Samstag, 25. November 2017

König Ludwig II. Tod - ein vertuschter Kriminalfall? - 9. Teil

Der zweite Grund für die Entmündigung des Königs war die Selbstbefriedigung.

Die Onanie galt, neben der Homosexualität, als das schlimmste aller Laster. Ein kleiner Exkurs dazu.

Um das Jahr 1712 erschien in London ein anonymes Traktat mit dem Titel "Onania; oder Die abscheuliche Sünde der Selbstbefleckung". So etwas hatte es noch nicht gegeben. Die Welt, so behauptete der Verfasser, sei voller Masturbanten; unbeschreiblich das Elend. Im Schutz der Heimlichkeit rubbelten diese Leute sich um die Gesundheit, den Verstand und am Ende gar das Leben.
Das Werk wurde ein gewaltiger Erfolg. Es verbreitete sich rasch über ganz Europa, und die zehnte Auflage schaffte auch den Sprung in die amerikanischen Kolonien. Bald war das Publikum überzeugt von der Schädlichkeit des "einsamen Lasters" - und erfinderische Fabrikanten erkannten die Gunst der Stunde. Sie warfen Penisbehälter auf den Markt, rubbelsichere Schlaffäustlinge und für Mädchen Schenkelgeschirre, die das Spreizen der Beine unterbanden.



Quelle: http://ejlw.eu/article/viewFile/209/426/1393

Vor 1712 kannte man den Begriff der Onanie überhaupt nicht. Und der zugehörige Vorgang hatte wenig Aufsehen gemacht. Zwar erschlug der Gott der Schöpfungsgeschichte im Zorn den Onan, aber in Wahrheit nur wegen eines Coitus interruptus - der Trotzkopf hatte sich geweigert, das Weib seines verstorbenen Bruders zu begatten. Im Allgemeinen galt die Selbstbefriedigung als mäßig aufregendes Laster erwachsener Männer, welche, dem Herrn sei's geklagt, zuweilen wie Onan ihren Samen vergeuden.
Manche wurden sogar eigens frühzeitig in der rechten Technik geschult. In Frankreich etwa pflegten bis ins 17. Jahrhundert die Kindermädchen kleinen Knaben den Penis zu kitzeln, um sie ruhig zu halten. Selbst König Ludwig XIII. hatte als Knirps noch die bewährte Behandlung genossen, und sein Leibarzt ließ sich darüber ungescheut in der Öffentlichkeit aus.
Mit dem Traktat von 1712 war nun auf einen Schlag der Frieden vorbei. Der Autor blieb dennoch fast drei Jahrhunderte lang unbekannt; erst in neuerer Zeit konnte ihn ausfindig machen. Man stieß auf einen Quacksalber namens John Marten, der seine Einkünfte mit selbst verfassten Schriften etwa über Geschlechtskrankheiten aufbesserte - nicht ohne dabei weidlich auszumalen, wie man sich diese zuziehen kann.

Auch in seinem folgenreichsten Werk hielt der Publizist gekonnt die Mitte zwischen Medizinporno und Volksgesundheit. In der Sache trumpfte er sogar auf wie nie: Von einem ausgezehrten Jüngling war da zum Beispiel zu lesen, der sich achtmal in einer Stunde befriedigte und dennoch keine Ruhe mehr fand. Schauerliche Folgen, so Marten, drohten dem widernatürlichen Tun: Blindheit, Irresein, früher Tod. Mit jeder Auflage steigerte er die Zahl der Belegfälle, meist eingerückt in Gestalt fingierter Bekennerschreiben. Da traf es sich, dass der Verfasser zusammen mit dem Buch gleich auch teure Pülverchen und Tinkturen anbieten konnte.Kein Mensch zuvor war auf den Einfall gekommen, dass Masturbieren krank machen könne - nicht einmal die katholische Kirche. Für John Marten aber war es, wie sich zeigte, die Idee seines Lebens. Selbst gelehrten Zeitgenossen nämlich leuchtete sie auf der Stelle ein.

Das Gedankengut des Quacksalbers wurde rasch in die höchsten Zirkel der Aufklärung promoviert. Bald nahmen sich die ersten Enzyklopädien der Sache an. Und 1760 meldete sich der berühmte Arzt Samuel Tissot aus Lausanne zu Wort: In einem Werk mit dem Titel "L''Onanisme", einem dicken Band von rund 400 Seiten, stempelte er den armen Onan endgültig zum Schutzpatron der Wichser ab. Vor allem aber versah er die abstruse Idee des Quacksalbers Marten mit den Weihen strenger Wissenschaftlichkeit.
Es gehe hier keineswegs um Sünde, erklärte Tissot, ein Pionier der Pockenbekämpfung. Die Sünde bleibe dem Klerus überlassen. Es gehe allein um die Belange der Medizin. Der Befund allerdings konnte deutlicher nicht ausfallen: Nichts wirke so verheerend auf den Körper wie die Masturbation - nicht einmal die Pocken.
Vor allem das Hirn leide unter dem übermäßigen Abfluss von Körperflüssigkeiten; letztlich müsse es ausdörren. Ein Mann, berichtet Tissot, habe sich dem sexuellen Exzess dermaßen hingegeben, dass man sein Denkorgan in der Schale klappern hörte.

Dieses Buch wurde, mehr noch als das Machwerk des Pfuschers Marten, in ganz Europa als Sensation erlebt. Deutsche Übersetzungen erschienen in Frankfurt, Leipzig, Augsburg, Hamburg, Eisenach und Wien. Im Gefolge des Wälzers kamen Bücher über Urologie, Gynäkologie, Psychiatrie heraus, die genüsslich zeigten, wie man sich die Übeltäter vorzustellen hatte: verschrumpelt die Glieder, erloschen der Blick, und auf dem Handteller sprießen die Haare.
Dieses Buch wurde, mehr noch als das Machwerk des Pfuschers Marten, in ganz Europa als Sensation erlebt. Deutsche Übersetzungen erschienen in Frankfurt, Leipzig, Augsburg, Hamburg, Eisenach und Wien. Im Gefolge des Wälzers kamen Bücher über Urologie, Gynäkologie, Psychiatrie heraus, die genüsslich zeigten, wie man sich die Übeltäter vorzustellen hatte: verschrumpelt die Glieder, erloschen der Blick, und auf dem Handteller sprießen die Haare.
Wie konnte ein unschuldiges Vergnügen derart in Verruf kommen? Die Aufklärer waren ja nicht prüde; sie durften sich sogar rühmen, die Sexualität vom Ruch der Erbsünde und der Verdammnis befreit zu haben. Doch hier ging es um etwas anderes: Wer masturbiere, so hieß es, der betreibe Raubbau am Gemeinwohl.
Aus drei Gründen, sagt Laqueur, witterte das Bürgertum höchste Gefahr für die öffentliche Moral: Das "einsame Laster" war radikal privat, fern aller mäßigenden Kontrolle durch andere Menschen. Es erschöpfte sich, zweitens, in der Begegnung mit einem Phantasma; der Masturbant verkehrt quasi mit seiner eigenen Einbildungskraft. Und drittens findet der Spaß nirgendwo eine Grenze. Mit immer neuen Gaukelbildern kann der Lüstling herauskitzeln, was immer sein Körper hergibt - unerschöpflich das Angebot, grenzenlos der Konsum. Selbst Frauen und Kinder konnten sich frei bedienen, wie den Zeitgenossen langsam dämmerte - ehedem hatten sie immer nur an Männer gedacht.

Frauen und Mädchen wurden in unvorstellbarer Weise für ihr "Laster bestraft", mit einer Genitalverstümmelung! Im Gegensatz zum 17. und 18. Jahrhundert, in denen die Frauenheilkunde und die Geburtshilfe auch von Nichtmedizinerinnen und Hebammen praktiziert wurde, geriet das Fach im 19. Jahrhundert in Europa und in den USA vollkommen unter die Dominanz weißer männlicher Schulmediziner. Aber nicht nur die Reproduktionsfähigkeit von Frauen wurde institutionell und diskursiv medikalisiert. Vielmehr geriet weibliche Sexualität als solche zunehmend ins Visier männlicher Ärzte, die "abweichende" Formen von Sexualität im Zusammenhang mit der Biopolitik ihrer jeweiligen Nationalstaaten eifrig und argwöhnisch kontrollierten. So galt insbesondere weibliche Masturbation zu Beginn des 19. Jahrhunderts als eine Krankheit, die mit allen Mitteln zu bekämpfen war – nicht zuletzt mit der Klitoridektomie.
Diese gänzliche oder teilweise operative Entfernung der Klitoris wurde zu diesem Zeitpunkt zwar schon länger praktiziert; sie erlebte aber im Zeichen der Diskussion um Bevölkerungszuwachs, öffentlicher Gesundheit und Veränderungen der "angemessenen" Rollen von Frauen während der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts eine deutliche Zunahme. So heißt es in einem einflussreichen Fachbuch für Frauenheilkunde im Jahre 1836 unverblümt: "Sehr selten kommt eine bedeutende Hypertrophie der Klitoris vor. Beobachtet man sie, so ist dies bei Individuen, wo sich schon bei Kindheit die Klitoris ansehnlich entwickelte und später diese Entwickelung exzessiv befördert wird durch Reizung dieses Organ’s auf widernatürliche Weise. In solchen Fällen bleibt kein kürzeres und sicheres Mittel als die Exstirpation der Klitoris."
Frauen sollten mit diesem brachialen Eingriff von Geisteskrankheiten, Hysterie und Masturbation, die angeblich im engen Zusammenhang standen, "geheilt" werden. Neben britischen, waren französische und deutsche Ärzte auf diesem Gebiet führend!
Sogar Ende des 19. Jahrhunderts, als Radfahren auch für Frauen in Mode kam, wurde gemutmaßt, dies fördere die Onanie bei Frauen! Doch die Frauen ließen sich nicht beeindrucken und entwickelten sogar den Hosenrock, um auf´s Rad steigen zu können und legten ihr Korsett ab. Es gab sogar erste Radrennen für Frauen.



Quelle: http://bikesisters.net/wp-content/up...9-1024x736.jpg

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen