Der König, der sich wohl in seinem Zimmer schrecklich langweilen muß, er ist alleine, kann nur etwas lesen, ein Buch von seinem Lieblingsautor, Maximilian Schmidt, den er für seine schriftstellerischen Leistungen auch reichlich belohnt hat, läßt gegen 15.30 Uhr Dr. Müller zu sich rufen. Nachfolgender Dialog wird zeigen, dass es dem König nicht nur um Unterhaltung, sondern auch um Informationen geht. Da er schlecht direkt fragen kann, streut er seine Fragen ins Gespräch ein. Dr. Müller gibt später zu, bei dieser Unterredung mehr als bei seinem Staatsexamen gefragt worden zu sein.
Der König steht beim Eintritt Müllers zunächst am Tisch, bei der nachfolgenden Unterhaltung geht er nervös auf und ab.
Ludwig (L): "Wo haben Sie studiert?"
Müller (M): " In Würzburg, Majestät."
L.: "Sie sind Irrenarzt?"
M.: " Jawohl, Majestät".
L.: "Sind Sie es gerne?"
M.: "Mit Leib und Seele, Majestät."
L.: " Sie sind bei meinem Bruder. Wie geht es ihm denn?"
M.: " In den letzten Jahren ist keine bemerkenswerte Besserung eingetreten, Majestät".
L.: " Nicht wahr, ebenso wie Sie Berichte an mich gemacht haben, schreiben Sie an den Prinzen Luitpold über mich?"
M.: " Es ist mir noch kein diesbezüglicher Auftrag erteilt worden, Majestät".
L.: " Nun, und dann schreiben Sie, es ginge mir schlecht? Man freut sich doch, wenn man hört, es ginge schlechter mit mir?"
M.: " Majestät ich bin fest überzeugt, dass sowohl Prinz Luitpold als auch das bayrische Volk nur Freude empfinden wird, wenn sie hören, dass es dem König wieder besser geht".
L.: " Ja, es ist doch sehr leicht, einem Menschen ein Mittel in die Suppe zu schütten, dass er nimmer erwacht".
Müller gibt darauf keine Antwort.
L.: "Was gibt es denn für Schlafmittel"?
M.: " Es gibt deren viele, Majestät: Opium, Morphium, Chloralhydrat, Bäder, Waschungen, gymnastische Übungen, usw.."
L.: " Sie tragen eine Brille? Sind sie kurzsichtig?"
M.: " Auf dem linken Auge bin ich kurzsichtig, auf dem rechten astigmatisch, Majestät".
L.: "Was ist das?"
M.: " Ein Zustand, in dem die Hornhaut des Auges nur in einer bestimmten Ebene ins Auge fallende Strahlen deutlich perzipiert."
L.: "Von Gudden sagte mir, Sie wollen meine Bibliothek ordnen?"
M.: " Ich bin mit Vergnügen bereit, Majestät, und werde mich rasch zurechtfinden."
L.: " Können Sie französisch sprechen?"
M.: " So viel man auf dem Gymnasium lernt, Majestät kann ich schon."
L.: "Womit haben Sie sich auf dem Gymnasium meistenteils beschäftigt?"
M.: " Mit der deutschen Poesie, insbesonders der lyrischen, und habe mich in den letzten Jahren darin noch weitergebildet. Ich war auch schon verschiedentlich literarisch tätig."
L.: " Das ist hübsch. Bleiben Sie immer hier?"
M.: " Ich werde mit einem noch zu bestimmenden Kollegen monatlich wechseln, Majestät."
L.: "Wer ist das?"
M.: "Es ist noch niemand ernannt, Majestät".
L.: " Na, der wird schon ein Mittelchen wissen, mich unbemerkt aus der Welt zu schaffen."
M.: " Majestät, ich kann für meinen zu ernennenden Kollegen wie für mich bürgen, die Pflicht des Arztes ist es, zu heilen und zu bessern, nicht zu vernichten."
L.: " Ja, Ihnen traue ich, aber den anderen?"
Der König bleibt vor Dr. Müller stehen, neigt freundlich den Kopf: Dr. Müller ist entlassen.
Die Unterhaltung bestätigt Dr. Müller eigenartigerweise, dass der König unter Verfolgungsideen leidet und krank ist. Wie ich es sehe, kann man es drehen und wenden wie man will, zusammen mit anderen ängstlichen Äußerungen verrät diese Unterhaltung: der König bangt um sein Leben.
Wieso diagnostiziert Dr. Müller Verfolgungsideen? Eigentlich müßte seine Diagnose anders lauten, in etwa wie folgt: "Der König benimmt sich ganz normal, ist überhaupt nicht aggressiv, stellt sachliche Fragen. Er ist allerdings uns gegenüber sehr mißtrauisch und hat auch Todesängste".
Angesichts des "Entmündigunsverfahrens", bei dem sämtliche gesetzliche Vorgaben entweder außer Acht gelassen, bzw. gebrochen wurden, ist das Mißtrauen des Königs das Normalste auf der Welt. Er hat keine Möglichkeit, einen Anwalt zu konsultieren, andere ärztliche Gutachter zu verlangen, er ist isoliert. Dass aus so einer Situation Todesängste entstehen, ist verständlich.
Was wird ein normaler Mensch daher versuchen? Ganz klar: zu fliehen, um sich Hilfe zu holen.
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