In meiner Heimatstadt gibt es eine Sagengestalt, die man den "Schlorga-Hans" nennt. Schlorgen ist die schwäbische Bezeichnung für schwere tapsige Schritte.
Er lebt in einem großen Gebäudekomplex, früher "Zur Eintracht" genannt.
Auf den angrenzenden Martin-Luther-Platz, früher ein Friedhof, kann man in stillen Nächten seine Schritte hören. Und wer zu neugierig ist und ihn sehen möchte, kann ganz unvermittelt eine Ohrfeige bekommen, erzählten sich die älteren Leute. Das stellte jemand nochmals vor ein paar Jahren fest:
In dieser Zeit wurde der Gebäudekomplex (ursprünglich eine Antonierpräzeptorei) grundlegend saniert und renoviert. Der junge Mann, er ebenfalls von der Sage gehört hatte, wollte sich davon überzeugen, was da so dran sein. Er legte sich also auf dem Martin-Luther-Platz auf die Lauer und wartete geraume Weile. Da es schon nach Mitternacht war, war auch alles ganz ruhig. Die Glocke der nahen St.Martinskirche schlug ein Uhr, zwei Uhr. Der junge Mann, des Wartens schon müde und enttäuscht, wollte gehen, da hörte er schwere Schritte. Aha, dachte er sich, ein Nachtschwärmer! Doch er konnte niemanden entdecken, doch die Schritte kamen immer näher. Es war immer noch niemand zu sehen, da kamen die Schritte unmittelbar vorbei. er junge Mann, ganz aufgeregt, folgte den Schritten bis in den Gebäudekomplex hineine. Plötzlich war wieder Ruhe. Der junge Mann wandte sich zum gehen, da kam aus dem Nichts eine empfindliche Ohrfeige! Der junge Mann, total verängstigt, rannte davon.
Heute ist in dem Gebäudekomplex, genannt "Antonierhaus", das zudem eine wechselvolle Geschichte hinter sich hat, die Bibliothek, zwei Museen und u.a. ein Cafe untergebracht. Und wo ist Schlorga-Hans? Die Mitarbeiter der Bibliothek haben mir erzählt, dass sie nach Feierabend, wenn also die Bibliothek abgesperrt wird, schwere Schritte zu hören sind und sich manchmal der Fahrstuhl in Bewegung setzt....
Zur wahren Begebenheit, die hinter dieser Sage steckt.
Schlorga-Hans, den genauen Namen kennt auch die Heimatpflege nicht mehr, war ein Reisender, der Ende des 17. Jahrhunderts in meiner Heimatstadt Station machte. Er war aber nicht allein, sondern seine hochschwangere Frau reiste mit ihm. Die Reise mußte sie sehr angestrengt haben, kein Wunder bei den Kutschen, so dass sie noch am gleichen Tag entband. Und wie das damals oft so war, Frau und Kind überlebten nicht und wurden auf dem Friedhof am heutigen Martin-Luther-Platz beigesetzt.
Der trauernde Witwer blieb in meiner Heimatstadt, mietete im Antonierhaus ein Wohnung, aus der ehemaligen Präzeptorei waren Wohnungen geschaffen worden, und besuchte täglich,bis zu seinem eigenen Tod, das Grab seiner Angehörigen. Da er einen schweren Schritt hatte und schlurfte, nannte man ihn Schlorga-Hans.
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