Die Ereignisse des 12. Juni 1886
Nach Mitternacht trifft die sog. "2. Fangkommission" ein. Es ist diesmal kein Minister oder Adliger dabei, nur Dr. Gudden, Dr. Müller und mehrere Pfleger. Kammerdiener Mayr eilt ihnen entgegen, da er vermutet, der König würde etwas im Schilde führen. Er hat schon mehrmals den Schlüssel zum Turm verlangt und Mayr vermutet, dass der König Selbstmord verüben will.
Sofort eilt die Kommission ins Schloß, um den König vor sich selbst zu schützen. Der Zugang zum Turm und andere Türen werden gesichert. Jetzt geht Mayr zum König hinein und meldet ihm, der Turmschlüssel sei gefunden worden. Die Fanggruppe hören feste Schritte und schon steht der König in der Tür. Er ist ein Mann von stattlicher Größe, er blickt erstaunt umher.
Die Pfleger und Ärzte gehen auf die Türe zu, sie schneiden dem König den Rückweg ab. Die Pfleger unterfassen sie Arme des Königs mit weißen Handschuhen. Dazu muß man wissen, dass damals Pfleger unterrichtet wurden, widerspenstige Patienten mit Druck auf die Schmerzpunkte am Arm, "ruhigstellen" konnten, denn die Griffe waren sehr schmerzhaft.
Jetzt tritt Dr. Gudden vor und unterrichtet den König von seinem Auftrag. Er, der König, sei von vier Irrenärzten begutachtet worden und auf Grund der Erkrankung des Königs habe Prinz Luitpold die Regentschaft übernommen. Er würde jetzt nach Schloß Berg verbracht werden.
Der König ist zunächst sprachlos, erschrickt. Der König wird in sein Schlafzimmer zurückgeführt, angeblich riecht es dort sehr stark nach Arrak. Der König steht wortlos da, er schwankt leicht - die Nachricht hat ihn bis ins innerste Mark getroffen.
Gudden spricht mit dem König, der sich nach seinem Bruder erkundigt. Wie er spricht, was er spricht, ist logisch und zusammenhängend. Dann stellt er Gudden die Frage, wie er ihn denn für geisteskrank erklären könne, er habe ihn weder angesehen noch untersucht.
Gudden antwortet mit der klassischen Ausrede: das sei gar nicht notwendig gewesen, das Aktenmaterial sei sehr reichhaltig, geradezu erdrückend.
Der König erkennt, dass es sich um ein Komplott, um einen Staatsstreich handelt. Er hakt nach: wie Gudden, als gewissenhafter Nervenarzt, so gewissenlos sein könne, ein derartiges Zeugnis auszustellen, er habe ihn seit zwölf Jahren nicht gesehen. Der Mediziner verweist auf die Aussagen der Dienerschaft.
Der König geht im Zimmer auf und ab, spricht mit den Pflegern, stellt verschiedene Fragen, auch privater Natur.
Es ist vier Uhr, als die Wagen vorfahren, die den König nach Schloß Berg bringen sollen. Der König zieht seinen dunklen Überzieher an, setzt den schwarzen Hut mit der Brilliantagraffe auf und bricht mit seinen Begleitern auf. Auf dem Weg in den Burghof verabschiedet er sich mit kurzen Worten bei all jenen, die ihm treu waren.
Dann besteigt der König die für ihn vorgesehene Kutsche, am Boden sind Fußfesseln befestigt und die Wagentüren können nur von außen geöffnet werden. Alle Anderen besteigen ebenfalls ihr Kutschen.
Im ersten Wagen sitzen zwei Oberregierungsräte, Müller und Koppelstädter, sowie der Stallmeister Lefeldt.
Im zweiten Wagen Dr. Müller, der Kammerdiener Mayr, sowie die Pfleger Braun und Schneller.
Im dritten Wagen sitzt der König alleine, auf dem Bock neben dem Kutscher Oberpfleger Barth. Neben dem Wagen reitet der ehemalige kgl. Vorreiter Schwegler. Er hat den Auftrag, den König zu beobachten.
Im vierten Wagen befinden sich Dr. Gudden, die Pfleger Mauder und Hack, sowie der Gendameriehauptmann Hack.
Die achtstündige Fahrt bei strömendem Regen verläuft ereignislos. Allerdings sind auf der Fahrtroute Patrouillen eingesetzt, an jeder Poststation, dort werden die Pferde gewechselt, sind zwei Gendarmen anwesend.
Während des Umspannens in Seeshaupt grüßt der König freundlich die sich ansammelnden Sommerfrischler und Ortseinwohner, etwa 30 Personen, aus dem Wagen.
Plötzlich winkt er die in ziemlicher Entfernung stehende, ihm von früheren Aufenthalten bekannte, Posthalterin Anna Vogl heran. Er öffnet das Wagenfenster und unterhält sich kurz mit ihr.
Schließlich bittet er sie um ein Glas Wasser. Nachdem er getrunken hat, gibt er das Glas zurück und sagt dreimal: "Danke!"
Anna Vogl bewahrte das Glas als Familienerbstück auf.
Gegen 12.30 Uhr trifft die Wagenkolonne vor dem Schloßtor ein. Die Kolonne passiert das Tor, dass sich hinter den Wagen schließt.
In der Ortschaft Berg ist Militär anwesend, es herrscht nach Anbruch der Nacht Ausgehverbot und man darf der Schloßmauer nicht nahe kommen.
Persönliches Fazit
Das Eintreffen und die Handlungen der "2. Fangkommission" sind samt und sonders rechtswidrig. Gudden nimmt sich Vollmachten und Rechte heraus, die er gar nicht hatte und die ein Arzt selbst zu dieser Zeit nicht bekommen würde. Für die Einweisung eines Patienten gab es weite rechtliche Vorgaben, die auch Dr. Gudden bekannt waren.
Der König verhält sich beim Eintreffen der Fanggruppe eigentlich sehr ruhig, er spricht ruhig und logisch, stellt vernünftige Fragen. Er sieht sich in seiner früheren Vermutung bestätigt, dass er das Opfer eines Komplotts, eines Staatsstreichs ist. Man weiß nicht, was er mit Graf Dürckheim geplant hat, er gibt sich willig, ja schon willfährig.
Das Gerücht, er habe Alkohol in reichlichem Maße getrunken, eine Bowle sowie Arrak, darf man getrost ins Reich der Fabeln verweisen. Wie ich schon schrieb, verursacht Arrak, also Rum, schwere Räusche. In so einem Zustand kann man kein ruhiges, geschweige denn logisches, Gespräch führen. Man könnte nicht geradeaus laufen oder eine Treppe herunterlaufen. Man wollte schließlich nur noch eines: seinen Rausch ausschlafen.
Der König zieht sich an, geht zum Wagen, steigt ein und er meint nur, er hätte sich einen bequemeren Wagen gewünscht. Dann geht es los. Der König bleibt auch die Fahrt über ruhig, fast entspannt, was mag ihm durch den Kopf gegangen sein?
Wer in so einem Zustand seinem Gefängnis, seiner Internierung entgegenfährt, hat sozusagen einen Joker im Ärmel. Er weiß, dass ein Aufenthalt nur von kurzer Dauer sein wird, wozu sich also aufregen.
In Seeshaupt, der Relaisstation für den letzten Pferdewechsel, gibt sich der König aus dem Wagen heraus sehr leutselig. Seine Bewacher wissen, dass er nicht entkommen kann, er kann nicht einmal die Kutsche alleine verlassen. Mag er sich also ruhig mit den Leuten abgeben, sie grüßen, vielleicht sogar ein paar Worte wechseln, da droht keine Gefahr.
Es rührt sich auch nichts, als er die Posthalterin heranwinkt, sich mit ihr unterhält, sie um ein Glas Wasser bittet. Wir wissen nicht, was die Ärzte, die Pfleger, der Gendarm in Seeshaupt machen. Evtl. vertreten auch sie sich die Beine, treten aus, trinken etwas, jedenfalls sind sie nicht sonderlich aufmerksam.
Nachdem der König das Glas ausgetrunken hat, bedankt er sich dreimal bei der Posthalterin. Ein Codewort, eine kurze Ablenkung der Fangkommission?
Wir wissen auch nicht, wer unter den Sommerfrischlern, den Ortseinwohnern war - ein Zeichen ist schnell gemacht, ein Wort gesprochen. Die nachfolgenden Ereignisse zeigen aber, dass etwas geschehen sein muß.
Und: nachdem sich die Schloßtore hinter den Kutschen geschlossen hatten, sah kein außenstehender Mensch den König mehr lebendig.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen