Bevor ich die Karte des alten Parks einstelle, sie nützt jetzt noch nichts, gibt es noch weitere Informationen.
Nachdem Dr.Gudden das Zimmer verlassen hat, betritt sein Schwiegersohn, Dr. Grashey, das Zimmer des Königs. Der König liegt immer noch im Bett, seltsam, keiner fühlt sich verpflichtet, den Raum zu heizen, einen Morgen- oder Hausrock zu bringen, oder wenigstens Pantoffeln. Auch die Tasse Tee, genauer Schwarztee mit Milch, "very british", die der König gerne vor dem Aufstehen trank, fehlt.
Ludwig spricht rasch mit Grashey, meist in kurzen, fragenden Sätzen. Seine Artikulation ist wieder vollkommen sicher, nachdem er sich mit Sicherheit in einem Schockzustand befunden haben muß. Der Ton der Unterredung ist freundlich und gnädig.
Der König antwortet auch auf eingeschobenen Fragen des Arztes offen und bereitwillig.
Zuerst erkundigt sich Ludwig eingehend und interessiert nach den persönlichen Verhältnissen Grasheys. Dann bringt er von sich aus die neue Situation zur Sprache:
"Man hat nicht richtig gehandelt, man hätte mich von dem Vorhaben in Kenntnis setzen sollen. Das Ganze ist jedenfalls ein Komplott.Die Hauptfrage ist nun, wie lange die Sache dauern soll, ob denn für immer oder bis wann. Obermedizinalrat v. Gudden gibt mir in dieser Beziehung immer ausweichende Antworten. Es liegt also die Befürchtung nahe, die Gefangenschaft könnte jahrelang dauern."
Dr. Grashey versucht, die Bedenken des Königs zu zerstreuen.
"Majestät, an ein Komplott ist nicht zu denken. Seine königliche Hoheit, Prinz Luitpold, hat die Regentschaft höchst ungern übernommen und sich nur unter dem Druck, der durch die Erkrankung Eurer Majestät entstandenen unabweisbaren Notwendigkeit zu ihrer Übernahme entschlossen.
Das königliche Staatsministerium ist das treueste und anhänglichste.
Jedermann trauert aufrichtig über die Erkrankung Eurer Majestät. Nur sie ist die Ursache der gegenwärtigen Situation. Die Erkrankung ist durch ein ärztliches Gutachten nachgewiesen. Eine bestimmte Angabe der Dauer der gegenwärtigen Lage kann nicht gemacht werden. Sie wird jedoch, wie der Wortlaut der Verfassung bekundet, länger als ein Jahr dauern. Majestät sind jedoch nach wie vor König von Bayern. Wenn einmal durch ein neues Gutachten die Genesung Eurer Majestät nachgewiesen ist, wird die Reichsverwesung ohne Zweifel wieder aufhören."
Der König ist ruhig und hört aufmerksam zu.
Dann sagt er:
" Aber ich bitte Sie, Dr. Grashey, ich in doch nicht krank. Nun gut, ich hatte früher ein paarmal Aufregungszustände und habe wegen Schlaflosigkeit vielfach Schlafmittel gebraucht. Aber krank bin ich deshalb nicht. Was haben denn die Ärzte gegenwärtig für Vorschläge zu meiner Heilung?"
Der Arzt informiert den König:
"Wir legen auf das gegenwärtige ruhige Verhalten Eurer Majestät großes Gewicht. Wir legen auch Wert darauf, dass Majestät regelmäßig leben, wenig Spirituosen genießen und sich fleißig an der frischen Luft bewegen sollen. Sinnvoll wäre es auch, eine regelmäßige Beschäftigung zu wählen."
Ludwig nickt:
"Das halte ich für richtig. Bitte sorgen sie dafür, dass mir bald die Bibliothek aus Neuschwanstein übersandt wird. Übrigens, warum wurde ich vor Abgabe des Gutachtens nicht untersucht?"
Dr. Grashey verteidigt sofort das Vorgehen:
"Majestät haben seit Jahren keinen Arzt mehr vorgelassen. Erst recht würden Majestät keinen Psychiater empfangen haben. Vor erfolgter Proklamation war also niemand berechtigt, gegen den Willen Eurer Majestät einen Arzt ins Schloß zu schicken. Ein solcher wäre von Majestät höchstwahrscheinlich gefangen gesetzt worden. Zudem war wegen der außerordentlichen Fülle des Aktenmaterials eine persönliche Untersuchung nicht nötig gewesen."
Der König lächelt auf diese Antwort hin und beendet das Gespräch, indem er sagt:
"Ich möchte nun aufstehen, Dr. Grashey. Danke für Ihr Kommen."
Das Gespräch hat etwa eine halbe Stunde gedauert und der Arzt verläßt den König sehr nachdenklich. Plötzlich hat er Zweifel an der Diagnose, denn der König hat sich beim Gespräch völlig normal verhalten. Zudem sind seine Fragen logisch und deuten keineswegs auf einen Verrückten hin.
* Der König, der natürlich ein paar, für ihn persönlich wichtige, Auskünfte haben wollte, handelt sehr besonnen und intelligent.
* Er befragt den Arzt zuerst einmal nach seinen persönlichen, damit auch private Verhältnissen, der sich dadurch sehr geschmeichelt fühlte. Der König konnte und dafür gibt es viele Zeugen, freundlich, höflich und charmant sein.
* Der König erfährt aus dem Gespräch, dass die Regentschaft und somit die Vormundschaft über ihn, länger als ein Jahr dauern wird. So wie man mit ihm verfahren ist, ist es auszuschließen, dass im Laufe der Zeit ein neues Gutachten angefertigt werden wird.
* Dem König ist klar, wie man ihn behandelt, wenn er sich den Anweisungen nicht beugt. Er hat die Löcher für die Eisenstäbe gesehen, er wurde in der Nacht bewacht und er kennt es von seinem Bruder Otto, für den er eine gewaltfreie Behandlung angeordnet hat. Er weiß, für ihn wird niemand sprechen.
* Der König muß über Grasheys Therapievorschläge innerlich geschmunzelt haben. Was wußten denn die Ärzte wirklich von ihm? Er ging gerne spazieren, wanderte, las viel und überwachte, zum Schrecken seiner Architekten, Baumeister und Handwerker, die Fortschritte seiner Bauten ziemlich streng. Er konnte sehr gut zeichnen, fotografierte früher selbst und züchtete Pferde. Aber er wußte, dass zum jetzigen Zeitpunkt Einwände und Argumente gar nichts bringen würden. Er schwieg also, gab sich kooperativ und innerlich war er bereit zur Flucht.
* Dem König war klar, dass alle widerrechtlich gehandelt hatte und sprach, völlig zu Recht, von einem Komplott. Heute wird es offen als Staatsstreich bezeichnet.
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