Samstag, 3. Dezember 2016

Anmerkungen zu "Die Ehre des Scharfrichters"

Die Folter hat ihren Ursprung im römischen Recht. Sie wurde auf zwei Wegen ins deutsche Recht des Mittelalters importiert: auf der einen Seite über das Kirchenrecht, das sich schon immer am römischen Recht orientiert hatte, und auf dem Umweg über die Universität von Bologna, auf Grund einer im 11. Jahrhundert wiederentdeckten Handschrift einer großen römischen Rechtssammlung aus dem 6. Jahrhundert, das am Ausgang der Antike auf eine tausendjährige Entwicklung zurückblicken konnte. 
Es war den Studenten damals in ganz Europa möglich zu studieren, das die Universitätssprache Latein war.

Gleich zu Anfang spielte die Kirche, wie so oft, eine unrühmliche Rolle. Hatten Kirchenväter und Päpste vor der Jahrtausendwende die Anwendung von Folter noch ausdrücklich abgelehnt, so änderte sich das im spätmittelalterlichen Kampf der Kirche gegen die häretischen Bewegungen der Katharer (Hauptgruppe: Albigenser) und der Waldenser. 1252 erließ Papst Innozenz IV. seine Bulle Ad Extirpanda. Er rief in ihr die Kommunen Norditaliens auf, der Ketzerei verdächtige Personen mit Hilfe der Folter zum Eingeständnis ihrer Irrtümer zu zwingen, "ohne ihnen die Glieder zu zerschlagen und ohne sie in Lebensgefahr zu bringen". Diese später auf ganz Italien ausgedehnte und von späteren Päpsten bestätigte Anordnung wurde im 13. Jahrhundert auch im Heiligen Römischen Reich im kirchlichen Strafverfahren, der Inquisition, von den dazu verpflichteten weltlichen Behörden angewandt.
Nach mittelalterlicher Auffassung konnte eine Verurteilung entweder auf Grund der Aussage zweier glaubwürdiger Augenzeugen oder auf Grund eines Geständnisses erfolgen. Hingegen konnten bloße Indizien, selbst wenn sie noch so zwingend auf die Schuld des Angeklagten hinwiesen, oder die Aussage eines einzelnen Zeugen keine Verurteilung rechtfertigen. Diese Auffassung sah man durch bestimmte Bibelstellen wie Deuteronomium 17,6; 19,5 und Matthäus 18,16 gestützt.

In der weltlichen Gerichtsbarkeit wurde die Folter im Heiligen Römischen Reich seit Anfang des 14. Jahrhunderts praktiziert. Sie entwickelte sich gegen Ende des Mittelalters als Mittel des Strafverfahrensrechts und wurde meist so definiert: Ein von einem Richter rechtmäßig in Gang gebrachtes Verhör unter Anwendung körperlicher Zwangsmittel zum Zwecke der Erforschung der Wahrheit über ein Verbrechen.

Zu den theoretischen Fundamenten der Folteranwendung im Heiligen Römischen Reich im Römischen Recht kamen etwa seit dem 14. Jahrhundert auch praktische Bedürfnisse der Verbrechensbekämpfung hinzu. Die Auflösung alter Stammes- und Sippenstrukturen hatte zu sozialer und auch örtlicher Mobilität geführt, mit der auch eine verstärkte Kriminalitätsentwicklung einherging. Verarmende Ritter, umherziehende Landsknechte, reisende Scholaren, wandernde Handwerksburschen, Gaukler, Bettler und sonstiges fahrendes Volk machten die Landstraßen unsicher. Raubüberfälle und Morde waren an der Tagesordnung. Die sog. "landschädlichen Leute" bildeten ein teilweise organisiertes Gewerbs- und Gewohnheitsverbrechertum. Es bedrohte Handel und Wandel und damit die Grundlagen des Wohlstandes vor allem in den Städten, für die die Bekämpfung der Kriminalität daher zu einer Lebensnotwendigkeit wurde.
Maximilan I. Kurfürst versuchte radikal, dieses Unwesen zu bekämpfen und statuierte ein Exempel an der Familie Pappenheim. Der Autor schildert das Schicksal dieser Familie in sein Roman "Straße ins Feuer", der auf Originalakten beruht. "Straße ins Feuer" ist kein einfacher Roman, es ist eine packende Geschichte voll unglaublich detaillierter Recherche über die Zeit, die Menschen und den konkreten Fall. Es ist nicht immer leicht zu lesen, weil jede Zeile voller Informationen steckt; aber gerade die sind es wert, gelesen zu werden.
Kunze, Michael - Straße ins Feuer

Das überkommene deutsche Strafverfahrensrecht war für eine wirksame Verbrechensbekämpfung weitgehend untauglich. Es hatte auf der Vorstellung beruht, dass die Reaktion auf begangenes Unrecht allein Sache des Betroffenen und seiner Sippe war. Verbrechensbekämpfung war überhaupt keine öffentliche Aufgabe gewesen. Die Rechtsordnung hatte den Beteiligten zwar geregelte Formen für ihre Auseinandersetzung (Eid, Gottesurteil, Zweikampf) zur Verfügung gestellt, aber zu einem Verfahren war es lange Zeit nur auf Klage des Betroffenen oder seiner Sippe hin gekommen. Es hatte sich immer um Verfahren gehandelt, die erst auf eine private Klage hin zustande kamen: Es galt das Prinzip: "Wo kein Kläger, da kein Richter". Dieser heute noch für den deutschen Zivilprozess geltende Grundsatz lag lange Zeit auch dem Strafverfahrensrecht zugrunde. Für den Kampf der staatlichen Obrigkeit gegen die "landschädlichen Leute" war dieser Verfahrenstyp weitgehend ungeeignet.

So griff man auf einen anderen Verfahrenstypus zurück, der sich in der Kirche entwickelt hatte, nämlich das sogenannte Inquisitionsverfahren (von lateinisch inquirere "erforschen"). Es ging nun nicht mehr um eine formale Beweisführung (durch Eid, Gottesurteil, Zweikampf) – die letzteren beiden Beweismittel hatte die Kirche im vierten Laterankonzil von 1215 ohnedies verboten, sondern um die materielle Wahrheit.

Der Beweis durch zwei Augenzeugen spielte dabei in der Praxis keine bedeutende Rolle. Er konnte nur zum Zuge kommen, wenn der Verbrecher sich bei seiner Tat von zwei Zeugen hatte beobachten lassen und wenn er ungeschickt genug gewesen war, diese Zeugen überleben zu lassen. So wurde im Inquisitionsverfahren das Geständnis des Beschuldigten zur "Königin aller Beweismittel", und das Geständnis erlangte man oft mit Hilfe der Folter.

Ganz überwiegend vertrat man die Meinung, dass die Folter ein notwendiges Mittel zur Erforschung der Wahrheit in Strafsachen sei und dass Gott dem Unschuldigen die Kraft verleihen werde, die Qualen der Folter ohne ein Geständnis zu überstehen.

Den Link zu "Straße ins Feuer" habe ich ja schon gesetzt und das Buch umfaßt weit mehr als die Folter der Familie Pappenheim, wobei die Folter zurückhaltend beschrieben ist, sondern das Groteske der Fragen an die Familie aufzeigt.
Es geht vielmehr um die spannende Beschreibung der Lebenssituation und Lebensumstände der armen Leute. Und die Pappenheimer sind arme Leute, immer auf der Suche nach Arbeit, und wenn es die nicht gibt, bettelt man. Das ging aber nicht so einfach, wie man es sich vorstellt. Man mußte in der jeweiligen Stadt auf´s Amt gehen und sich einen Bettelbrief ausstellen lassen. Den konnte dann der Bettelvogt kontrollieren, wobei der Bettelbrief detaillierte Angaben zur Familie enthielt.
Oder das Wege- und Straßennetz, das den Namen so nicht verdient. Man reiste auf den alten Römerstraßen, soweit sie noch vorhanden waren, oder auf Feldwegen, die quer durch Wald und Flur führten, Straßenkarten gab es nicht und die Beschilderung war dürftig. In den Wäldern hausten oft Räuberbanden, die sog. "landschädlichen Leute", die Reisende und Kaufleute überfielen. Man reiste also immer in Gruppen, die Kaufleute unter starker militärischer Bedeckung. Und die Räuber entsprechen so gar nicht dem romantischen Bild des 19. Jahrhunderts. Das waren ausgekochte Galgenvögel, die jeden Vorteil nutzten, sich auch gegenseitig verrieten oder auch ermordeten. 
Im damaligen Aberglauben spielten, z.B, auch der heimische Herd und Katzen ein große Rolle. Für uns ist der heutige Küchenherd eine ganz einfache Sache, aber damals war das anders. Ich zitiere wörtlich: "...Der Herd war der Mittelpunkt des Lebens, und früh lernten die Kinder, daß in ihm die Feuerdämonen, die Ahnen und Hausgeister wohnten. Um sie zu nähren und zu besänftigen, wurden in jeder Bauernküche Näpfchen mit Milch, Brot oder Brei unter den Herd gestellt, wovon dann die Katzen, Mäuse oder Wiesel fraßen, die man für Seelentiere hielt. Das Herdheimchen (Katze, Wiesel, Maus) durfte niemals getötet werden, sonst drohte dem Haus schlimmes Unglück."

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