Donnerstag, 9. August 2018

König Ludwig II. Tod - ein vertuschter Kriminalfall? - 39. Teil

Version 2

Dr. Gudden sitzt nach dem Mittagessen mit Dr. Müller, Professor Grashey und Baron Washington plaudernd zusammen. Da kommt Stabskontrolleur Zanders ins Zimmer und erklärt sichtlich bedrückt: "Ich bin zur Audienz beim König befohlen. Es ist mir schrecklich zumute. Ich weiß nicht, ob ich hingehen soll."
Er vermutet, die Herren werden ihm abraten, aber Gudden sagt: "Gehen Sie nur. Es ist nicht so schlimm."
Gudden bittet Zanders jedoch um sein Ehrenwort, mit dem König keinesfalls über eventuelle Fluchtpläne zu reden. Zanders verspricht dies und begibt sich zu Ludwig. Die Gesellschaft hebt die Tafel auf und geht auseinander. Man will sich zum Kaffee wieder im Kavaliershaus treffen.

Diese Version stammt von Dr. Müller, der ebenfalls zum Team der behandelnden Ärzte gehörte. Es ist bemerkenswert, dass Dr. Müller als einziger Arzt nach der Unglücksnacht keinen einträglichen Posten erhielt und sich mit einer Praxis selbständig machte. 
Es ist auffällig, dass Zanders angeblich von alleine kommt. Der König war in seinen zwei Zimmern interniert und konnte gar nicht mit so einfach mit Zanders sprechen. Die Wünsche und Bitten des Königs wurden von den Pflegern, in dem Fall Mauder an den leitenden Arzt übermittelt, bzw. wenn der König mit dem leitenden Arzt, hier Gudden, sprechen wollte, ging der Nachrichtenweg über Mauder. 
Undenkbar, dass Zanders, der jahrelang in den Diensten des Königs stand und zweifellos die Launen seines Herrn kannte, sich so ängstlich geäußert haben soll. 


Version 3

Nach dem Essen lässt der König Dr. Gudden zu sich rufen und bittet ihn, mit Stabskontrolleur Zanders sprechen zu dürfen.
Gudden lässt Zanders sofort kommen und teilt ihm mit:"„Herr Stabskontrolleur, der König bittet mich in einer Weise, Sie zu ihm einzulassen, dass ich außerstande bin, es ihm noch länger abzuschlagen. Gehen Sie auf eine halbe Stunde zu ihm hinein, aber geben Sie mir vorher Ihr Ehrenwort, dass Sie nicht etwa von Fluchtplänen sprechen oder sonst ihm Hoffnung auf Befreiung erwecken".

Gegen 14.30 Uhr meldet Diener Mauder Zanders beim König an, nach einigen Minuten darf er eintreten. 
Als Ludwig ihn sieht, springt er auf, seine dunklen Augen leuchten vor Tatkraft, sein Schritt ist energisch. Er kommt auf ihn zu, mit blitzenden Augen, lebhaft wie in seinen besten Tagen – ein ganz anderer als 48 Stunden zuvor.
Ludwig zeigt Zanders die Vorrichtungen in seinen beiden Zimmern, die verschließbaren Fensterriegel, die Gucklöcher in den Türen, alles, was ihm zeigt, dass man ihn für tobsüchtig hielt:
"Diese Vorkehrungen sind doch ganz sinnlos, glaubt man denn, dass ich mich umbringen will? Das ist doch lächerlich. Ich weiß gar nicht, warum ich mich töten soll."
Nun erzählt er Zanders die Erlebnisse der letzten Tage und fragt ihn:
"Glauben Sie, dass man mich über ein Jahr noch ebenso gefangen halten wird wie heute?"
Zanders versucht ihn zu beruhigen:
"Vielleicht bedarf es viel geringerer Zeit, um Majestät von dem Nervenleiden herzustellen. Dann wäre kein Grund mehr vorhanden, Majestät in ärztlicher Behandlung zu behalten."
Ludwig überzeugt das nicht:
"Glauben Sie das wirklich? Aber der Appetit kommt beim Essen. Mein Onkel Luitpold wird sich an das Regieren gewöhnen und soviel Gefallen daran finden, dass er mich nie wieder herauslässt."
Zanders antwortet darauf nicht und der König wechselt das Thema:
"Wieviele Gendarmen sind wohl im Park, um mich zu bewachen?"
Zanders: "Sechs bis acht, Majestät."
Ludwig: "Würden sie gegebenen Falles auf mich schießen?"
Zanders: "Wie können Majestät das denken?"
Ludwig: "Haben sie scharf geladen?"
Zanders. "Sie haben gar nicht geladen, Majestät."
Ludwig: "Meine Gefangenschaft muß für immer sein, weil die, die mich jetzt gefangen halten, ja meine Rache fürchten müssen. Man wird mich deshalb auch töten."
Zanders: "Aber Majestät, Prinz Luitpold ist doch ein ehrenhafter Mann."
Ludwig: "Ja, das sieht man an dem, was geschehen ist. Und selbst, wenn er es nicht tut, werden es seine Nachfolger tun."

Der König zieht Zanders in eine Fensternische, als wollte er das Blickfeld seiner Beobachter an den Türen meiden. Zanders bemerkt, dass der König ihm etwas besonderes mitteilen will und erinnert sich an das Ehrenwort, das er Gudden gegeben hat:
"Ich bitte Majestät, mich gnädigst entlassen zu wollen."
Doch Ludwig möchte trotzdem mit ihm sprechen.
Zanders flehend:
"Bitte Majestät, wollen mich gnädigst entlassen."
Ludwigs Blick nimmt plötzlich jenen finsteren Ausdruck an, den er immer hat, wenn sein Misstrauen gegen jemanden erwacht. Er sagt nichts mehr, sondern gibt Zanders das Zeichen der Entlassung: "Danke, Zanders."
Zanders Besuch hat etwa 35 Minuten gedauert und der König geht anschließend mit festen Schritten im Zimmer auf und ab.


Bei dieser Version spricht vieles dafür, dass sie wahr ist.

Allein das Erstaunen von Zanders, dass er den König ganz anders vorfindet: einen wachen, energischen Mann, der sich seine entwürdigenden Situation ganz bewusst ist.

Zuerst kommt eine Art "Spiel", bevor die Fragen kommen, deren Antworten dem König wirklich wichtig sind. Er weiß nun, dass zwar Gendarmen im Park sind, aber es sind im höchsten Fall acht Mann. Und diese acht Mann sind nicht auf einer Stelle, sondern sie patroullieren den langgestreckten Park, der dicht bewachsen ist, keine geraden Pfade hat und überdies die Gefahr besteht, dass Einheimische in den Park eindringen, um den König zu befreien. Sie würden auch nicht auf ihn schießen, unvorstellbar, was da passieren könnte, und sie haben nicht geladen, wenigstens glaubt Zanders das.

Dem König ist auch klar, dass er entweder auf unbestimmte Dauer interniert sein wird, bzw. beseitigt werden soll. Denn auch er hat Freunde im weitverzweigten Königshaus, er könnte auf ganz legale Weise Hilfe bekommen, indem Anwälte, welche die Freund einschalten, gerichtlich Zutritt zum König erzwingen, um ihn anwaltlich zu vertreten, und andere Gutachter einschalten. Da es sich um einen Staatsstreich handelt, stehen die Chancen bestens, dass der König sofort ein freier Mann ist.
Was dann folgen würde, ist ebenso klar: eine Anklage wegen Hochverrats, darauf stand seinerzeit die Todesstrafe, ohne Ansehen der Person.

Dass für diesen Abend etwas geplant ist, geht schon daraus hervor, dass Richard Hornig mit seinem Bruder und anderen Freunden in Ufernähe kreuzt. Der König, dem man ein Fernglas gestattete, konnte sie beobachten und sehen: Hilfe stand bereit. 
Zander sagt zwar, dass er sich an sein Ehrenwort erinnerte und sich in keine Fensternische ziehen lassen wollte, aber wer weiß, was wirklich gesprochen wurde, als der König die ganzen "Sicherheitsvorkehrungen" zeigte? 
Der König machte zwar bei der Verabschiedung von Zanders ein finsteres Gesicht, aber man sollte nicht vergessen, dass er ein Meister der Täuschung sein konnte, wenn er wollte. Sein fester Schritt, mit dem anschließend seine "Wanderung" durch das Zimmer aufnahm, zeigt, das er entschlossen war, zu fliehen, egal, ob Zanders jetzt mithalf, indem er ein Codewort mitteilte, oder nicht.

Die ganze Erzählung von Zanders zeigt, auch, dass der König seinen Schock über die Gefangennahme überwunden hatte und ganz klar erkannte, was da gespielt wurde. Der Verdacht der geplanten Tötung ist nicht von der Hand zu weisen, da der König in einem ständig schwelenden Streit mit dem luitpoldschen Zweig lag und offensichtlich die Gefahr der Flucht des Königs, bzw. seiner Befreiung bestand. Außerdem gab es für den König noch den Weg, über Anwälte und Gutachter seine Freiheit zu erlangen und die Täter zu bestrafen. 
Außerdem: warum wird immer nur der Selbstmord des Königs in Betracht gezogen? Weil er vor seiner Gefangennahme solche Gedanken äußerte? Als er dann in Berg ernüchtert war, wollte er etwas rein menschliches: Rache.

König Ludwig II. Tod - ein vertuschter Kriminalfall? - 38. Teil

Mittlerweile ist es 13.00 Uhr und man erzählt sich, die Uhr der St. Cajetans – Hofkirche hätte anstatt einmal dreizehnmal geschlagen. Ein unheilvolles, böses Vorzeichen!

Am Schloß erscheinen einige Reporter, welche die üblichen Fragen nach dem Befinden des Königs stellen. Sie werden von Bezirksamtmann v. Wobel abgefertigt.
Zwischenzeitlich telegrafiert Stabskontrolleur Zanders einen Kurzbericht an den nach München abgereisten Kurator Graf v. Holnstein: "Es herrscht Ruhe und Ordnung. Von 11 bis 1 Uhr Mittag Spaziergang im Park mit Obermedizinalrat Gudden. Gehorsamst Zanders."

Eine kurze Erläuterung: ein Stabskontrolleur ist nichts anderes als der Oberstküchenmeister. Er leitet die Hofküche, koordiniert das Personal, verwaltet das Geld und rechnet ab. 

Stabskontrolleur Friedrich Zanders steht seit vielen Jahren als Oberstküchemeister in den Diensten des Königs und hat ihn auch auf seiner letzten Reise in die Schweiz, die der König zusammen mit dem Schauspieler Kainz unternahm, begleitet. Er gehört zum engsten Gefolge des Königs, genießt sein Vertrauen und wohl auch seine Freundschaft.

Der König ruft nun also Zanders zu sich und es gibt über den Ablauf gleich drei Versionen.
Die erste erscheint in der "Neue freie Volkszeitung", die zweite stammt von Dr. Müller und die dritte ist von Zanders selbst überliefert und somit diejenige, die der Wahrheit am ehesten entsprechen dürfte. Doch man mag selbst urteilen….

Erste Version

Der König verlangt nach seinem Diener Mayr. Mauder sagt ich, dass dieser nach München abgereist sei. Darauf bittet der König: "Dann schicken Sie doch Zanders zu mir, ich habe ihn heute schon gesehen!"
Mauder sucht Gudden auf und teilt ihm den Wunsch des Königs mit. Doch Gudden meint: "Das geht nicht, das regt den König auf. Zanders ist dem König ein ergebener Beamter – wer weiß – sagen sie, er sei eben nach München – oder nein, sagen Sie lieber, Zanders sei heute infolge verschiedener Kommissionen nicht abkömmlich, werde sich aber bei allernächster Gelegenheit Seiner Majestät vorstellen. Ich werde inzwischen Gelegenheit finden, mich mit dem König in dieser Sache zu besprechen."
Mauder bringt dem König diesen Bescheid. Dieser hört ihm zwar gelassen zu, sagt dann aber leicht verärgert: "Sagen Sie Dr. Gudden, es sei mein intensiver Wunsch, Zanders zu sprechen, ich habe ihm - , doch das geht Sie nichts an, gehen Sie und melden Sie ihm die Sache nochmals!"
Mauder folgt dem befehl. Gudden reagiert ärgerlich, lässt dann aber Zanders kommen. Als der erscheint, sagt Gudden freundlich:
"Lieber Herr Stabskontrolleur, denken Sie sich, Seine Majestät besteht darauf, Sie sehen zu wollen. Er hat Sie heute vom Fenster aus gesehen und wünscht Ihren Besuch. Ich kann und will mich nicht Allerhöchstdessen Wunsch, oder sagen wir, offen gesprochen, dessen Laune, widersetzen, - meine Pflicht als Arzt verbietet es zwar, indes heute ist Pfingstsonntag. Gehen Sie hinüber Herr Stabskontrolleur, doch ich muß Sie dringend bitten, vermeiden Sie jedes Gespräch, das auf etwaige Pläne des Königs wegen Ortsveränderung oder Reisen abzielt, ignorieren Sie jede darauf abzielende Bemerkung über derartige Wünsche oder ähnliche; bei seiner Majestät darf noch keinerlei Hoffnung erweckt werden auf selbständige Verfügungen. Sie verstehen mich, und ich muß Sie auch auf Ehrenwort verpflichten, meiner Anordnung nachzukommen und die Unterredung baldmöglichst zu beenden; nur dann kann ich Sie einlassen, - bedenken Sie lieber Herr Stabskontrolleur, welche Verantwortung ich hier übernommen habe."
Zanders gibt Gudden sein Ehrenwort und begibt sich zum König.

Version eins liest sich zunächst so, als wäre Gudden nicht nur vorsichtig, sondern auch fürsorglich. So weit, so gut.
Als nächstes taucht die Frage auf, woher die Zeitung die Informationen für einen derart detaillierten Bericht bekommen hat. Von den anderen Ärzten, von Mauder, von Zanders selbst? Von allen zusammen? Es lässt sich leider nicht mehr ermitteln.
Gehen wir ins Detail: da ist zunächst der Wunsch des Königs nach seinem vertrauten Kammerdiener Mayr. Das ist genau jener Mayr, der zuerst für das zu erstellende Gutachten über König nichts aussagte, dafür aber später, als sich die Ärztekommission vor dem Landtag rechtfertigen musste, dem sog. "Totengericht", umso mehr erzählte. Er sei misshandelt worden, musste ständig eine Maske tragen, etc., ect.. 
Mayr ist aber bereits um 10.35 Uhr von Hofrat Klug nach München zurückbeordert worden, mit den Vermerken, "er solle das Nöthige mitbringen", sowie dem dreimal rot unterstrichenen Vermerk "dringend". Mayr muß das Telegramm sofort bestätigen. Das Telegramm muß von Bedeutung gewesen sein und es ist bis heute nicht bekannt, was mit dem "Nöthigen" gemeint war.

Dann will er mit Zanders, einem vertrauten und loyalen Beamten, sprechen. Gudden will dies aber nicht und zuerst mit dem König darüber sprechen.
Der König nimmt die abschlägige Antwort nicht hin und schickt Mauder nochmals zu Gudden, da es ein intensiver Wunsch sei, mit Zanders zu sprechen und er ihm…ja was wohl? Der König bricht den Satz an dieser Stelle ab und setzt ihn anders fort. Was wollte der König von Zanders, einem jahrelangen Vertrauten? Der König hatte ein Fernglas zur Verfügung gestellt bekommen, damit er den See beobachten konnte und auf dem See wurden Kähne gerudert, in denen u.a. Richard Hornig und sein Bruder saßen. Die ganze "Ruderpartie" fand bei windigem, regnerischen Wetter statt und dauerte, mit einer Unterbrechung, es wurde zu Mittag gegessen, den ganzen Tag an.
Wenn man dann liest, was Gudden angeblich zu Zanders gesagt hat, dann fragt man sich unwillkürlich, ob nicht eine kurze Anordnung ebenso genügt hätte. Aber dieses Rechtfertigen, dieses Wohlwollen, dieser aufgeblasene Hinweis auf die Verantwortung, das Ehrenwort – was soll denn das? 
Es hätte genügt zu sagen: "Herr Zanders, seine Majestät will Sie sehen. Gehen Sie hinüber, sprechen Sie mit ihm, etwa eine halbe Stunde lang, doch ich weise Sie darauf hin, jedes Gespräch, dass sich um Veränderungen, Reisen oder selbständige Verfügungen seiner Majestät dreht, zu ignorieren."
Aber diese Überbetonung auf die Fürsorglichkeit des Arztes und die Loyalität des Beamten Gudden, das ist schon ein wenig zu dick aufgetragen. 

Version zwei ist auch interessant, über sie wird, zusammen mit der dritten Version, im nächsten Teil berichtet.

König Ludwig II. Tod - ein vertuschter Kriminalfall? - 37. Teil

Nachdem ich schon aufgeführt habe, wie die Kollegen auf das Vorhaben ihres Chefs, Dr. Gudden, reagiert haben und auch ich das Verhalten hinterfragt habe, weise ich auf ein außerordentlich interessantes Dokument hin, das etwa im Jahr 2002 wieder aufgetaucht ist, das "Protocoll Verlassenschaft des K. Obermedizinalraths Dr. Gudden".

Das Protokoll wurde am 18. Juni 1886 vom Königl. Amtsgericht Starnberg verfaßt, unterzeichnet wurde es vom Oberpfleger der Kreisirrenanstalt München, Michael Barth.
Barth hat eine Vollmacht bei sich, die ihn ermächtigt, nicht nur die Barschaft sondern auch die Effecten Guddens in Empfang zu nehmen.
Gleich zu Anfang wird festgestellt, dass die Brieftasche Guddens fehlt, Guddens Uhr wird von der Polizei eingezogen, dann verliert sich ihre Spur.
Penibel wird aufgelistet, was dem Oberpfleger ausgehändigt wird:

- eine goldene Uhrkette
- ein seidener Regenschirm
- ein Zwicker
- ein Federmesser nebst Permutttasche
- ein kleiner Schlüssel nebst Uhrenschlüssel
- eine Geldbörse mit 180 Mark in Gold und 20 Mark 18 Pfennige

Zur Erinnerung: der Blick auf die Taschenuhren der Herren zeigt, dass der König zuerst ins Wasser gelangt ist, 72 Minuten später Gudden. Diese Unlogik, man verbreitet doch, dass der König Gudden im Wasser getötet hat und anschließend Selbstmord beging, fällt schon damals schnell auf. Dr. Müller beeilt sich zu versichern, dass Gudden nicht nur seine Uhr sehr selten aufzog, sondern auch keinen Uhrschlüssel in seinem Besitz hatte.

* Wie erklärt es sich dann, dass im Rock des Toten "ein kleiner Schlüssel nebst Uhrschlüssel" gefunden wurde und im Protokoll aufgeführt wird?

* Es ist unsinnig anzunehmen, dass ein im Termindruck stehender Mensch wie Gudden, eine Uhr benützte, die im Grund nicht funktionsfähig war? Außerdem wollte er am Abend des 13. Juni um 20.00 Uhr bei einer Feier in der Villa Poschinger sein.

Erstaunlich, dass die Brieftasche Guddens von Anfang an fehlt. Sie war damals, wie schon der Name sagt, eine Tasche für Briefe und Dokumente, nicht wie heute für Geld. Dass es mit der Brieftasche eine besondere Bewandtnis haben muß, zeigt sich schon darin, dass die Geldbörse, mitsamt Inhalt, nicht angetastet wurde.

Kommen wir nun zum Inhalt der Geldbörse, insgesamt 200,18 Mark, davon 180 Mark in Gold, also ein kleines Vermögen.
Zum Vergleich: der Starnberger Gerichtsarzt mußte für den Betrag ein halbes, eine Handarbeitslehrerin zwei und ein Durchschnittsarbeiter vier Jahre arbeiten.
Warum trägt Gudden im abgeschiedenen Berg soviel Geld bei sich? Er hat nicht die geringste Möglichkeit, auch nur kleinsten Betrag davon auszugeben. Küche und Keller liefern umsonst, die Kutsche, die er für seine Fahrten genutzt hat, stellte die Regierung.

Es kommt aber noch besser!
Die Goldmark, die im Jahr 1886 in Zehnmarkmünzen (Kronen) sowie Zwanzigmarkstücken (Doppelkronen) im Umlauf waren, sind seinerzeit kein übliches Zahlungsmittel. Sie sind eher ein Repräsentationsstück, eine Ehrengabe, welche die Münchner Residenz ausgibt. Es war zwar möglich, sie in den Bankhäusern günstig umzutauschen, das geschah aber sehr selten, sie waren ja eine Ehrengabe.

Beispielsweise erhält der Fischer Jakob Kramer, der beim Transport der Leichen hilft, ein goldenes Zwanzigmarkstück und zwar vom Fischer Lidl. Er sagt, das sei für die Ruderdienste vom königlichen Hof und sonst dürfte er nichts sagen, er müsse den Mund halten.
Dieser Satz ist verräterisch. Die Hilfe bei der Bergung des Königs ist doch eigentlich Ehrenpflicht und wenn nicht, dann sind 20 Goldmark für etwa zwei Stunden Ruderdienst entschieden zuviel. Hatte Kramer etwas gesehen, worüber er ausdrücklich schweigen mußte? Er betonte es ausdrücklich:"I derf nix sogn".

Wenn man nun hinterfragt, warum Dr. Gudden an diesem Abend bei seinem Spaziergang, bei dem er mit dem König allein sein will, 180 Goldmark bei sich trägt, dann liegt der Verdacht auf Schweigegeld sehr nahe. 
Wo und wann er es erhalten hat, darüber kann nur gemutmaßt werden, doch zusammen mit der verschwunden Brieftasche ist das ein wichtiger Anhaltspunkt, der ein anderes Licht auf die Geschehnisse wirft.
Gudden, ohnehin schon eine zwielichtige Gestalt, ist zumindest Mitwisser und hätte wissen müssen worauf er sich eingelassen hat. Doch sein schrankenloser Ehrgeiz, sein Streben nach gesellschaftlichen Ruhm, gewinnen die Oberhand und blenden ihn.....

König Ludwig II. Tod - ein vertuschter Kriminalfall? - 36. Teil

Um 13:00 Uhr treffen sich Dr. Gudden, Dr. Müller, Professor Grashey und Baron Washington im sog. Kavaliersbau zum Mittagessen, dem Gabelfrühstück, wie es seinerzeit genannt wurde.
Der Kavaliersbau steht etwa 200 m vom Schloß entfernt und ist mit diesem durch einen Laubengang verbunden. Früher haben dort der Leibarzt und die Flügeladjutanten des Königs gewohnt, jetzt hat sich Baron Washington dort einquartiert. Außerdem ist es die Einlaufstelle für die Post und Zeitungen der Ärzte, außerdem soll er für das Mittag- und Abendessen der Ärzte genutzt werden, auch als Ort für Besprechungen und Konferenzen.
Man speist vorzüglich und das Tischgespräch dreht sich, wie gewöhnlich, um das Befinden des Königs. Gudden berichtet vom Gespräch, das während des Spaziergangs geführt wurde:
"Der König will alles bis ins kleinste Detail wissen, seine Unterhaltung bietet wenig Abwechslung. Es dreht sich immer um die gleiche Frage: ob man ihm nicht nach dem Leben trachte."
Dann, im Brustton der Überzeugung: " Der König hat sich wunderbar gut in seine neue Lage gefügt. Ich werde am Abend wieder mit ihm spazierengehen und zwar alleine, denn es ist keine Gefahr vorhanden. Der König ist wie ein Kind".
Dr. Müller, der schon nicht damit einverstanden war, dass sein Chef den König allein in einer Kutsche nach Berg fahren ließ, ist entsetzt:
"Dr. v. Gudden, aber Sie sagten doch selbst, bei Irren müßte man größte Vorsicht walten lassen, da sie sich leicht verstellen können, um dann bei gegebener Gelegenheit die Flucht zu ergreifen. Ich werde nie die Verantwortung auf mich nehmen, mit dem König alleine spazieren zu gehen. Das können Sie sich erlauben, mit ihrer faszinierenden Gewalt über die Kranken."
Ausdrücklich und verärgert fügt er hinzu: " Sie erschweren mir durch Ihr Verhalten meinen Dienst".
Doch Dr. Gudden lacht nur: "Sie Schwarzseher".
Dann wendet sich Gudden an Baron Washington, welcher der Unterhaltung von Gudden und Müller mit erstauntem und ungläubigen Gesicht gefolgt ist.
"Baron, ich möchte den Umgang Seiner Majestät mit dem Dienstpersonal verringern und den König dazu bringen, dass er wieder in gehobenen Kreisen verkehrt und sich an deren Unterhaltung gewöhnt. Was halten Sie davon, Baron, selbst einmal allein mit Seiner Majestät eine Ausfahrt zu machen?"
Baron Washington wehrt dies entschieden ab:" Dagegen möchte ich mich ausdrücklich verwehren. Ich werde dies nur unter Zuziehung eines Wärters tun. Denken Sie an den Lieblingsspruch seiner Majestät: "Den müssen wir einseifen!"
Gudden antwortet in scherzendem Ton: " Aber, aber, Baron, übertreiben Sie da nicht? Der König ist harmlos und liebenswürdig. Einseifen lasse ich mich von ihm ja auch, aber nicht rasieren."
Dann löst sich die Tischrunde auf.

* Was ist denn nur in Dr. Gudden gefahren? Tage vorher hat er ein Gutachten verfaßt, in dem er den König nicht nur für verrückt, sondern auch für gemeingefährlichen Menschen erklärt hat. Und nicht nur das: es sind weitere Sicherheitsmaßnahmen in Schloß Berg geplant, wie etwa Gitter vor den Fenstern und am Seeufer, dort führt ein Spazierweg vorbei, ein zwei Meter hoher Zaun, der zusätzlich mit scharfen Spitzen und Stacheldraht versehen werden soll. Es soll auch ein weiterer Arzt sowie Pfleger angefordert werden. Die Pfleger sollen die alle verbliebenen Diener ersetzen und besonders Kammerdiener Mayr darf dem König nicht mehr zur Verfügung stehen. Denn nur so sei es möglich, alle Geschehnisse und Situationen peinlich genau zu überwachen und objektive Berichte zu bekommen. Pfleger Mauder hatte bekanntlich schon Notizen gemacht, was der König aß, wieviel er aß, wie er auf die Einhaltung der Tischsitten hielt. Auch die Unterhaltung mit dem König protokollierte er.
Und nun, keine 48 Stunden nach dem Staatsstreich und der Entmachtung des Königs, hält der gleiche Arzt der dem König Paranoia attestiert hat, ihn für harmlos und liebenswürdig! Da stimmt doch etwas nicht!

* Es fällt auf, dass Gudden förmlich danach drängt, mit dem König den Abendspaziergang alleine zu unternehmen, die Anwesenden können das nicht nachvollziehen. Es sind mehrere bezahlte Pfleger im Schloß, warum darf nicht wenigstens einer mitgehen, wie es doch gesetzlich vorgeschrieben ist? Dr. Müller und Baron Washington widersprechen Gudden, doch der will nichts hören, beharrt auf seinem Entschluß.
Warum will der Mann, der vor seiner Abreise nach Neuschwanstein, um dort dem König die Entmündigung mitzuteilen, im Grunde Todesangst hatte, plötzlich mit einem, von ihm selbst attestierten gemeingefährlichen, verrückten Patienten alleine einen Spaziergang machen? Mehr noch: er erklärt ihn für harmlos, liebenswürdig und wolle sich von ihm einseifen, aber nicht rasieren lassen. 
Da gibt es nur zwei Möglichkeiten, warum Gudden so reagierte:

- er litt an übersteigertem Selbstbewußtsein und Selbstwertgefühl, dazu kam die scheinbare Gewißheit, eine faszinierende Gewalt über Kranke zu haben. Das mag wohl in einer Anstalt, in der Pfleger ständig und überall anwesend waren, geklappt haben, denn die konnten im Notfall umgehend eingreifen, aber doch nicht in einem Park, auf einem Spaziergang, dem keine Pfleger folgten. Es waren demnach nur vier Gendarmen im Park: Klier, Lechl, Rasch und Lauterbach, wobei sich der Letztgenannte beim Schloß aufhielt. Wenn Gudden darauf vertraute, dass einer der Gendarmen auf den König schießen würde, wenn er um Hilfe rief, dann wurde billigend zumindest eine Verletzung, wenn nicht gar der Tod es Königs in Kauf genommen.

- der König sollte beseitigt werden und Gudden war eingeweiht. Denn es war klar, sollte der König doch entkommen oder der Teil der Verwandtschaft, der auf seiner Seite stand, ihm andere Gutachter und Rechtsanwälte verschaffen, dann hätte dies alles ein gesetzliches Nachspiel, es ging u.a. um Hochverrat, gehabt.

König Ludwig II. Tod - ein vertuschter Kriminalfall? - 35. Teil

Jetzt gehe ich genauer auf den Spaziergang ein, den der König mit Dr. Gudden am späten Vormittag unternehmen durfte.

Der Spaziergang beginnt etwa um 11.15 Uhr und endet gegen 12.15 Uhr mit der Rückkehr ins Schloß.

Dr. Grashey beobachtet vom Vorzimmer des Königs aus den Beginn des Spaziergangs und schildert seine Eindrücke:
" Auf dem längst des Sees hinführenden Fußpfad, welcher anfangs etwa 50 Meter vom Ufer entfernt ist, sich gegen das Parkende zu mehr dem Seeufer nähert, nur selten freien Ausblick auf den See gestattet, und durch Wiesenflächen und Gebüsch vom Ufer geschieden ist, gewahrte ich einen langsam dahinschreitenden Gendarmen, bald darauf erschienen auf demselben Wege der König und Gudden sehr langsamen Schrittes, ruhig miteinander sprechend, etwa 30 Schritte hinter ihnen (umgerechnet ca. 200 m) folgten zwei Pfleger. Es dauerte nicht lange, so wandte sich Gudden mit einer Handbewegung gegen die Pfleger, welche offenbar sagen sollte, dieselben möchten einen größeren Abstand einhalten." 

Was Grashey nicht sah, oder einfach nicht beachtete, war die Tatsache, dass auf dem See mehrere Kähne waren, die nahe am Ufer hin und her ruderten. In einem der Kähne saßen Graf Karl v. Rimbaldi, sein Schwager Major Edward Hornig und sein zwei Jahre älterer Bruder Richard Hornig, der ehemalige Stallmeister und Privatsekretär des Königs. Sie kreuzten den ganzen Vormittag zwischen Leoni und Berg hin und her, ungeachtet der heftigen Regengüsse. 

Dann rasten der König und Gudden für kurze Zeit auf einer Parkbank, die seinerzeit nicht weit von der Unglücksstelle stand. Dann begeben sie sich zurück ins Schloß. Der König zieht seinen durchnäßten Mantel und die ebenso durchnäßten, verschmutzen Schuhe selbst aus. Dann wäscht er sich die Hände und läßt sich von Mauder die Haare kämmen. 
Dann setzt er sich zu Tisch und läßt sich, wieder von Mauder, sein zweites Frühstück servieren: zwei Teller Suppe, ein Fleischgericht und geröstete Kartoffeln, sowie als Nachtisch gezuckerte Erdbeeren. Als Getränk wird auf den Tisch eine Karaffe Wein gestellt.

Anmerkung: eine Karaffe verfügt über ein Füllvermögen von einem Liter Wein, bzw. Wasser. Sie hat in der Regel einen Henkel und einen Verschluß. Weinkaraffen werden dazu verwendet, den Satz des Weines auf dem Boden zu halten. Eine Karaffe wird nicht zwangsläufig zum Essen völlig geleert, daher der Deckel/Verschluß, um immer wieder Wein entnehmen zu können.

Dann bittet der König um ein Fernglas, um den See betrachten zu können. Es wird ihm gebracht, was spricht schon gegen dies harmlose Vergnügen, und nach den Aussagen seiner Beobachter, betrachtet er immer wieder lange den See.

Was freilich niemand weiß: der Kahn mit den schon genannten Herren kreuzt nach dem Mittagessen weiter auf dem See, die schon am Vormittag gewählte Route. Der König kann zwar nicht die gesamte Route einsehen, aber er weiß, sie sind da.

* Zunächst werden der König und Gudden von zwei Pflegern in einem größeren Abstand begleitet. Die Begleitung von Geisteskranken auf Spaziergängen ist nicht nur Pflicht, sondern gesetzlich vorgeschrieben.
Plötzlich gibt Gudden den Pflegern offensichtlich Anweisung, sich in einem noch größeren Abstand hinter ihm und dem König zu bewegen. Nach Aussage des Pflegers Hack waren es zuletzt mehr als 400 Meter, mitunter verlor sich sogar die Spur der Spaziergänger!
Was sollte das? Gudden hatte nur wenige Tage zuvor dem König Verrücktheit attestiert, bei dem Gutachten wurde ausdrücklich auf die Gefährlichkeit des Königs hingewiesen, seine Unbeherrschtheit, seine Wutausbrüche, seine Handgreiflichkeiten gegenüber dem Dienstpersonal. Bei einem so großen Abstand, 400 m, hätte der König Gudden leicht eine dementsprechende Ohrfeige oder Faustschlag verpassen können, dass der Arzt zumindest verletzt oder bewußtlos gewesen wäre. Die Hilfe durch die Pfleger, die zwar dementsprechende Griffe kannten, um einen gewalttätigen Menschen quasi schachmatt setzen zu können, wäre mit Verspätung oder sogar zu spät gekommen. 

* War das Ganze eine Art Generalprobe auf das, was am Abend folgen sollte? Gudden hatte zumindest von etwas Kenntnis, was die anderen Ärzte und schon gar nicht die Pfleger wußten. Gudden hatte nämlich Angst, als nach Neuschwanstein reiste, um dem König seine Entmachtung und anschließende Internierung zu verkünden. Seiner Frau, die seine Angst bemerkte und ihn darauf ansprach, erklärte er dies mit einem Albtraum, den er gehabt hätte. Er käme wieder, entweder lebendig oder tot, seine Tochter bat er, für ihn zu beten.
Warum solche Sterbe- und Todesangst, wenn man nur seine ärztliche Pflicht erfüllt oder das, was man dafür hält? In Neuschwanstein waren bezahlte Ärzte und Pfleger anwesend, in Berg ebenso, es wurde sogar darüber gesprochen, noch einen Arzt, sowie zwei weitere Pfleger zu bestellen. Bei vorschriftsmäßigem Verhalten war die Angst völlig fehl am Platz!
Im nächsten Beitrag erläutere ich, wie erstaunt Guddens Kollegen waren, als er ihnen ankündigte, am Abend mit dem König allein einen Spaziergang machen zu wollen, wie resistent Gudden gegen sämtliche Kritik reagierte.

König Ludwig II. Tod - ein vertuschter Kriminalfall? - 34. Teil

Dann ging der König ins Wohnzimmer, um zu frühstücken. Zusätzlich zum normalen Frühstück, also Kaffee, Marmelade, Butter, Hörnchen hat er sich zwei Eier bestellt. Während Pfleger Mauder den Tisch deckt, äußert der König Mauder gegenüber, dessen ruhige Art ihm gefällt, Mauder möge doch immer kommen. Dann frägt er Mauder nach der Konfession von Schneller. Mauder geht aus dem Zimmer und fragt den Kollegen nach seiner Konfession. Mauder geht zum König zurück und gibt ihm die Auskunft.
Der König hat sich unterdessen an den Tisch gesetzt und frühstückt. Dabei zeigt er Appetit und läßt sich mehrfach Kaffee nachschenken. Er zeigt keinerlei Auffälligkeiten beim essen, Kammerlakai Mayr hatte darüber berichtet, etwa, dass er seine Kleidung beschmieren und bei Tisch kleckern würde, aber nicht davon findet sich in den Aufzeichungen des Pflegers Mauder, der seine Beobachtungen niederschrieb.
Der König ißt nicht schweigend, sondern unterhält sich mit Mauder. Er befragt ihn zuerst ausführlich über seinen kranken Bruder Otto, dann erkundigt er sich bis in die kleinste Einzelheit über die familiären Verhältnisse von Mauder. Mauder macht einen gebildeten Eindruck auf den König, er äußert die Vermutung, dass Mauder auf der Universität gewesen sein muß. Mauder hat in der Tat eine höhere Ausbildung genossen, denn bevor er sich etwa 1875 zum Pfleger umschulen ließ, war er Lehrer. Seit 1877 war er der oberste Pfleger des Prinzen Otto in Fürstenried.
Dann reicht der König Mauder seine Uhr zum Aufziehen, was dieser Schneller besorgen läßt. Gegen 10 Uhr hat der König sein Frühstück beendet und befiehlt Mauder, Dr. Gudden zu holen. 
Der König bittet Gudden, die Messe in Berg besuchen zu dürfen, denn es war einer der höchsten christlichen Feiertage. Das wurde abschlägig beschieden.
Auch die Bitte des Königs, einen Priester kommen zu lassen, wird abgelehnt.
Es folgt eine längere Unterredung zwischen Gudden und dem König, von der abgesehen von den Bitten des Königs und den Verlauf des nachfolgenden Spaziergangs, nichts bekannt ist. Als Gudden um 10.45 Uhr das Zimmer des Königs verläßt, sagt er: "Majestät und ich gehen aus. Der Pfleger Hack soll uns begleiten."
Gudden gibt Hack Anweisungen, wie er sich zu verhalten habe, vor allem, dass er ihm und dem König in gehörigem Abstand folgen solle. Dann geht er, um sich für den Spaziergang anzukleiden. Auch der König bereitet sich auf den Spaziergang vor, läßt sich von Mauder Überzieher, Hut und Schirm bringen. Dann beginnt der gemeinsame Spaziergang im Park.

* Oberpfleger Mauder hat offensichtlich den Auftrag, den König unauffällig beim essen zu beobachten, jedenfalls liegen von Mauder detaillierte Aufzeichungnen vor. Es sollten wohl die Aussagen des Kammerlakaien Mayr überprüft werden, die selbst den Gutachtern als nicht wahrheitsgemäß und übertrieben erschienen. Ergebnis: der König benahm sich bei Tisch völlig korrekt, wobei er, lt. Aufzeichungen Mauders, wohl eher weniger aß, dafür aber lieber Kaffee trank.

* Der gewünschte Kirchgang in Berg, nicht in Aufkirchen, wie immer berichtet, wurde nicht erlaubt. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: die Verantwortlichen hatten Angst, dass der König von der Bevölkerung geschützt und nach München entkommen konnte. Dort wären sie dann zur Rechenschaft für ihren Staatsstreich gezogen worden.

* Natürlich durfte der König auch von einem Priester nicht besucht werden, denn auch der hätte berichten können, dass der König ein völlig normaler Mensch war. Das hätte für zusätzliche Unruhe gesorgt, die Bewohner von Berg wurden nur durch anwesendes Militär und dementsprechende Maßnahmen ruhiggestellt.
Außerdem vermute ich, dass der König, trotz seiner "Krankheit", als Sünder und evtl. sogar als Verdammter galt, da er "widernatürliche Liebe" empfand. So einem ließ man, trotz aller Seelennot und -pein, zunächst keinerlei priesterlichen Beistand zukommen, es mutet an wie eine weitere "disziplinarische Maßnahme", wie etwa das kalte Schlafzimmer und die kalte Dusche, zur körperlichen Mißhandlung kam die seelische Mißhandlung.

* Der Kranke sollte aber auch eine Belohnung für sein tadelloses Verhalten bekommen: einen Spaziergang im Park des Schlosses, in Begleitung von Dr. Gudden persönlich, nicht etwa eines stellvertretenden Arztes. Noch mehr: der Pfleger wahrt einen großen Abstand, der sich im Laufe des Spaziergang sogar noch vergrößert! 

* Der König hat bei diesem Spaziergang, er kennt den Park wie seine Westentaschen, dort ist er zu Hause, da kennt er sich aus, Gelegenheit, verschiedene Fluchtpunkte auszumachen. Ich frage mich, warum der Arzt nicht daran gedacht hat, wie mir vieles an Dr. Guddens Verhalten merkwürdig erscheint. Über die Erstellung des Gutachtens, unter Auslassung aller Gesetze und Richtlinien, hatte ich schon berichtet. Dazu kommt, dass er sich auf Schloß Neuschwanstein die Rolle eines Beamten oder Mitglied des Hauses Wittelsbach anmaßt. Dann die unbeaufsichtigte Fahrt in der Kutsche nach Schloß Berg. Selbst wenn es Fußfesseln in der Kutsche gab, so hatte der König die Arme frei und hätte ohne weiteres eine Scheibe einschlagen können. Sich dann die Pulsadern zu öffen, wäre eine Angelegenheit von Sekunden gewesen und der König wäre unrettbar verblutet. Schon allein dieser Umstand regt Dr. Müller, der ehrlich zugibt, seinen Chef nicht wiederzuerkennen, auf.

König Ludwig II. Tod - ein vertuschter Kriminalfall? - 33. Teil

Unterdessen hat sich Dr. Gudden mit Baron Washington getroffen. Gudden schildert Washington die ruhige Art des Königs und seine völlig normale Gesprächsführung. Er will den Baron spätestens am nächsten Tag zum König bringen, damit Washington ihm Gesellschaft leisten kann. Gudden begründet dies vor allem damit, dass der König seine Abgeschlossenheit gegenüber Menschen aufgeben solle.
Dann begeben sich Dr. Gudden und Baron Washington zum Gartenpavillon, um dort Dr. Müller zu treffen, auch Stabskontrolleur Zanders ist anwesend. Es wird nicht nur beschlossen, einen weiteren Assistenzarzt, sondern auch zwei weitere Pfleger hinzuziehen. Dann wird der zukünftige Tagesablauf des Königs festgelegt:

* 7 Uhr Aufstehen
* 8 Uhr Kaffeefrühstück
* 12 Uhr Gabelfrühstück
* 16 Uhr Diner
* 20 Uhr Souper
* 23 Uhr Bettruhe

Da stößt Dr. Grashey, der gerade vom König kommt zur Gruppe und sagt: " Für rettungslos halte ich den Zustand seiner Majestät nicht."
Dr. Gudden schaut seinen Schwiegersohn überrascht an und weist ihn zurecht: "Darüber sprechen wir ein anderes Mal!"
Dann geht die Gruppe auseinander.

Doch es gibt noch eine zweite Äußerung Dr. Grasheys gegenüber Dr. Gudden, als der sich im Vorzimmer etwas erfrischte: " Aber Papa, ich finde den König nicht so schlimm; der ist meiner Meinung nach nicht unheilbar."
Gudden stößt seinen Schwiegersohn mit dem Ellenbogen in die Seite und zieht ihn in die Fensternische, wo sie leise miteinander sprechen.
Schloßverwalter Huber und Stabskontrolleur Zanders werden Zeugen diese Szene.

Unterdessen ist Pfleger Mauder dem König beim Waschen behilflich. Zwölf Eimer Wasser, kalt und warm, stehen bereit und der König läßt sich in einem großen Becken stehend waschen, aber nicht im Bad, sondern im Schlafzimmer. Danach läßt sich der König von Mauder frottieren und ankleiden. 
Dann verlangt er nach seinem Friseur Hoppe und dem Kammerdiener Mayr. Mauder erklärt, dass beide nicht in Berg seien. So läßt sich der König von Mauder wortlos frisieren.

* Dr. Grashey hat offentsichtlich erkannt, dass die gestellte Diagnose falsch ist. Natürlich kann er das so seinem Chef und Schwiegervater nicht sagen. Daher wählt er eine mildere Ausdrucksform, sogar beim zweitenmal, als er Gudden schon fast privat antrifft.

- Erstens: hat Dr. Grashey das Gutachten seines Schwiegervaters gar nicht gelesen oder das Beweismaterial selbst gesichtet?
- Zweitens: warum weist Gudden seinen Schwiegersohn derart zurecht? Man merkt selbst in diesem dünnen Satz die Ungehaltenheit Guddens.
- Drittens: was hat Gudden mit seinem Schwiegersohn zu tuscheln? Was ist so geheim, dass es nicht gehört werden darf? Wieso sagte Gudden nicht einfach, dass man die Frage/Feststellung/Diagnose im Kollegenkreis erörtern würde, da jede Beobachtung wichtig sei?

* Die Körperpflege des Königs wirft weitere Fragen auf.

- In Schloß Berg gab es ein Badezimmer, das schon ein Vater einrichten ließ und sehr klein war. Es war über eine Treppe erreichbar und hatte eine große Badewanne. Was wäre also näher gelegen, dem König ein warmes Bad, er hatte in der Nacht gefroren, zu bereiten? Erstens, um sich aufwärmen zu können, natürlich wegen der Körperpflege, die dem König bekanntlich sehr wichtig war und auch zur Entspannung.

- Statt dessen bringt man ein Becken (??) ins Schlafzimmer des Königs und dazu zwölf Eimer mit kaltem und angeblich warmen Wasser. Schon seltsam, wenn eine Badewanne zur Verfügung steht. Diese ominöse Becken konnte unmöglich zwölf Eimer Wasser aufnehmen, da wäre es im Schlafzimmer des Königs zugegangen wie in einem Taubenschlag.
Aber ich habe eine Erklärung für dieses Becken und diese zwölf Eimer Wasser!
Es war im 19. Jahrhundert üblich, psychisch Kranke, vor allem wenn sie gewalttätig waren, oder auch zur Gewalttätigkeit neigten, mir kaltem Wasser zu übergießen. Der König war, lt. Gutachten, ein gewalttätiger Mensch, der seine Diener mißhandelte und schlug. Die "Körperpflege" des Königs war also keine, sondern eine Behandlungsform, um den König zu disziplinieren. Somit war diese, im wahrsten Sinn des Wortes "kalte Dusche" angeordnet. 

- Nachdem der König durch das kalte Schlafzimmer, jetzt wird auch klar, warum nicht eingeheizt war, und die kalte Dusche erkannt hatte, dass es besser war, zu schweigen, ließ er sich auch wortlos frisieren. Was mag das für eine Frisur gewesen sein, denn ich glaube nicht, dass Mauder, er war Pfleger, kein Friseur, ihm die Haare lockte.