Bevor ich dazu komme, mich mit den ungeklärten Stunden, also ab 18:30 Uhr des Pfingstsonntag, 13. Juni 1886, zu beschäftigen, ziehe ich noch eine Zwischenbilanz.
Ein ganz wesentlicher Grund, den König zu entmündigen, sind seine Bauvorhaben, die bereits 1865 ihren Anfang genommen haben:
- die Ausgestaltung der königlichen Wohnung in der Münchner Residenz
- die Gestaltung des Nibelungenganges
- Bau des Wintergartens
- Königshaus Schachen
Die kleinen Bauvorhaben verursachen noch keine Schulden.
Die eigentliche Verschuldung beginnt in den Jahren 1875 bzw. 1876 mit dem Baubeginn folgender Projekte:
- Schloß Neuschwanstein ( 6, 2 Millionen Mark)
- Schloß Linderhof ( 8, 5 Millionen Mark)
- Schloß Herrenchiemsee ( 16, 6 Millionen Mark)
In den nachfolgenden Jahren sind weitere Projekte geplant:
- Schloß Falkenstein ( 10 Millionen Mark)
- Byzantinisches Schloß ( 10 Millionen Mark)
- Chinesischer Sommerpalast ( 10 Millionen Mark)
Im Jahr 1886 betragen die Schulden des Königs insgesamt 14, 3 Millionen Mark.
Allerdings konnte sich der König nicht einfach an der Staatskasse bedienen, wenn sein Privatvermögen nicht ausreichend war. Daher musste er Kredite aufnehmen, für die bis 1884 sogar die Familie des nachmaligen Prinzregenten Luitpold bürgte.
Ministerpräsident Lutz hatte auch dafür gesorgt, dass die Kredite des Königs stets bewilligt wurden.
Der König weiß selbst um seine miserable finanzielle Lage und versucht selbst, Geldgeber zu finden. Es finden sich Darlehensangebote, u.a. von
- 1885 bietet ein Herr Söhnlein dem König ein Darlehen von 10 Millionen Mark an. Als Gegenleistung möchte er einen Adelstitel. Ludwig lehnt dies angeblich ab.
- Der Großherzog von Luxemburg, Albert von Nassau; erklärt sich bereit, Ludwig Schulden zu tilgen und auch für künftige Schulden aufzukommen. Der Preis: die Überlassung sämtlicher Hofjagden auf Lebenszeit. Auch diese Aktion verläuft im Sande.
- Das Bankhaus Landau, Berlin, bietet einen Kredit von 13 Millionen Mark, zum Zinssatze von 3%. Der Vertrag kommt nicht zustande.
- Der Versicherungsagent und Finanzmann Kleeberg, erklärt sich bereit, einen Kredit von 20 Millionen zur Verfügung zu stellen. Die Angelegenheit wird offensichtlich sabotiert, so dass sich der Finanzmann bei Bismarck beschwert, dass man mit dem König von Bayern ein übles Spiel treiben würde.
Da dem König und seinen Bürgen unter Umständen ein Insolvenzverfahren droht, spitzt sich die Lage weiter zu. Der Landtag und Ministerpräsident schauen weiterhin tatenlos zu, die Familie des Prinzen Luitpold überlegt schon, wie man den König wegen seiner Schulden entmündigen könnte. Aber als Bürgen sitzen sie selbst im Boot, im Falle von Zivilklagen und Pfändungen würden sie als erstes zur Kasse gebeten werden.
Da macht die Bayernpartei, die zwar die stärkste Fraktion im Landtag ist, aber nicht den Ministerpräsidenten stellt, das Recht ihn auszusuchen hat der König, ein verführerisches Angebot. Wenn der König den verhaßten Ministerpräsidenten Lutz entlässt, wird die Bayernpartei dafür sorgen, dass dem König weitere Kredite gewährt werden.
Der König droht Anfang 1886 Lutz mit der Entlassung, wenn er nicht weitere Kredite gewähre.
Bis 1884 scheint die Welt für die Luitpoldsche Familie und Ministerpräsident Lutz, mit Kabinett in Ordnung gewesen zu sein. Ein König der baut, sich sozusagen seinem Hobby widmet, mischt sich weder in Regierungsgeschäfte ein, noch entwickelt er eigene politische Ambitionen. Er ist zwar noch König, aber viel wichtiger ist das Deutsche Kaiserreich mit seinen Repräsentanten. Also gewährt man ihm immer wieder Kredite, damit er sich möglichst nicht ins Tagesgeschehen einmischt.
Übrigens: die gleiche Summe, die der König für seine Bauten verbrauchte, wurden nach Beendigung des Krieges von 1866 an Preussen als Reparationszahlung geleistet und zwar ohne Murren…
Lutz, der natürlich Angst vor seiner Entlassung hat, trifft sich Ende Februar / Anfang März 1886 mit seinem Duzfreund Dr. Gudden.
Dr. Gudden stammt eigentlich aus dem Rheinland und wurde von König Ludwig schon früh nach München berufen, um sich um seinen erkrankten Bruder Otto zu kümmern. Der König wollte den besten Arzt für seinen Bruder und das war Dr. Gudden. Gudden machte in München rasch Karriere und der König erhob ihn, als Dank für seine Dienste, sogar in den persönlichen Adelsstand. Gudden konnte sich nun "von Gudden" nennen, allerdings war der Titel nicht vererbbar und auch nicht mit Landbesitz verbunden.
So nehmen die Dinge ihren Lauf.
Der Ministerrat, das Kabinett Lutz, beschließt im März 1886 die Gesundheitsverhältnisse des Königs überprüfen zu lassen. Lutz stellt Dr. Gudden vor, der auf Fragen von Lutz und Crailsheim erklärt, dass er den König für geisteskrank und regierungsunfähig halte. Er sei bereit, ein ärztliches Gutachten über ihn abzufassen.
Der König ahnt von alledem nichts, allerdings befolgt er Anfang April Bismarcks Rat, wegen der Schuldenproblematik das Parlament einzuberufen. Doch das wird von Lutz geschickt hintertrieben.
Anfang Mai 1886 leitet er sogar ein Verfahren zur Amtsenthebung des Königs ein und fordert eine Untersuchung des Königs auf seinen Geisteszustand hin. Die Rückendeckung für alle Maßnahmen und Unternehmungen haben sie vom Prinzen Luitpold, der, zusammen mit anderen Familienmitgliedern Angst davor hat, für die Schulden des Königs aufkommen zu müssen.
Am 15. Mai 1886 wird beschlossen, die Amtsenthebung des Königs zügig einzuleiten. Lutzt trifft sich mit Gudden zu einer erneuten Besprechung.
Am 18. Mai 1886 erklärt Gudden den König erneut für "originär geistesgestört" aber "begabt mit einer ungemeinen Geschicklichkeit, das zu verbergen, wenn er das will."
Jetzt beginnt auch die Sammlung der Zeugenaussagen für das psychiatrische Gutachten, der erste "Zeuge" ist Marstallfourier Hessellschwerdt.
Persönliches Fazit
Bauen ist des Königs Leidenschaft und Hobby zugleich, aber das ist für Mitglieder des Hauses Wittelsbach nicht ungewöhnlich. Schon sein Großvater, Ludwig I., verschönerte München mit vielen repräsentativen Bauten, die teils der Antike nachempfunden sind.
Jetzt ist hier der junge König Ludwig, der sehr jung zum Chef des königlichen Hauses wurde und keinesfalls für diese Aufgabe vollständig ausgebildet war. Das war ein Fehler seines Vaters, Maximilian II., der zwar schon seit Jahren krank war, er weilte oft monatelang in Italien, um seinen Gesundheitszustand im milden Klima zu bessern, aber keinesfalls vorsorglich ein Testament aufsetzte, dass für seinen Sohn, im Falle seines Ablebens, einen Vormund bestellte, bis etwa zum Alter von 21 Jahren, damit er seine Studien beenden konnte und auf die "Grande Tour" geschickt werden konnte, um die Welt kennenzulernen. König Ludwig klagte später oft, dass er für seinen Beruf nicht vollständig ausgebildet worden sein und seine Studien vorzeitig abbrechen mußte.
Die älteren Familienmitglieder fühlen sich brüskiert und beleidigt, dass nun ein "Grünschnabel" ihr Oberhaupt ist und sie kritisieren ihn so oft wie möglich, die Klatsch- und Intrigenküche wird ständig am laufen gehalten.
Nun entdeckt man, dass der König gerne verschönert und baut, das ist allemal besser als der Umgang mit Wagner oder sonstigen unerwünschten Personen, die evtl. Einfluß auf den König nehmen könnten. Außerdem kann man den König so auf unauffällige, elegante Weise kaltstellen, indem man ihm Kredite für seine Bauvorhaben gewährt und dafür bürgt. Das entwickelt sich über die Jahre auch sehr bequem, bis die darin verwickelten Personen kalte Füße bekommen, da Pfändungen, Klagen und Insolvenzverfahren drohen, bei Lutz sogar die Entlassung im Raum steht.
Lutz reagiert schnell und effektiv: er kontaktiert seinen Duzfreund Dr. Gudden, einen anerkannten Nervenarzt und Psychiater. Was Lutz in diesem ersten Gespräch seinem Freund ist Aussicht stellt, ist nicht bekannt, aber es muß für Gudden lohnend gewesen sein. Denn bereits im März erklärt Gudden offiziell vor Lutz und Crailsheim, dass er den König für geisteskrank halte und bereit sei, ein Gutachten darüber abzufassen. Gudden verstößt schon jetzt gegen alle gesetzlichen und ärztlichen Vorschriften, er hat den König nicht persönlich gesehen, geschweige denn untersucht. Da will er ein neutrales Gutachten abgeben?
Im Mai scheint man Prinz Luitpold und seine Familie dafür gewonnen zu haben, gegen den König ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten, was allerdings kein Wunder ist, das die Familie Luitpold gerne aus der finanziellen Zwickmühle heraus möchte.
Mitte Mai treffen sich Lutz und Gudden erneut, nun scheint Lutz ein Versprechen in der Tasche zu haben, das für Gudden unwiderstehlich ist. Beruflich gesehen hat er alles erreicht, was könnte ihn noch locken? Ein vererbarer Adelstitel, verbunden mit Landbesitz, ein Wappen dazu?
Man weiß es nicht und wird es auch nie wissen, da die Brieftasche Guddens seit dem Tatabend vom 13. Juni 1886 verschwunden ist.
Jedenfalls attestiert er dem König eine ursprüngliche Geistesgestörtheit, d.h. sie ist angeboren und damit vererbt. Damit wird die Brücke zu Prinz Otto, dem Bruder des Königs, geschlagen, der als geisteskrank gilt.
Der Gipfel aber ist der Satz Guddens, der die Hilflosigkeit des Arztes und auch das Konstrukt des Gutachtens zeigt. Der König kann angeblich seine Geistesgestörtheit verbergen, wenn er das will. Das hieße im Umkehrschluß, dass er als "verrückt" auftreten kann, wenn er das will, dass er über die Pole "Geistesgestörtheit" und "normal" nach Belieben hin und her schalten könne....
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