Weiter mit den Ereignissen des 10. Juni 1886.
Der König befiehlt unverzüglich die Gefangennahme der "Fangkommission", Wachtmeister Boppeler macht sich mit acht Mann auf den Weg nach Hohenschwangau, um die Verhaftung durchzuführen.
Gleichzeitig wird ein Telegramm des Königs an Graf Dürckheim, seinen Adjutanten, der gerade auf Urlaub in seinem Schloß in Steingaden weilt, aufgegeben.
In den frühen Morgenstunden wird in München die Regentschaftsproklamation des Prinzen Luitpold bekannt gemacht, gleichzeitig erläßt Luitpold den "Armeebefehl". Beides zusammen zeigen die "Erkrankung" des Königs an und nehmen ihm die Macht aus den Händen. Frank Wedekind schildert in einem Brief an seinen Vater die angespannte, unruhige Lage in München und die Erwartung, dass der König seinen Wächtern entfliehen und sich, unter großem Jubel der Bevölkerung, zeigen werde.
Unterdessen reagiert Minister v. Crailsheim kaltblütig: er zitiert den Telegrafisten Brummer zu sich und überzeugt ihn, indem er auf die Regentschaftsproklamation Luitpolds verweist, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht verkündet ist, nicht mehr dem König zu gehorchen. Damit schneidet er dem König und seiner Umgebung alle Informationswege ab. Der König kann sich nicht mehr des staatlichen Apparats zur Befehslübermittlung bedienen und so keine eigenen Aktionen mehr steuern.
Gegen sechs Uhr morgens kommt Wachtmeister Boppeler in Hohenschwangau an. Er läßt sofort alle Ein- und Ausgänge des Schlosses besetzen, damit stehen alle Mitglieder der Kommisson unter Hausarrest. Der Protest läßt den treuen Wachtmeister ungerührt.
Da kommt ein vom König eigenhändig geschriebener Befehl, ein sog. Kammerbefehl, per Stafette in Hohenschwangau an. Alle Mitglieder der Fangkommission seien unverzüglich nach Neuschwanstein zu bringen. Der König erläßt klare Anweisungen, von den so oft erwähnten angeblichen Befehlen des Königs, die Leute zu peitschen, die Haut abzuziehen und die Augen auszustechen, findet sich kein Wort. Lediglich der Befehl, sie zu fesseln und zu knebeln, lassen die Wut des Königs erahnen.
Dann setzt sich der Zug mit den Gendarmen und deren Gefangenen in Bewegung. Zu Fuß geht es durch den Nieselregen nach Neuschwanstein, vorbei an der feindseligen Bevölkerung, die sich unterdessen versammelt hat. Man sieht es den Menschen an, dass sie nicht übel Lust hätten, die Gefangenen anzugreifen, doch Boppeler gelingt es, sie sicher auf´s Schloß zu bringen und sie in Zimmern im Torbau einzusperren.
Der König hat unterdessen einen Wutausbruch, er läuft im Zimmer auf und ab, kritzelt mit Bleistift Befehle auf ein Blatt Papier. Er erläßt folgende Anordnungen: die Gefangenen sollen gefesselt und geknebelt werden, die Uniformen weggenommen und einzeln eingesperrt werden. Außerdem sollen alle stark geschlagen werden.
Was evtl. ziemlich heftig klingt, ist im Hinblick auf auf die augenblickliche psychische Verfassung des Königs nur zu verständlich.
Gegen zwölf Uhr trifft die Regentschafsproklamation beim Bezirksamtmann Sonntag in Füssen ein. Der macht sich umgehend auf den Weg nach Neuschwanstein, um die Gefangenen auf freien Fuß zu setzen.
Gegen 13.00 Uhr erreicht er das Schloß und teilt den Inhalt Wachtmeister Boppeler mit. Die Freilassung der Gefangenen erfolgt ohne Wissen des Königs, ihre Inhaftierung hat etwa zwei Stunden gedauert.
Zwischen 14.00 und 14.30 Uhr trifft Graf Dürckheim in Neuschwanstein ein und läßt sich beim König melden. Dieser erwartet ihn schon sehnsüchtig und erzählt ihm in gedrückter Stimmung die Ereignisse der letzten 24 Stunden.
Graf Dürckheim ist ein Mann der Tat und schlägt dem König vor, sofort anspannen zu lassen und nach München zu fahren. Dort solle er sich dem Volk zeigen, das ihm zujubeln würde - jede Intrige bräche sofort zusammen. Doch der König zögert. Da schlägt Dürckheim die Flucht nach Tirol, das zu Österreich gehört, vor. Der König lehnt ab, denn er fürchtet, Österreich würde ihm kein Asyl gewähren, außerdem fürchtet er ein unnötiges Blutvergießen.
Unterdessen hat der König ein Telegramm von Hesselschwerdt, dem Verräter, dem er immer noch vertraut, erhalten, der ihn vor dem Erscheinen in München warnt, angeblich bevölkerten sie Sozialisten, mit roten Fahnen in der Hand, die Straßen. Der König fürchtet die Sozialisten und deren Anschläge.
Der König ist völlig apathisch und zu keinem Entschluß mehr fähig.
Persönliches Fazit
Wenn ich über die Vorkommnisse am 10. Juni 1886 lese, so habe ich meine Zweifel an deren Richtigkeit.
Richtig ist, dass die Fangkommission, deren Auftreten doch gesetzeswidrig ist, den Herren sollte doch die Gesetzeslage geläufig gewesen sein, ist, durch den ausgeführten Befehl des Königs arretiert wurden. Natürlich haben sie Angst, als sie in den verschlossenen Zimmern sitzen, Graf Holnstein gibt später zu, er habe zwei Duelle ausgefochten und würde lieber noch andere ausfechten, als nochmals in so einer Lage zu sein.
In München ist die Lage, nach Bekanntmachung der Regentschaftsproklamation, angespannt und unruhig. Die Münchner, die den König doch angeblich nicht mochten, hoffen, dass er seinen Wächtern entkommt und sich in München zeigt.
Unterdessen hat die Proklamation Füssen erreicht, der Bezirkshauptmann sorgt für die unverzügliche Freilassung der Gefangenen, freilich ohne Wissen des Königs. Die Männer sind unversehrt und unverletzt. Später kolportierte Gerüchte über Befehle, die Mißhandlungen wie auspeitschen, Haut abziehen, usw., erweisen sich später, bewiesen durch die handschriftlichen Kammerbefehle des Königs, als gelogen. Ganz klar: dies war ein Mosaikstein an dem Bild des "verrückten Königs", das der Bevölkerung auf diese Weise ein Stückchen schmackhafter gemacht werden sollte.
Ein bischen komisch wird die Sache, als Graf Dürckheim eintrifft. Stunden vorher war der König der tatkräftige Mann, der unverzüglich seine Häscher und Verräter ohne viel Aufhebens gefangen nehmen ließ, jetzt ist er apathisch und angeblich zu keinem Entschluß fähig.
Dürckheim schildert später, wie er in den König gedrungen sei, sofort nach München zu fahren, bzw. nach Tirol zu fliehen, doch der Monarch habe abgelehnt. Ob das Telegramm Hesselschwerdts wirklich so eine entscheidende Rolle gespielt hat?
Oder hatte der König längst andere Pläne? In einem meiner Fachbücher las ich, dass der König am Dienstag nach Pfingsten, das Fest umfaßte in Bayern schon zwei Tage, achtspännig nach München fahren und vor dem Landtag erscheinen wollte, um seine Sache darzulegen. Das wäre für die führende Fraktion, die Bayernpartei, ein gefundenes Fressen gewesen und Lutz wäre mitsamt seinem Kabinett gestürzt. Noch mehr: man hätte ihm und den beteiligten Herrn ohne weiteres einen Prozeß wegen Verrat machen können.
Außerdem: dem König war sicher schon bekannt, dass die Mitglieder der Fangkommission frei und auf dem Rückweg nach München waren, seiner Ansicht nach war von dieser Seite vor Dienstag kein Kommen mehr zu erwarten. Was im Nachhinein auch richtig war: die zweite Fangkommission setzte sich aus anderen Männern zusammen.
Was der König und Dürckheim nun wirklich auf Neuschwanstein bis zur Rückbeorderung Dürckheims besprachen, läßt sich nicht mehr ermitteln. Eine Art Fluchtplan muß existiert haben und man darf auch nicht vergessen, dass sich Dürckheim auch nicht später um Kopf und Kragen reden wollte, nachdem er bei seiner Rückkehr vom König nach München in Gewahrsam genommen wurde. Er macht später übrigens noch eine beachtliche Karriere, denn er starb 1912 als kommandierender General in Metz.
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