Der König sollte nicht nur als Symbol, sondern auch physisch abgesetzt werden. Mit der Absetzung allein war es aber nicht getan, er hätte dann als Privatmann, wie sein Großvater Ludwig I., der wegen der Lola-Montez-Affaire abgedankt hatte, mit einem gekürzten Gehalt weiterleben können.
Das wollten Lutz & Co. aber nicht, da sie wußten, dass sie den Boden der Rechtsstaatlichkeit verlassen hatten. Sie hatten ja Angst, dass der König fliehen könnte, nach München entkommen und sie zur Rechenschaft ziehen würde. Aber nicht nur das: sie fürchteten, dass es eine regelrechte Revolte und Tote geben könnte!
Der Entmündigung wäre vorausgegangen, dass man alle Agnaten des Hauses Wittelsbach befragt hätte, ob sie mit der Absetzung ihres Oberhaupts einverstanden wären. Der Beschluß hätte einmütig sein müssen. Das Verfahren selbst wäre vor einem Amtsgericht durchgeführt worden, das war gesetzlich vorgeschrieben.
Wenn Dich der rechtliche Hintergrund explizit interessiert, habe ich einen Tip für Dich. Rechtsanwalt Dr. Peter Gauweiler erläutert wir folgt:
http://archiv.peter-gauweiler.de/politik_ludwig.html
Da finden sich interessante, vor allem rechtlich versierte, Artikel über König Ludwig II. und das Entmündigungsverfahren.
Den gesamten Schriftverkehr kann ich Dir im Detail nicht anbieten, das würde jeden Rahmen sprengen.
Die "Zeitschrift für bayrische Landesgeschichte Band 74 Heft 2/2011" bietet viel Material dazu. Aber: dieses "Heft" ist ein sehr dicker Wälzer, durch den man sich erst kämpfen muß. Im nächsten Post gehe ich genauer darauf ein.
Einen guten Einblick in den privaten Schriftverkehr des Königs findet man in den Briefen an Wagner und seine Frau Cosima. Aber auch andere Empfänger, wie etwa seinen Kabinettssekretär v. Ziegler, Hesselschwerdt, Hornig und seinen Lieblingsneffen Ludwig Ferndinand.
Der letzte Brief des Königs an Ludwig Ferdinand stammt vom 10. Juni 1886. Der Wortlaut:
Der Brief in Wortlaut, transkribiert von Dr. Gerhard Immler und Dr. Rupert Hacker:
König Ludwig II. an seinen Vetter Prinz Ludwig Ferdinand
am 10. Juni 1886 aus Schloss Neuschwanstein
Theuerster Vetter!
Vergib die schlechte Schrift, ich schreibe dieß in höchster Eile. Denke Dir was Unerhörtes heute geschehen ist!! – Diese Nacht kam eilends einer vom Stallgebäude herauf u. meldete, es wären mehrere Menschen (darunter horribile dictu) ein Minister u. eine meiner Hofchargen in aller Stille angekommen, befahlen meinen Wagen u. Pferde hier (von der oberen Burg) wegzunehmen hinter meinem Rücken, u. wollten mich zwingen nach Linderhof zu fahren, offenbar u. mich dort gefangen zu halten, u. Gott weiß was wohl zu thun, Abdankung zu ertrotzen kurz ein schändliche Verschwörung! Wer kann nur hinter einem solchen Verbrechen stecken, Prz. Luitpold vermuthlich.
Durch Gensdarme u. Feuerwehr, die sich tapfer entgegenstemmen war dieß vorläufig vereitelt. Die Schand-Rebellen wurden arretirt. Behalte dieß Alles bitte vorläufig für Dich. Wie kann aber eine solche Infamitität nur möglich sein!! Bitte forsche selbst u. durch Andere Verlässliche darauf!
Hättest Du so etwas für möglich! gehalten. Schon früher schrieb ich Dir daß ich über absichtlich mit Geld herumgestreute Gerüchte über mich (angebliche Krankheit) an der nicht Sylbe wahr ist p) gehört habe. Es ist zu arg. Es muß Licht in diesen Abgrund von Bosheit kommen! In felsenfestem Vertrauen i. inniger Liebe
Dein
getreuer Vetter
Ludwig
Hohenschwg.
10. Juni 86
(Ergänzung mit Bleistift) Dieser Abschaum von Bosheit mich nächtlich überfallen u. gefangen nehmen zu wollen!!!
Der Brief tauchte erst im letzten Jahr wieder auf!
Genauso ist es mit den Obduktionsbericht: er kam erst vor etwa 20 Jahren wieder ans Licht. Da kommt die berechtigte Frage auf, ob er vollständig oder echt ist.
In jüngster Zeit wurde der Chef des Hauses Wittelsbach gebeten, den Sarg Ludwigs öffnen und untersuchen zu lassen. Dem geht u.a. die Annahme voraus, dass der König erschossen wurde. Die Anfrage wurde abschlägig beantwortet, man wolle die Totenruhe nicht stören.
Das gleiche ist es mit dem Obduktionsbericht des Prinzen und nominellen Königs Otto: man weiß, dass er existiert hat. Nur: auch er ist verschollen.
Es ist so, dass in Archiven öfters eine Revision vorgenommen wird. Da wird aussortiert, was nicht mehr wichtig scheint (oder auch verschwinden soll, Häfner ist auf solche Vermerke gestoßen).
Es ist auch schwer zum "Geheimen Hausarchiv" der Wittelsbacher Zutritt zu erhalten, obwohl es ein staatliches Archiv ist und Jeder Zutritt haben müßte, da es öffentlich ist.
Laienhistoriker erhalten gar keinen Zutritt, mit der Begründung, dass der König vor seinen Fans geschützt werden müsse. Das erscheint mir doch eine fadenscheinige Begründung. Selbst in der Stadtbibliothek meiner Heimatstadt gibt es ein wissenschaftliches Archiv. Das habe ich selbst schon eingesehen, im Lesesaal und unter Aufsicht. Daher weiß ich, dass man in Archiven nicht beliebig suchen und lesen kann.
Historiker müssen einen detaillierten Lebenslauf einreichen und dann wird vom Chef des Hauses Wittelsbach entschieden, ob man ins Archiv darf.
Und man kann sogar dann Hausverbot erhalten. Das ist Professor Häfner passiert, dem Autor des bemerkenswerten Buches "Ein König wird beseitigt".
Häfner, Heinz - Ein König wird beseitigt
Der König konnte auch ganz nüchtern schreiben, nicht nur in einem pathetischen Stil an seine besten Freunde. Dieser private Briefstil mutet für uns heute natürlich etwas seltsam an, aber er König war durch und durch Gefühlsmensch. Er trug häufig sein Herz auf der Zunge und konnte, leider, seinen Mund nicht immer halten. Was er dann sagte und wie er es sagte, konnte je nachdem, wie man zum König stand, gut oder böse ausgelegt werden.
Bismarck sagte nach dem Tod des Königs, man würde ihn ganz anders beurteilen, wenn man Einblick in seine staatsmännische Korrespondenz, die Bismarck mit dem König austauschte, hätte. Nur: die ist bis heute leider nicht veröffentlicht worden.
Die Leibärzte des Königs, Dr. Schleiss von Löwenfeld und Dr. Gietl hielten den König für geistig gesund. Sie hatten Zutritt zu ihm und konnten ihn täglich sehen. Der König war im Prinzip auch körperlich gesund. Ihn plagten lediglich oft Zahnschmerzen und schwere Kopfschmerzen. Die Kopfschmerzen waren die Folge einer eitrigen Haubenmenigitis, an welcher der Säugling Ludwig erkrankt war. Die Ursache kannten die Ärzte aber damals nicht. Die geistige Leistungsfähigkeit war dadurch aber in keiner Weise beeinträchtigt.
Dr. Schleiß von Löwenfeld kannte Ludwig II. von Kindesbeinen an. Noch am 10. Juni 1886, dem Tag nach der Entmündigung des Königs, telegrafierte er an die "Allgemeine Zeitung" in München: "Zur Berichtigung: Von der Existenz eines schweren Leidens welches seine Majestät, Ludwig II. an der Ausübung der Regierung dauernd verhindert, ist durchaus nicht überzeugt Dr. Schleiß von Löwenfeld, Leibchirurg Seiner Majestät."
Der erste Grund für das Entmündigungsverfahren war die bis heute nicht eindeutig bewiesene Homosexualität des Königs.
Darüber kamen schon sehr früh Gerüchte in Umlauf. Richtig eindeutig wird es aber in den Erinnerungen des Dr. Müller, Assistenzarzt Dr. Guddens.
Dr. Franz Carl Müller wird zum Gutachten über den König befragt und gebeten, die Verrücktheit des Königs genauer zu erklären. Müller wird ungeduldig, er weist darauf hin, dass die mühsam aus den Ecken gezerrten Halluzinationen nicht das Wesentliche seien, vielmehr nehme er an, der König leide unter moralischen Irrsinn. Das ist dem Frager zu diffus und Müller betont nun: Der König leidet an moralischem Irrsinn!
Ha, da war die Katze nun endlich aus dem Sack, endlich!! "Moral insanity" war ein Begriff aus der Frühzeit der Psychiatrie und bestens dazu geeignet, Menschen in die Irrenanstalt zu bringen und dort zu disziplinieren. Mit "moral insanity", moralischer Irrsinn, war in erster Linie Homosexualtät gemeint (...wenn der Mann zum Manne geht...) oder wenn Frauen Ehebruch begingen.
Im 19. Jahrhundert galt die Homosexualität weiten Kreisen der Öffentlichkeit und vor allem der Kirchen als Ausdruck einer unmoralischen Geisteshaltung und Lebensweise, als Folge von Verführung, sexueller Übersättigung oder degenerierter Erbanlagen (Dekadenztheorie). Sie wurde in einigen Ländern, vor allem in England und in Preußen, als Verbrechen gegen die Sittlichkeit mit harten Gefängnisstrafen geahndet.
Und der König war ihrer Meinung nach homosexuell oder hatte zumindest homosexuelle Neigungen. Damit gehörte er in die Hände von Ärzten und ihre Zwangsbehandlungen, wie kalte Waschungen, Moralpredigten oder dergleichen.
Das Gutachten, das zur Entmündigung des Königs erstellt wurde, wird nämlich immer nur unvollständig abgedruckt. Es fehlt Bogen 16, der sich mit der geschlechtlichen Neigung des Königs befaßt. Es ist, gerüchtweise, die Rede davon, dass der König Männer küßte, umarmte, Fotos von ihnen machen ließ, manche mußten dem Bildhauer Modell stehen. Die Statuen soll der König dann umarmt haben.
Ich habe den Bogen 16 gesichtet.
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