Weitere Ereignisse vom 10./11. Juni
Da kommt Dürckheim eine glänzende Idee: er läßt durch den Chevauleger Weber vorsichtshalber, in seinem Namen, Telegramme aus Reutte/Österreich und aus Vils/Tirol absenden. Empfänger sind Fürst Bismarck, Prinz Ludwig Ferdinand, Oppositionsführer Baron Franckenstein, der gerade in Marienbad weilt, Geheimsekretär Heiß, sowie Kaiserin Elisabeth.
Baron Franckenstein macht sich sofort auf den Weg, wird aber in München an der Weiterreise gehindert, Bismarck empfiehlt, nach Rücksprache mit den Kaiser, sofort nach München zu fahren, die Antworten der anderen Empfänger sind unbekannt.
In München reagiert man nun schnell: für den König wird Postsperre angeordnet, d.h., er kann keine Telegramme mehr versenden oder empfangen. Und noch ein Telegramm geht ab, an den Grafen Dürckheim. Es kommt von Kriegsminister Heinleth, darin fordert er den Offizier auf, sofort in den Hauptstadt zurückzukehren, sonst würde er des Hochverrats angeklagt.
Der König befiehlt Dürckheim nach München zu reisen, da sonst die Zukunft seines Vertrauten verloren ist, aber er bittet ihn, ihm noch Gift zu besorgen, Zyankali. Das ist damals frei in den Apotheken erhältlich. Dürckheim verneint und reist ab, wird aber bei seiner Ankunft am Münchner Hauptbahnhof verhaftet und ins Militärgefängnis überstellt.
Unterdessen bleibt man in München nicht untätig, man berät über das weitere Vorgehen gegen den König. Ministerpräsident Lutz, Prinz Luitpold und vor allem Dr. Gudden, beschließen, diesmal mit einer Abordnung aus Ärzten und Pflegern nach Neuschwanstein zu fahren. Dort soll der König in Verwahrung genommen werden und nach Schloß Berg transportiert werden. Berg ist für Dr. Gudden bequem erreichbar, man kann das Schloß gut überwachen und die Bevölkerung kann leichter eingeschüchtert werden.
Nun dämmert der Morgen des 11. Juni herauf.
Der König befindet sich im Zustand abgrundtiefer Verzweiflung. In Gedanken malt er sich seine bevorstehende Absetzung aus. Der Wunsch zu sterben verstärkt sich ständig, nun befiehlt er Kammerdiener Mayr, möglichst viel Gift zu besorgen. Mayr antwortet, dass er ohne Rezept nichts mehr aus der Apotheke erhalte.
Im Laufe des Nachmittags beruhigt sich der König und gibt Mayr die Anordnung, um 18.00 Uhr im Sängersaal speisen zu wollen.
Unterdessen haben sich, bis aus vier Personen, Kammerlakei Mayr, Chevauleger Weber und die Schloßverwalter Stichel und Niggl, alle Lakaien das Schloß verlassen.
In dieser Einsamkeit kommt der König auf seine Selbstmordgedanken zurück. Er verlangt vom Küchenpersonal ein großes Messer. Dann setzt er sich allein und in aller Stille zum Abendessen an den Tisch.
Danach schreitet er ab dem frühen Abend im Thronsaal auf und ab, Chevauleger Weber ist bei ihm. Zuweilen richtet der König das Wort an ihn, er spricht über die Unsterblichkeit der Seele, das Jenseits und an die Vergeltung.
Dann betritt er immer wieder den Balkon, genießt das herrliche Panorama, bis es bei Einbruch der Nacht zu regnen beginnt. Gegen 21.00 Uhr läßt sich der König eine Kanne Rum mit Gewürznelken und eine Flasche Champagner bringen. Er trinkt alles durcheinander.
Dann befiehlt er Mayr, den Schlüssel zum Turm zu bringen. Der mutmaßt, der König wolle sich in die Tiefe stürzen und hält den König mit der Lüge, der Schlüssel sei verlegt worden, hin.
Dann läßt Ludwig den 24jährigen Alfons Weber zu sich in sein Arbeitszimmer kommen. Weber hat Vorzimmerdienst, von Beruf ist er eigentlich Schriftsetzer. Der könig nimmt aus dem Schreibtisch 1200 Goldmark und legt sie ihm hin:
"Hier hast du mein letztes, du hast es verdient, du warst mein Getreuester. Nimm es nur, ich brauche kein Geld mehr."
Weber beginnt zu weinen, der König schenkt ihm jetzt auch noch eine seiner diamantenen Hutagraffen:
"Nimm diese Agraffe und den Schuldschein. Sollte man dich zwingen, die Diamanten auszuliefern, so wird dir mein Dokument einen Schadensersatz von 25.000 Mark sichern!"
Nun reicht er Weber ein kleines, viel benütztes Gebetbuch, die Sterbegebete sind aufgeschlagen:
"Bete für mich!"
Draußen geht der Wind, schwere Regengüsse rauschen auf das Schloß herab.
Persönliches Fazit
Nach der ersten "Pleite" scheint man in München nun fest entschlossen, den Staatsstreich gegen den König durchzuführen. Dr. Gudden prescht dabei unverhältnismäßig weit vor, denn er ist weder Beamter noch Minister. Im Grunde dürfte er ohne das Beisein eines Ministers diese ohnehin widerrechtliche Aktion gar nicht durchführen. Doch ihm scheint dies alles egal zu sein, kein Wunder, denn er hat schon so viele Vorschriften und Gesetze gebrochen, dass ihm eine weitere Aktion dieser Art nichts auszumachen scheint.
Angeblich hatte man als Aufenthaltsort des Königs ursprünglich Schloß Linderhof gewählt, sich dann aber für Schloß Berg entschieden. In den Wochen vor der Gefangennahme des Königs hatte man dort schon Vorkehrungen getroffen, das Schloß in einen Aufbewahrungsort zu verwandeln.
Nun zu den aus dem Ausland abgesandten Telegrammen. Dass sie existieren, bzw. existiert haben, ist sicher. Nur: wie umfangreich war der Telegrammverkehr wirklich? Was für Fragen, Antworten und Pläne wurden noch ausgetauscht? Dass ein Fluchtplan für den König existiert hat, ist für mich sicher. Kaiserin Elisabeth konnte sehr tatkräftig sein, wenn sie das wollte und es gibt eine Bestätigung von Prinzessin Therese, der Tochter von Prinzregent Luitpold, dass die Kaiserin in die Flucht eingeweiht war. Das erzählte Prinzessin Therese nach dem I. Weltkrieg, als man ihr nicht mehr gefährlich werden konnte. Wie bekannt, ging man mit ihr nicht gerade zimperlich um, als sie sich resolut gegen den I. Weltkrieg aussprach. Man verbot ihr weitere Äußerungen, sonst würde sie im Irrenhaus landen.....
Ob der König wirklich zum Selbstmord entschlossen war, bezweifle ich. Er hätte dazu kein Gift benötigt und auch nicht vom Turm springen müssen. Das angeblich verlangte große Küchenmesser wäre glänzend dazu geeignet gewesen, sich die Pulsadern aufzuschneiden oder es sich in das Herz zu stoßen. Für einen Sprung in die Tiefe hätte der Balkon auch eine Möglichkeit geboten. Zudem war das Schloß seinerzeit noch eine Baustelle, eingerüstet von der Erde bis zum Dach.....
Dass er Weber allerdings noch ein Geld-sowie ein Sachgeschenk gemacht hat, ist bewiesen. Nach dem Tod des Königs wurden diese Geschenke, nebst anderen Geschenken, die Weber schon vorher erhalten hatte, zurückverlangt. Doch Weber nahm sich einen Rechtsanwalt, da haben sie Weber alles gelassen, bis auf die Diamantagraffe für die er Schadensersatz erhielt. Jedenfalls quittierte er den Dienst, kaufte in Stuttgart eine Buchdruckerei und ließ sich dort nieder.
Auch der Alkoholkonsum des Königs wurde schon früh angezweifelt. Selbst ein Mann von Ludwigs Statur und Gewicht wäre sinnlos betrunken gewesen. Rum an sich verursacht schon schwere Räusche, im Zusammenhang mit Champagner eine noch fatalere Mischung. Da schläft man dann schon einige Stunden. Aber die Alkoholgeschichte von Neuschwanstein paßt ausgezeichnet zu der Aussage, dass der König am Abend des 13. Juni viel Alkohol zu sich genommen hätte(woher hatte er denn den?)
Als die zweite Fangkommission in Neuschwanstein eintraf, saß der König beim Essen. Er hatte nicht mehr damit gerechnet, dass eine Zweite Kommission eintreffe würde. Alle Lakaien, auch das Küchenpersonal, wurden nämlich nach der Arretierung des Königs unter Druck gesetzt: sie durften, unter Androhung von Strafe nichts über die letzten beiden Tage zu erzählen.
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