Sonntag, 21. Juni 2020

König Ludwig II. - ein vertuschter Kriminalfall? - 55. Teil

Die Ereignisse des 13. Juni 1886 - Teil 5
Um 13:00 Uhr treffen sich Dr. Gudden, Dr. Müller, Professor Grashey und Baron Washington im sog. Kavaliersbau zum Mittagessen, dem Gabelfrühstück, wie es seinerzeit genannt wurde.
Der Kavaliersbau steht etwa 200 m vom Schloß entfernt und ist mit diesem durch einen Laubengang verbunden. Früher haben dort der Leibarzt und die Flügeladjutanten des Königs gewohnt, jetzt hat sich Baron Washington dort einquartiert. Außerdem ist es die Einlaufstelle für die Post und Zeitungen der Ärzte, außerdem soll er für das Mittag- und Abendessen der Ärzte genutzt werden, auch als Ort für Besprechungen und Konferenzen.
Man speist vorzüglich und das Tischgespräch dreht sich, wie gewöhnlich, um das Befinden des Königs. Gudden berichtet vom Gespräch, das während des Spaziergangs geführt wurde:
"Der König will alles bis ins kleinste Detail wissen, seine Unterhaltung bietet wenig Abwechslung. Es dreht sich immer um die gleiche Frage: ob man ihm nicht nach dem Leben trachte."
Dann, im Brustton der Überzeugung: " Der König hat sich wunderbar gut in seine neue Lage gefügt. Ich werde am Abend wieder mit ihm spazierengehen und zwar alleine, denn es ist keine Gefahr vorhanden. Der König ist wie ein Kind".
Dr. Müller, der schon nicht damit einverstanden war, dass sein Chef den König allein in einer Kutsche nach Berg fahren ließ, ist entsetzt:
"Dr. v. Gudden, aber Sie sagten doch selbst, bei Irren müßte man größte Vorsicht walten lassen, da sie sich leicht verstellen können, um dann bei gegebener Gelegenheit die Flucht zu ergreifen. Ich werde nie die Verantwortung auf mich nehmen, mit dem König alleine spazieren zu gehen. Das können Sie sich erlauben, mit ihrer faszinierenden Gewalt über die Kranken."
Ausdrücklich und verärgert fügt er hinzu: " Sie erschweren mir durch Ihr Verhalten meinen Dienst".
Doch Dr. Gudden lacht nur: "Sie Schwarzseher".
Dann wendet sich Gudden an Baron Washington, welcher der Unterhaltung von Gudden und Müller mit erstauntem und ungläubigen Gesicht gefolgt ist.
"Baron, ich möchte den Umgang Seiner Majestät mit dem Dienstpersonal verringern und den König dazu bringen, dass er wieder in gehobenen Kreisen verkehrt und sich an deren Unterhaltung gewöhnt. Was halten Sie davon, Baron, selbst einmal allein mit Seiner Majestät eine Ausfahrt zu machen?"
Baron Washington wehrt dies entschieden ab:" Dagegen möchte ich mich ausdrücklich verwehren. Ich werde dies nur unter Zuziehung eines Wärters tun. Denken Sie an den Lieblingsspruch seiner Majestät: "Den müssen wir einseifen!"
Gudden antwortet in scherzendem Ton: " Aber, aber, Baron, übertreiben Sie da nicht? Der König ist harmlos und liebenswürdig. Einseifen lasse ich mich von ihm ja auch, aber nicht rasieren."
Dann löst sich die Tischrunde auf.
* Was ist denn nur in Dr. Gudden gefahren? Tage vorher hat er ein Gutachten verfaßt, in dem er den König nicht nur für verrückt, sondern auch für gemeingefährlichen Menschen erklärt hat. Und nicht nur das: es sind weitere Sicherheitsmaßnahmen in Schloß Berg geplant, wie etwa Gitter vor den Fenstern und am Seeufer, dort führt ein Spazierweg vorbei, ein zwei Meter hoher Zaun, der zusätzlich mit scharfen Spitzen und Stacheldraht versehen werden soll. Es soll auch ein weiterer Arzt sowie Pfleger angefordert werden. Die Pfleger sollen die alle verbliebenen Diener ersetzen und besonders Kammerdiener Mayr darf dem König nicht mehr zur Verfügung stehen. Denn nur so sei es möglich, alle Geschehnisse und Situationen peinlich genau zu überwachen und objektive Berichte zu bekommen. Pfleger Mauder hatte bekanntlich schon Notizen gemacht, was der König aß, wieviel er aß, wie er auf die Einhaltung der Tischsitten hielt. Auch die Unterhaltung mit dem König protokollierte er.
Und nun, keine 48 Stunden nach dem Staatsstreich und der Entmachtung des Königs, hält der gleiche Arzt der dem König Paranoia attestiert hat, ihn für harmlos und liebenswürdig! Da stimmt doch etwas nicht!
* Es fällt auf, dass Gudden förmlich danach drängt, mit dem König den Abendspaziergang alleine zu unternehmen, die Anwesenden können das nicht nachvollziehen. Es sind mehrere bezahlte Pfleger im Schloß, warum darf nicht wenigstens einer mitgehen, wie es doch gesetzlich vorgeschrieben ist? Dr. Müller und Baron Washington widersprechen Gudden, doch der will nichts hören, beharrt auf seinem Entschluß.
Warum will der Mann, der vor seiner Abreise nach Neuschwanstein, um dort dem König die Entmündigung mitzuteilen, im Grunde Todesangst hatte, plötzlich mit einem, von ihm selbst attestierten gemeingefährlichen, verrückten Patienten alleine einen Spaziergang machen? Mehr noch: er erklärt ihn für harmlos, liebenswürdig und wolle sich von ihm einseifen, aber nicht rasieren lassen.
Da gibt es nur zwei Möglichkeiten, warum Gudden so reagierte:
- er litt an übersteigertem Selbstbewußtsein und Selbstwertgefühl, dazu kam die scheinbare Gewißheit, eine faszinierende Gewalt über Kranke zu haben. Das mag wohl in einer Anstalt, in der Pfleger ständig und überall anwesend waren, geklappt haben, denn die konnten im Notfall umgehend eingreifen, aber doch nicht in einem Park, auf einem Spaziergang, dem keine Pfleger folgten. Es waren demnach nur vier Gendarmen im Park: Klier, Lechl, Rasch und Lauterbach, wobei sich der Letztgenannte beim Schloß aufhielt. Wenn Gudden darauf vertraute, dass einer der Gendarmen auf den König schießen würde, wenn er um Hilfe rief, dann wurde billigend zumindest eine Verletzung, wenn nicht gar der Tod es Königs in Kauf genommen.
- der König sollte beseitigt werden und Gudden war eingeweiht. Denn es war klar, sollte der König doch entkommen oder der Teil der Verwandtschaft, der auf seiner Seite stand, ihm andere Gutachter und Rechtsanwälte verschaffen, dann hätte dies alles ein gesetzliches Nachspiel, es ging u.a. um Hochverrat, gehabt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen