Sonntag, 5. April 2015

Petz, Wolfgang - Die letzte Hexe (Rezension)

Um die Geschichte der letzten Hexe zu erzählen, muß ich mit einem kleinen geschichtlichen Exkurs beginnen:

Voran sei geschickt, dass sie Anna Maria Schwägelin hieß und nicht verbrannt wurde, sondern in Gefangenschaft starb (keine Folter).

Wir schreiben die zweite Hälfte des 18.Jahrhunderts. Oberschwaben steht zwischen Aberglauben und Aufklärung, wobei sich die Aufklärung immer deutlicher in den Vordergrund schiebt.
Memmingen ist eine der Städte, die sich vom dunklen Muff befreit, vornehme, reiche Memminger Bürgerfamilien, die in der Stadtverwaltung ein gewichtiges wort zu reden haben, schicken ihre Söhne z.B. nach Göttingen, um Recht zu studieren und zum Wohle der Stadt anzuwenden.
Das hat sich in der Vergangenheit als sehr nützlich erwiesen. Hat sich doch in jüngster Zeit ein Fall mit Hilfe der Rechtswissenschaft und Medizin aufklären lassen, der hundert Jahre vorher die Beschuldigte auf den Scheiterhaufen geführt hätte. Ein Mädchen hatte nämlich Federn, Wolle und kleine Nägel erbrochen und zwei Frauen beschuldigt, sie verhext zu haben. Es stellte sich jedoch heraus, dass das Mädchen hysterisch war, nach damaliger medizinischer Diagnose, und die Frauen wurden frei gesprochen. Das Mädchen unter medizinische Obhut gestellt. Das Beweisstück (Federn, Wolle,etc.) kann übrigens heute noch im Stadtmuseum besichtigt werden.

Memmingen, die freie Reichsstadt besaß für einen großen Umkreis die hohe und niedrige Gerichtsbarkeit.
Das war aber alles andere als leicht, da die Stadt mit einigen umliegenden Gemeinden protestantisch war.Andere Gemeinden waren katholisch, eine sogar calvinistisch. Es war also unabdingbar, da nach Gesetzt, ohne Ansehen der Konfession Recht gesproche werden mußte.
Das wurde aber recht gut gehandhabt; ein Bauer, z.B., wurde streng bestraft, weil er eine sterbende Magd, katholisch, in den Schnee legte, weil er keinen Geistlichen im Haus haben wollte.
Vom rückständigen Oberschwaben, das angeblich davon profitierte, dass ein Teil Bayern von Napoleon zugeschlagen wurde, kann nicht die Rede sein. Im Gegenteil, ein funktionierendes Gemeinde- und Rechtswesen wurde zerschlagen und in die Bedeutungslosigkeit zurückgeschleudert.

Die letzte Hexe 

Anna Maria Schwägelin wurde um 1729 in Lachen geboren und auch getauft. Lachen war und ist immer noch katholisch, aber die nächste Gemeinde, auf einem Beg liegend, Theinselberg, ist calvinistisch (ev.-ref.), ebenso wie Untermoosbach.
Der Vater, zweimal verheiratet, ist ein sog. "Häusler" oder "Huber" wie man die armen Leute damals nannte. Er verdingte sich bei einem der stattlichen Bauernhöfe Untermossbachs, die, wenn das sog. Austragshaus noch nicht genutzt wurde, dem "Häusler" und seiner Familie zur Verfügung stellten.
Der Vater stirbt bereits 1753. Von den 10 Kindern, aus beiden Ehen, überleben nur 5, darunter eben Anna Maria. Eine Schwester hat sich bereits als Magd verdingt, ein Bruder läßt sich von der "holländischen Werbung" als Soldat rekrutieren und ab da gibt es von ihm kein Lebenzeichen mehr. Ein weiter Bruder stirbt unvermutet mit 19 Jahren. Bleiben nur noch ein kleines Kind (ca. 1 1/2) und die Mutter.
Mit dem Tod der Mutter, Anna ist etwa 19 Jahre alt, tritt sie, da sie sich als Magd verdingt, wieder in Erscheinung. Sie ist nicht ganzjährig beschäftigt, sondern arbeitet auch in der Stadt.
Dann tritt sioe für ein halbes Jahr in die Dienste des Freiherrn von Küner, dem Besitzer einer Fayacenfabrik. Dort lernt sie den Kutscher Martin Linck kennen. Er ist ev.-luth. und stellt ihr die Heirat in Aussicht, wenn sie zum lutherischen Glauben konvertieren würde.
Er verschafft ihr sogar eine gute Anstellung, beim "Hieber" (Hausname) in Buxach. Die "Hieberin" verspricht ihr eine Aussteuer, wenn sie konvertieren würde. Das ist eine verlockende Aussicht für die arme Dienstmagd, könnte sie eine Aussteuer nie aus eigenen Mitteln aufbringen.

Anna Maria Schwägelin konvertiert, ihrer eigenen Aussage zufolge, in der Memminger St.Martinskirche. Das ist aber mit Vorsicht zu behandeln, da sich in den Pfarrmatrikeln kein Hinweis findet.
Doch da zerschlagen sich die Heiratspläne, da die "Hieberin" am Kindebettfieber stirbt und sich der Kutscher Link einer anderen Frau zuwendet und sie schließlich heiratet. Jetzt sind wir am entscheidenden Punkt angelangt: ein Konfessionswechsel war zur damaligen Zeit etwas anderes als heute. Damals war man quasi für alle Zeiten in der Konfession, in der man aufgewachsen war. Die Menschen waren nicht so beweglich, sondern verblieben in der dörflichen Gemeinschaft, in der sie aufgewachsen waren. Ja, selbst ein Dienstbote war bestrebt, zumindest einen Partnerin/Partner derselben Konfession zu ehelichen, da dies eine gemeinsame geistige Heimat war.
Anna Maria arbeitet im darauffolgenden Jahr vorrwiegend als Tagelöhnerin in Memmingen.
Danach wieder im "lutherischen Hart", einem Vorort der Reichsstadt. Dort will sie, der eigenen Schilderung nach, erstmals dem Teufel begegnet sein:
es ist ein warmer Frühsommertag und sie wurde auf eine, dem Bauern gehörige Wiese geschickt, um dort frisches Gras zu schneiden. Die Arbeit ist schwer und so beschließt Anna, sich eine Weile hinzulegen. Sie schläft tatsächlich ein und erwacht erst wieder am frühen Nachmittag. Sie bekommt Angst, dass der Bauer ihre Nachlässigkeit bemerkt. Neben Gras schneidet sie nun auch jungen Hafer, der noch grün, in den Grasbündeln nicht auffällt, aber die Büschel rund und voll erscheinen läßt.
Noch in Hast und Eile, tritt ein Jäger auf sie zu. Zuerst will sie in ihm einen Bekannten erkannt haben, dann fällt ihr ein, dass der schon tot ist. Jetzt entdeckt sie auch, dass der Jäger hinkt. Sie weist ihn ab, akzeptiert aber schließlich doch, dass er die Grasbüschel trägt.
Man muß nun wissen, dass zur damaligen Zeit im Volksglauben die Vorstellung herrschte, der Teufel erscheine den Menschen als Jäger. Und Anna, in dem durch die Konversion verursachten Sündenbewußtsein, sieht diesen Menschen, wer immer es auch war, wenn er überhaupt existiert hat, den Teufel. Schließlich paktiert sie mit ihm, indem sie die Grasbündel tragen läßt. 
Sie bleibt nicht lange in diesem Dienst und arbeitet wieder in verschiedenen Anstellungen und Tagewerken. Ihr Gewissen läßt ihr keine Ruhe: trotz mehrmaliger Beichten, verfällt sie geistig immer mehr.

Anna Maria Schwägelin verfällt geistig immer mehr.
Eine Festanstellung bekommt sie nicht mehr, sie läßt sich als Tagelöhnerin treiben. 
Sie schließt sich einer anderen Tagelöhnerin an und die beiden finden Arbeit über mehrere Tage auf dem Gutshof der Memminger Kreuzherrn, dem Oberhart.
Die beiden Frauen bekommen neben gutem Lohn auch Essen und können auf dem geräumigen Dachboden übernachten.
Ihre Kollegin bekommt dort allerdings männlichen Besuch, ihren Liebhaber. Er hat sich um nicht entdeckt zu werden, das Gesicht geschwärzt und trägt dunkle Kleidung. Und er läßt sich die Gelegenheit nicht entgehen und schläft auch mit Anna Maria.
Das ist der endgültige Schritt in den geistigen Abgrund: Anna Maria glaubt fest daran, jetzt dem Teufel unwiderruflich anzugehören.
Sie vagabundiert und bettelt jetzt und kommt auf diese Weise bis nach Treuchtlingen.
Dort wird sie aufgegriffen und dem zuständigen Landrichter vorgeführt. Sie erzählt ihm ihre verworrene Geschichte. Der Richter, der damit nichts zu tun haben möchte, läßt sie nach Kempten überführen.
Der dortige Richter erhebt dort Anklage wegen Hexerei; im Grunde steht er der psychischen Erkrankung hilflos gegenüber.
Sie kommt ins Kemptener Stockhaus, der Prozess beginnt. Anna Maria Schwägelin wird für schuldig erkannt, der Urteilsspruch ergeht am 7. April 1775.
Das Urteil am 11. April 1775 vollstreckt.
Dieses Datum gilt seitdem als die Hinrichtung der letzen Hexe...

Aber seit einigen Jahre ist bekannt, dass diese Hinrichtung niemals stattfand. 
Aus Akten des Depots Allgäu-Museum Kempten geht hervor, dass der Fall umgewandelt wurde, schließlich ruhte und dann in Vergessenheit geriet. Anna Maria fristete ihre letzten Jahre in einer Zelle des stiftskemptischen Gefängnisses.
Ihre Spur würde völlig verlöschen, wenn sich nicht in den Pfarrmatrikeln der Kemptener Lorenzkirche folgender Eintrag fände:

7. Februar 1781 A. Maria Schwägelin o.ss.p im Kemptener Stockhaus.

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