samt und überzogenen Knöpfen. Allerdings, und das kann man selbst nach der Restaurierung von Textilhistorikern sehen, arg in Mitleidenschaft genommen: die Beschläge sind abgestossen, die Knöpfe abgegriffen und im Stoff finden sich Löcher und Flecken. Einschußlöcher? Wasserflecken? Das wäre die Sensation! Nein, da muß ich enttäuschen, denn bei näherem Hinsehen handelt es sich um ganz gemeine Mottenlöcher und die Flecken stammen aus unsachgemäßer Lagerung.
Der Mantel wurde Anfang der 80iger Jahre von einer Privatperson an die Bayrische Schlösserverwaltung übergeben. Es war nachvollziehbar, dass der Mantel vom König getragen sein mußte, denn er entspricht vom Modell und Größe her dem Mantel, den der König auf späteren Fotografien trug.
http://www.burgerbe.de/wp-content/up...odenmantel.png
http://images.zeno.org/Fotografien/I/big/PHO00069.jpg
https://www.br.de/themen/bayern/inha...?version=d1494
Aber nicht nur das: eindeutig ist das Etikett "Fritz Schulze/München" und es ist bekannt, dass die sämtliche Garderobe für den König in diesem Geschäft angefertigt wurde.
Was ist nun aber mit jenem geheimnisvollen Mantel des Königs, mit den ebenso geheimnisvollen Einschusslöchern?
Es gibt da diese Erzählung eines Münchner Bankangestellten namens Detlev Utermöhle. Dieser hatte in einer eidesstattlichen Versicherung berichtet, dass seine Mutter ihn als Zehnjährigen in den fünfziger Jahren zu Kaffeekränzchen im Nymphenburger Schloss mitgenommen hatte. Im Haushalt der Josephine Gräfin von Wrba-Kaunitz, der langjährigen Vermögensverwalterin der albertinischen Linie des Hauses Wittelsbach, habe er dann einen ominösen Mantel besichtigen dürfen. Die Reichsgräfin habe diesen aus einer Truhe im dunklen Flur hervorgezogen und feierlich erklärt, es sei der Mantel Ludwigs aus der Todesnacht. "Oben rechts und unten links waren Einschusslöcher, das weiß ich hundertprozentig", hatte Utermöhle zu Protokoll gegeben. Die Gräfin und ihr Mann waren dann 1973 an den Folgen eines Zimmerbrandes gestorben, bei dem die Einrichtung beinahe vollständig zerstört und der Mantel praktischerweise gleich mitverbrannt war.
Wie soll besagte Dame nun in den Besitz des Mantels gekommen sein? Da wird es richtig abenteuerlich: angeblich wurde noch in der Todesnacht des Königs ein Paket geschnürt, dass neben dem Mantel des Königs noch seine Jacke, seine Weste, sein Hemd, natürlich mit den Einschusslöchern, bzw. großen herausgeschnittenen Dreiecken, sowie andere Textilien enthielt. Die Kleidung des Königs enthielt angeblich seine eingestickten Insignien. Das Paket habe man zuerst in der Küche von Schloß Berg versteckt, dann kam es in den Besitz von Ludwig Ferdinand, eines Cousins des Königs. Als dieser im Jahr1949 verstorben war, wollte ein Schloßbediensteter das Paket mitsamt Inhalt im Heizungskessel im Keller des Schlosses verbrennen. Er wurde dort vom Chauffeur der Gräfin überrascht, der dem Bediensteten das Paket abnahm und es der Gräfin überbrachte.
Zwischenzeitlich wurde die Gräfin 1955 vom Haus Wittelsbach entlassen und wegen Veruntreung angeklagt. 1956 wurde sie vom LG München zu zwei Jahren Haft und einer Geldstrafe von 200.000 Mark verurteilt.
Als die Gräfin 1960 in die Schweiz floh, um sich der drohenden Haftstrafe zu entgehen, beauftrage sie angeblich ihren Chauffeur, die Kleidungsstücke, nebst einigen Briefen des Königs, im Waschhaus von Nymphenburg zu verbrennen, was jener dann auch tat.
Im Jahr 1972 berichtete jene Gräfin einer Zeitung, sie habe ihren Fahrer beauftragt, die Kleider mit dem Einschussloch, es waren bis jetzt immer zwei Löcher, zu verbrennen. Angeblich behielt sie aber Hemd und Mantel zurück.
Als die Gräfin und ihr Mann 1973 nach dem schweren Wohnungsbrand in eine Klinik kamen, wo sie auch verstarben, sei in der Wohnung der Gräfin eine vom Haus Wittelsbach gesandte Person erschienen, die das Paket mit den Kleidungsstücken des Königs abgeholt habe und somit seien diese Kleidungsstücke endgültig verschwunden.
Da fallen doch gleich Widersprüche auf:
- die Kleidung des Königs sollte angeblich 1949 von einem Bediensteten verbrannt werden
- 1960 wurde die Kleidung des Königs, bis auf Hemd und Mantel, vom Chauffeur verbrannt
- 1973 wurde das Paket mit den Kleidern des Königs von einer geheimnisvollen Person abgeholt
Außerdem: der Mantel des Königs, zu sehen in der Ausstellung, enthielt keinerlei gestickte Insignien, sondern nur das Etikett der Firma Schulze/München.
Folgende Fragen stellen sich:
- trug der König in der Todesnacht einen dunklen Wintermantel oder doch einen hellen Sommermantel?
- warum wurde der Mantel, sollte er diese Einschusslöcher/Einschussloch, gehabt haben, nicht sofort nach seinem Tod vernichtet? Die Bootshütte, ein verräterisches Beweisstück, wurde sofort abgerissen!
- Otto Schleussinger, ein Zeitzeuge, sah den nassen Mantel des Königs in der Garderobe von Berg aufgehängt, ihm fiel am Mantel aber nichts bemerkenswertes auf
- warum hat niemand in der Folgezeit den Mantel fotografiert, in einem Safe/bei einem Notar, bzw. Rechtsanwalt hinterlegt?
- warum ist, zumindest nach dem 2. Weltkrieg, niemand mit den Beweisstücken an die Öffentlichkeit gegangen?
- wie soll Kleidung, die völlig durchnäßt ist, Loden benötigt, um richtig zu trocknen, mehrere Tage, noch in der gleichen Nacht verpackt worden sein? Damals gab es nur Packpapier, keine Plastikfolie, bzw. -tüten. Dieses ominöse Paket wäre innerhalb von Minuten durchgeweicht gewesen.
Aber das ist oft ein großes Problem mit Zeitzeugen, sie haben etwas gesehen, in dem Fall einen Mantel, der wohl einem sehr großen Mann gehört hat. Er war in der Art gearbeitet, wie ihn der König trug, das seinerzeit bekannte "Modell München". Der Mantel hatte evtl. Flecken und Löcher, er wurde angeblich erst im Jahr 1949 entdeckt. Dann werden aus Lagerungsspuren Wasserflecken, aus Mottenlöchern, die vom Mottenfraß ausgefranst sind, Einschusslöcher. Und so entwickelt sich eine Geschichte, die immer weiter anwächst. Um dann endlich unangenehmen Fragen oder Nachforschungen zu entgehen, kommt eine unbekannte Person ins Spiel, manchmal auch mehrere, die natürlich im Auftrag einer hohen Persönlichkeit handeln, und entwenden das Beweisstück auf Nimmerwiedersehen.
Somit ist der immer wieder durch die Presse geisternde Mantel des Königs mit den Einschusslöchern/dem Einsschussloch kein Beweis. Er ist eine Vermutung, eine Annahme.
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