Sonntag, 1. September 2019

König Ludwig II. - ein vertuschter Kriminalfall? - 45. Teil

Eine Zwischenbilanz - Teil 2

Am 19. Mai 1886 vernimmt Graf Holnstein Kammerdiener Welker. Versicherungsdirektor Kleeberg hatte dem König bereits im März 20 Millionen angeboten, aber nichts von ihm gehört. Er schreibt daher an Bismarck, dass mit dem König "ein eigenthümliches Spiel getrieben werde. Bismarck rät Ludwig II. zur Sparsamkeit und zur vorübergehenden Einstellung seiner Bautätigkeit.

Am 20. Mai 1886 fragt Dr. Gudden vertraulich bei den Psychiatern Dr. Grashey, Dr. Hubrich und Dr. Hagen an, ob sie zur Mitwirkung am psychiatrischen Gutachten über den Geisteszustand des Königs bereit seien. Alle Drei sagen zu.

Mit Dr. Müller, seinem Assistenzarzt, spricht er am 24. Mai 1886 weit über eine Stunde vom König, des er für krank hält, für verrückt und dass des Königs Krankheit der des Prinzen Otto sehr ähnlich sei.

Bismarck entscheidet am 25. Mai 1886, dass sich Preussen und das Deutsche Reich nicht in den "Fall Ludwig II." einmischen wird.

28. Mai 1886: man sucht, das die Zeit knapp wird, händeringend weitere Zeugen für das psychiatrische Gutachten. Aber Graf Drückheim, Hofsekretär Bürkel, Kammerdiener Mayr und der ehemalige Vertraute des Königs, Hornig, verweigern die Aussage.

Der König, der von alledem nichts ahnt, reist zunächst am 1. Juni 1886 nach Hohenschwangau und verlegt sein Hoflager am 2. Juni 1886nach Neuschwanstein, wo er sich bis 12. Juni 1886 aufhält.

In der Zwischenzeit haben folgende Zeugen für das Gutachten ausgesagt: Friedrich von Ziegler, Ludwig von Müller, Kammerdiener Welker, Friedrich von Thelemann, Stallmeister Richard Hornig und natürlich Marstallfourier Karl Hesselschwerdt.

Der König bearbeitet, wie immer und bis zu seiner Verhaftung gewissenhaft die ihm vorgelegten Akten. Er unterzeichnet sie nicht nur, sondern versieht die Dokumente mit Anmerkungen und Empfehlungen. Bis zu seiner Entmündigung am 10. Juni 1886 bleibt er ein verlässlicher Bearbeiter aller Verwaltungsangelegenheiten, er genehmigt beispielsweise eine Kirchenkollekte zur Erbauung einer Kirche in Otterbach im Bezirksamt Kaiserslautern, mit einer anderen Anweisung verbietet er das Feuermachen auf dem Tegelberg, da bei der trockenen Witterung sehr leicht ein Waldbrand entstehen kann. Von dem gegen ihn geschmiedeten Komplott ahnt er nichts.

Am 7. Juni 1886 werden, zusammen mit Prinz Luitpold, alles Modalitäten zur Entmündigung des Königs in die Wege geleitet, von der Übernahme der Regentschaft durch den Prinzen bis hin zur Unterbringung des Königs. Außerdem wird Gudden mit der Erstellung des Gutachtens beauftragt.
Noch in derselben Nacht, nach einer ausgiebigen Geburtstagsfeier des Dr. Gudden, erstellt dieser, ohne seine Kollegen Grashey, Hubrich, Huber und Müller das Gutachten.

Am Morgen des 8. Juni 1886 unterzeichnen Müller, Huber, Hubrich und Grashey das Gutachten, das ihr Chef in der Nacht erstellt hat. Sie geben später zu Protokoll, dass sie davon überzeugt waren, dass alles seine Richtigkeit habe.

Am Nachmittag des 9. Juni 1886 macht sich die Fangkommission, wie man sie später nennt, reisefertig. Insgesamt elf Personen machen sich auf den Weg: fünf Beamte (Crailsheim, Törring-Jettenbach, Holnstein, Rumpler, Washignton), zwei Ärzte (Gudden, Müller) und vier Krankenpfleger (Braun, Mauder, Scheller, Hack). Etwa um 23.00 Uhr kommen sie in Hohenschwangau an. 

Doch anstatt sich für den kommenden Tag vorzubereiten und dann ins Bett zu gehen, essen die Herrschaften gegen 0.30 Uhr, es ist also schon der 10. Juni 1886. Man unterhält sich und um ca. 1.00 Uhr inspiziert Holnstein den Pferdestall. Dort trifft der den Kutscher Osterholzer, der soeben die Pferde vor die Kutsche des Königs spannen will. Holnstein gibt ihm den Befehl, die Pferde auszuspannen und als sich Osterholzer auf den König beruft, antwortet Holnstein, dass der König nichts mehr zu sagen habe, nur noch Prinz Luitpold. Osterholzer spannt die Pferde aus und erfährt von Burgwart Schramm, dass mit der Gruppe vier Irrenwärter mitgekommen sind.
Osterholzer läuft sofort den Waldpfad hinauf, der nach Neuschwanstein führt und erreicht die Burg gegen 1.20 Uhr. Aufgeregt stürzt er ins Speisezimmer und erstattet dem König, der ihn zunächst nicht erkennt, Bericht. Ludwig gibt Alarm und läßt das Schloß absperren, außerdem wird die Gendameriemannschaft der Brigade Füssen alamiert und die Feuerwehren der umliegenden Dörfer zusammengezogen.
Gegen 3.00 Uhr entdeckt Holnstein das Fehlen des Kutschers Osterholzer und benachrichtigt Crailsheim. Der informiert alle Anderen und man macht sich, früher als vorgesehen, auf den Weg nach Neuschwanstein.
Ludwig beobachtet, zusammen mit zwei Leibdiener, Rutz und Hitl, das Nahen der Fangkommission. Die Wagen halten vor dem Schloßportal, davor haben sich acht Gendarmen zu Fuß und zwei zu Pferd postiert. Sie haben die Bajonette aufgepflanzt, die Gewehre geladen und verweigern der Fangkommission höflich den Entritt. Die Kommission pocht auf ihr Beglaubigungschreiben, doch das beeindruckt den Wachtmeister Heinz nicht, er kenne nur eine Order und die komme vom König. Jetzt wollen sich die Herren gewaltsam Eintritt verschaffen, da reißt der Wachmeister sein Gewehr hoch, andere Gendarmen drängen vor. Einen Irrenwärter trifft ein Kolbenstoß, da fällt ihm ein Fläschchen aus der Hand, man riecht das Chloroform.
Da braust auch noch Baronin Spera heran, schwingt ihren Regenschirm und überschüttet die Herren der Fangkommission, die sie von München her kennt, mit den heftigsten Vorwürfen wegen ihres illegalen Verhaltens. Schließlich gelingt es ihr, Zutritt zum Schloß zu bekommen. Sie fällt vor dem König auf die Knie , der hebt sie freundlich auf und beruhigt sie. Da erzählt die alte Dame was sie am Burgtor erlebt hat und als die Namen Crailsheim und Holnstein hört, gerät er in helle Wut.
Vor dem Schloßportal ist mittlerweile für die Fangkommssion eine ungemütliche Situation entstanden, denn nun kommen Männer, vor allem Bauern, Frauen und sogar Kinder zum Schloß herauf und bedrohen die Kommission. 
Zornig, gedemütigt und naß bis auf die Haut, beschließt man, sich nach Hohenschwangau zurückzuziehen.

Persönliches Fazit

Wie man heute weiß, hat der König seine Verwaltungsaufgaben in keiner Weise vernachlässigt, wie man ihm so gerne unterschieben wollte. was fleißig und gewissenhaft. Er war als Bauherr auch Unternehmer, der Firmen viele Aufträge erteilte und so auch Menschen in Lohn und Brot brachte.
Ein Mann, zwei Berufe! Nach übereinstimmenden Berichten war der König als Bauherr ebenso gewissenhaft wie in der Erledigung seiner Verwaltungsaufgaben und brachte seine Architekten und Maler oft an den Rand der Verzweiflung.
Sicher, er hatte Schulden durch seine Geldanleihen beim Staat gemacht, aber wenn er das gleiche Geld für Mätressen, uneheliche Kinder und Bauten in München ausgegeben, dann hätte man das eher beklatscht, denn kritisiert.
Er war auch keinesfalls für seine Untertanen unsichtbar, jedenfalls nicht für die Landbevölkerung und nur die Stadtbevölkerung bekam ihn nur sehr selten zu Gesicht, was diese ihm sehr verübelte - der Klatsch und die Gerüchte wucherten sehr üppig.
Auch das Gerede, dass der König den Tag zur Nacht und umgekehrt machte, halte ich für übertrieben. Vielleicht war es noch möglich, mit den Architekten in der Nacht zu sprechen, aber die Bauarbeiter und Maler haben am Tag gearbeitet. Der König beobachtete sie, z. B., mit einem Fernrohr von Hohenschwangau auf der Baustelle Neuschwanstein.
Keinesfalls ist es zu verstehen, dass sich Minister und ehemalige Freunde für "Zeugenaussagen" hergaben. Bismarck hat es im Nachhinein als Zettel aus Papierkörben und Toiletten bezeichnet. Das Verhalten der "Zeugen" erinnert stark an einen modernen "Shitstorm", wie er heute oft im Internet zu finden ist. Ich bin überzeugt, dass nicht nur persönliche Aversionen bei den Aussagen eine Rolle spielte, sondern vor allem die Lust, einen Menschen ins Verderben zu stürzen, wie man einen edlen Hirsch bis zum Tode hetzt.
Eine ganz zwielichtige Persönlichkeit ist in diesem Fall Dr. Gudden. Er hatte vom König, der ihn als den besten Arzt für seinen kranken Bruder bestellte, Beweise königlicher Huld erhalten. Er hätte zufrieden sein können: ein schönes Haus, eine Familie, die gedieh, einen einträglichen Posten, verbunden mit einem ansehnlichen Salär und der persönliche Adelstitel. 
Und doch setzt sich dieser Mann über die damals schon gesetzlichen Schritte hinweg, die zur Entmündigung eines Menschen führte. Angefangen bei den ärztlichen Vorschriften, zu der unbedingt eine persönliche Untersuchung zählte, bis hin zur richterlichen Genehmigung eines Amtsgerichts, einen nachweislich Kranken unter Kuratel zu stellen. Außerdem schreibt Gudden das Gutachten nach a) seiner Geburtstagsfeier und b) unter Ausschluß dreier Irrenärzte, deren Unterstützung er sich vorher versichert hat. Da hat man also nicht Krankenakten gewälzt und Aussagen auf die Richtigkeit überprüft, sondern die Unterschrift unter ein Schriftstück gesetzt, das über das weitere freie Leben eines Menschen entschied. Als Entschuldigung wurde später angeführt, dass man geglaubt habe, der "Chef" hätte schon alles richtig gemacht.
Wie eilig es die Fangkommission hatte, ihr Unrecht in die Tat umzusetzen, sieht man beim ersten Versuch der Fangkommission. Die wußten sehr wohl, was sie taten, deswegen die Hetze und die Eile. Wo lag nun der wirkliche Grund für die Entmündigung? Schulden, Homosexualität? Selbst wenn man das gesellschaftliche Wertesystem dieser Zeit betrachtet, ist das nicht ausreichend. Homosexualiät wurde, auch wenn man nach außen ein tadelloses Familienleben führte, im Geheimen betrieben. Die Entschädiungssumme, die man nach dem Krieg von 1866 an Preußen bezahlte, war ebenso hoch wie die Schulden des Königs, wurde aber ohne Murren bezahlt. Was war nun so entsetzlich, dass man den König entmündigen wollte? Das beantworte ich noch ausführlich.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen