Montag, 2. September 2019

Die Schmuckkasette des Königs auf Neuschwanstein - Jus primae noctis

Als ich vorgestern meine König-Ludwig II.-Bücher, es sind zwischenzeitlich 67 Bücher, durchzählte, fiel mir ein ganz alter Schloßführer, vor über 30 Jahren gekauft, von Neuschwanstein in die Hände. Weil eben so ein Büchlein immer dazu anregt, darin zu blättern, blieb ich auf der Leiter sitzen und sah mir die verschiedenen Fotos an. Viele Fotos, die in dem alten Schloßführer noch zu sehen sind, werden heute gar nicht mehr abgedruckt - naja, die Geschmäcker ändern sich eben immer wieder.
Damals wurde das Ankleidezimmer des Königs aus einer ganz anderen Perspektive fotografiert und mir fiel die Schmuckkasette des Königs auf. Darin bewahrte er nicht nur seinen eigenen Schmuck auf, sondern auch Schmuck, Uhren und Juwelen, die er verschenkte. Schließlich ist seine Freigiebigkeit diesbezüglich bekannt.

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Quelle: Desing, Julius - Königsschloß Neuschwanstein (erschienen 1982)

Auf der Vorderseite der Schmuckkasette befindet sich ein einigermaßen merkwürdiges Motiv: Jus primae noctis (Recht der ersten Nacht).
August Spieß, einer der Maler des Königs, schuf nicht nur einige der Fresken auf Neuschwanstein, sondern eben auch, nach einem Gemälde von Jules Arsene Garnier, leicht verändert, dieses Bild.

Hier das Original:
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Quelle: 
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:...retouched).jpg

Das Bild auf der Schmuckkasette des Königs
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Quelle: Desing, Julius - Königsschloß Neuschwanstein (erschienen 1982)


Das einige Figuren von der Mode und den Farben her verändert wurden, sieht man auf den ersten Blick. Und auf den zweiten? Während auf dem Original der Herr, der die weinende Braut ins Schloß führt, ein ziemlich grimmig dreinblickender Mann ist, der von seinem Recht, eben der erste Mann im Leben der Frau zu sein, Gebrauch macht und nicht besonders zartfühlend zu sein scheint, ist diese männliche Figur auf dem zweiten Bild anders.Er blickt eher etwas fürsorglich, beinahe zärtlich, will der Frau die Angst nehmen und - er trägt die Züge des Königs!Klicke auf die Grafik für eine größere Ansicht 

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Quelle: Desing, Julius - Königsschloß Neuschwanstein (erschienen 1982)


Was soll ich nun davon halten? 

Auf den anderen Bildern nehmen die Figuren eher eine zurückhaltende Gestik ein, ein wenig theatralisch, so wie es dem König eben gefiel.
Aber dieses Bild auf der Kasette....der König ließ nichts malen, was er nicht wollte oder befahl...wie oft er etwas ändern ließ, wenn es nicht nach seinem Sinn war, ist oft beschrieben worden, er war ein strenger Bauherr.
"Jus primae noctis"....sah er sich so? Träumte er davon, so zu sein? Oder was ging hinter verschlossenen Türen vor sich? Warum wird der König immer als homosexuell bezeichnet, obwohl auch Briefe existieren, die glühende Liebesbriefe waren?
Merkwürdig: Chapman-Huston durfte sie noch einsehen, dann blieben sie bis heute sie unter Verschluß.

Nahm der König was ihm gefiel? Lustknaben und minderjährige Jungfrauen? So bekäme die Äußerung von Dr. Müller, "moralischer Irrsinn", nochmals eine tiefere Bedeutung.

Sonntag, 1. September 2019

König Ludwig II. - ein vertuschter Kriminalfall? - 48. Teil

Die Ereignisse des 12. Juni 1886

Nach Mitternacht trifft die sog. "2. Fangkommission" ein. Es ist diesmal kein Minister oder Adliger dabei, nur Dr. Gudden, Dr. Müller und mehrere Pfleger. Kammerdiener Mayr eilt ihnen entgegen, da er vermutet, der König würde etwas im Schilde führen. Er hat schon mehrmals den Schlüssel zum Turm verlangt und Mayr vermutet, dass der König Selbstmord verüben will.
Sofort eilt die Kommission ins Schloß, um den König vor sich selbst zu schützen. Der Zugang zum Turm und andere Türen werden gesichert. Jetzt geht Mayr zum König hinein und meldet ihm, der Turmschlüssel sei gefunden worden. Die Fanggruppe hören feste Schritte und schon steht der König in der Tür. Er ist ein Mann von stattlicher Größe, er blickt erstaunt umher.
Die Pfleger und Ärzte gehen auf die Türe zu, sie schneiden dem König den Rückweg ab. Die Pfleger unterfassen sie Arme des Königs mit weißen Handschuhen. Dazu muß man wissen, dass damals Pfleger unterrichtet wurden, widerspenstige Patienten mit Druck auf die Schmerzpunkte am Arm, "ruhigstellen" konnten, denn die Griffe waren sehr schmerzhaft.
Jetzt tritt Dr. Gudden vor und unterrichtet den König von seinem Auftrag. Er, der König, sei von vier Irrenärzten begutachtet worden und auf Grund der Erkrankung des Königs habe Prinz Luitpold die Regentschaft übernommen. Er würde jetzt nach Schloß Berg verbracht werden.
Der König ist zunächst sprachlos, erschrickt. Der König wird in sein Schlafzimmer zurückgeführt, angeblich riecht es dort sehr stark nach Arrak. Der König steht wortlos da, er schwankt leicht - die Nachricht hat ihn bis ins innerste Mark getroffen.
Gudden spricht mit dem König, der sich nach seinem Bruder erkundigt. Wie er spricht, was er spricht, ist logisch und zusammenhängend. Dann stellt er Gudden die Frage, wie er ihn denn für geisteskrank erklären könne, er habe ihn weder angesehen noch untersucht.
Gudden antwortet mit der klassischen Ausrede: das sei gar nicht notwendig gewesen, das Aktenmaterial sei sehr reichhaltig, geradezu erdrückend.
Der König erkennt, dass es sich um ein Komplott, um einen Staatsstreich handelt. Er hakt nach: wie Gudden, als gewissenhafter Nervenarzt, so gewissenlos sein könne, ein derartiges Zeugnis auszustellen, er habe ihn seit zwölf Jahren nicht gesehen. Der Mediziner verweist auf die Aussagen der Dienerschaft.
Der König geht im Zimmer auf und ab, spricht mit den Pflegern, stellt verschiedene Fragen, auch privater Natur. 
Es ist vier Uhr, als die Wagen vorfahren, die den König nach Schloß Berg bringen sollen. Der König zieht seinen dunklen Überzieher an, setzt den schwarzen Hut mit der Brilliantagraffe auf und bricht mit seinen Begleitern auf. Auf dem Weg in den Burghof verabschiedet er sich mit kurzen Worten bei all jenen, die ihm treu waren.
Dann besteigt der König die für ihn vorgesehene Kutsche, am Boden sind Fußfesseln befestigt und die Wagentüren können nur von außen geöffnet werden. Alle Anderen besteigen ebenfalls ihr Kutschen.
Im ersten Wagen sitzen zwei Oberregierungsräte, Müller und Koppelstädter, sowie der Stallmeister Lefeldt.
Im zweiten Wagen Dr. Müller, der Kammerdiener Mayr, sowie die Pfleger Braun und Schneller.
Im dritten Wagen sitzt der König alleine, auf dem Bock neben dem Kutscher Oberpfleger Barth. Neben dem Wagen reitet der ehemalige kgl. Vorreiter Schwegler. Er hat den Auftrag, den König zu beobachten.
Im vierten Wagen befinden sich Dr. Gudden, die Pfleger Mauder und Hack, sowie der Gendameriehauptmann Hack.

Die achtstündige Fahrt bei strömendem Regen verläuft ereignislos. Allerdings sind auf der Fahrtroute Patrouillen eingesetzt, an jeder Poststation, dort werden die Pferde gewechselt, sind zwei Gendarmen anwesend.
Während des Umspannens in Seeshaupt grüßt der König freundlich die sich ansammelnden Sommerfrischler und Ortseinwohner, etwa 30 Personen, aus dem Wagen.
Plötzlich winkt er die in ziemlicher Entfernung stehende, ihm von früheren Aufenthalten bekannte, Posthalterin Anna Vogl heran. Er öffnet das Wagenfenster und unterhält sich kurz mit ihr.
Schließlich bittet er sie um ein Glas Wasser. Nachdem er getrunken hat, gibt er das Glas zurück und sagt dreimal: "Danke!"
Anna Vogl bewahrte das Glas als Familienerbstück auf.

Gegen 12.30 Uhr trifft die Wagenkolonne vor dem Schloßtor ein. Die Kolonne passiert das Tor, dass sich hinter den Wagen schließt. 
In der Ortschaft Berg ist Militär anwesend, es herrscht nach Anbruch der Nacht Ausgehverbot und man darf der Schloßmauer nicht nahe kommen.

Persönliches Fazit

Das Eintreffen und die Handlungen der "2. Fangkommission" sind samt und sonders rechtswidrig. Gudden nimmt sich Vollmachten und Rechte heraus, die er gar nicht hatte und die ein Arzt selbst zu dieser Zeit nicht bekommen würde. Für die Einweisung eines Patienten gab es weite rechtliche Vorgaben, die auch Dr. Gudden bekannt waren.
Der König verhält sich beim Eintreffen der Fanggruppe eigentlich sehr ruhig, er spricht ruhig und logisch, stellt vernünftige Fragen. Er sieht sich in seiner früheren Vermutung bestätigt, dass er das Opfer eines Komplotts, eines Staatsstreichs ist. Man weiß nicht, was er mit Graf Dürckheim geplant hat, er gibt sich willig, ja schon willfährig.
Das Gerücht, er habe Alkohol in reichlichem Maße getrunken, eine Bowle sowie Arrak, darf man getrost ins Reich der Fabeln verweisen. Wie ich schon schrieb, verursacht Arrak, also Rum, schwere Räusche. In so einem Zustand kann man kein ruhiges, geschweige denn logisches, Gespräch führen. Man könnte nicht geradeaus laufen oder eine Treppe herunterlaufen. Man wollte schließlich nur noch eines: seinen Rausch ausschlafen. 
Der König zieht sich an, geht zum Wagen, steigt ein und er meint nur, er hätte sich einen bequemeren Wagen gewünscht. Dann geht es los. Der König bleibt auch die Fahrt über ruhig, fast entspannt, was mag ihm durch den Kopf gegangen sein?
Wer in so einem Zustand seinem Gefängnis, seiner Internierung entgegenfährt, hat sozusagen einen Joker im Ärmel. Er weiß, dass ein Aufenthalt nur von kurzer Dauer sein wird, wozu sich also aufregen.
In Seeshaupt, der Relaisstation für den letzten Pferdewechsel, gibt sich der König aus dem Wagen heraus sehr leutselig. Seine Bewacher wissen, dass er nicht entkommen kann, er kann nicht einmal die Kutsche alleine verlassen. Mag er sich also ruhig mit den Leuten abgeben, sie grüßen, vielleicht sogar ein paar Worte wechseln, da droht keine Gefahr.
Es rührt sich auch nichts, als er die Posthalterin heranwinkt, sich mit ihr unterhält, sie um ein Glas Wasser bittet. Wir wissen nicht, was die Ärzte, die Pfleger, der Gendarm in Seeshaupt machen. Evtl. vertreten auch sie sich die Beine, treten aus, trinken etwas, jedenfalls sind sie nicht sonderlich aufmerksam.
Nachdem der König das Glas ausgetrunken hat, bedankt er sich dreimal bei der Posthalterin. Ein Codewort, eine kurze Ablenkung der Fangkommission? 
Wir wissen auch nicht, wer unter den Sommerfrischlern, den Ortseinwohnern war - ein Zeichen ist schnell gemacht, ein Wort gesprochen. Die nachfolgenden Ereignisse zeigen aber, dass etwas geschehen sein muß.

Und: nachdem sich die Schloßtore hinter den Kutschen geschlossen hatten, sah kein außenstehender Mensch den König mehr lebendig.

König Ludwig II. ein vertuschter Kriminalfall? - 47. Teil

Weitere Ereignisse vom 10./11. Juni

Da kommt Dürckheim eine glänzende Idee: er läßt durch den Chevauleger Weber vorsichtshalber, in seinem Namen, Telegramme aus Reutte/Österreich und aus Vils/Tirol absenden. Empfänger sind Fürst Bismarck, Prinz Ludwig Ferdinand, Oppositionsführer Baron Franckenstein, der gerade in Marienbad weilt, Geheimsekretär Heiß, sowie Kaiserin Elisabeth. 
Baron Franckenstein macht sich sofort auf den Weg, wird aber in München an der Weiterreise gehindert, Bismarck empfiehlt, nach Rücksprache mit den Kaiser, sofort nach München zu fahren, die Antworten der anderen Empfänger sind unbekannt.
In München reagiert man nun schnell: für den König wird Postsperre angeordnet, d.h., er kann keine Telegramme mehr versenden oder empfangen. Und noch ein Telegramm geht ab, an den Grafen Dürckheim. Es kommt von Kriegsminister Heinleth, darin fordert er den Offizier auf, sofort in den Hauptstadt zurückzukehren, sonst würde er des Hochverrats angeklagt. 
Der König befiehlt Dürckheim nach München zu reisen, da sonst die Zukunft seines Vertrauten verloren ist, aber er bittet ihn, ihm noch Gift zu besorgen, Zyankali. Das ist damals frei in den Apotheken erhältlich. Dürckheim verneint und reist ab, wird aber bei seiner Ankunft am Münchner Hauptbahnhof verhaftet und ins Militärgefängnis überstellt.
Unterdessen bleibt man in München nicht untätig, man berät über das weitere Vorgehen gegen den König. Ministerpräsident Lutz, Prinz Luitpold und vor allem Dr. Gudden, beschließen, diesmal mit einer Abordnung aus Ärzten und Pflegern nach Neuschwanstein zu fahren. Dort soll der König in Verwahrung genommen werden und nach Schloß Berg transportiert werden. Berg ist für Dr. Gudden bequem erreichbar, man kann das Schloß gut überwachen und die Bevölkerung kann leichter eingeschüchtert werden.

Nun dämmert der Morgen des 11. Juni herauf. 
Der König befindet sich im Zustand abgrundtiefer Verzweiflung. In Gedanken malt er sich seine bevorstehende Absetzung aus. Der Wunsch zu sterben verstärkt sich ständig, nun befiehlt er Kammerdiener Mayr, möglichst viel Gift zu besorgen. Mayr antwortet, dass er ohne Rezept nichts mehr aus der Apotheke erhalte.
Im Laufe des Nachmittags beruhigt sich der König und gibt Mayr die Anordnung, um 18.00 Uhr im Sängersaal speisen zu wollen.
Unterdessen haben sich, bis aus vier Personen, Kammerlakei Mayr, Chevauleger Weber und die Schloßverwalter Stichel und Niggl, alle Lakaien das Schloß verlassen. 
In dieser Einsamkeit kommt der König auf seine Selbstmordgedanken zurück. Er verlangt vom Küchenpersonal ein großes Messer. Dann setzt er sich allein und in aller Stille zum Abendessen an den Tisch.
Danach schreitet er ab dem frühen Abend im Thronsaal auf und ab, Chevauleger Weber ist bei ihm. Zuweilen richtet der König das Wort an ihn, er spricht über die Unsterblichkeit der Seele, das Jenseits und an die Vergeltung. 
Dann betritt er immer wieder den Balkon, genießt das herrliche Panorama, bis es bei Einbruch der Nacht zu regnen beginnt. Gegen 21.00 Uhr läßt sich der König eine Kanne Rum mit Gewürznelken und eine Flasche Champagner bringen. Er trinkt alles durcheinander.
Dann befiehlt er Mayr, den Schlüssel zum Turm zu bringen. Der mutmaßt, der König wolle sich in die Tiefe stürzen und hält den König mit der Lüge, der Schlüssel sei verlegt worden, hin.
Dann läßt Ludwig den 24jährigen Alfons Weber zu sich in sein Arbeitszimmer kommen. Weber hat Vorzimmerdienst, von Beruf ist er eigentlich Schriftsetzer. Der könig nimmt aus dem Schreibtisch 1200 Goldmark und legt sie ihm hin:
"Hier hast du mein letztes, du hast es verdient, du warst mein Getreuester. Nimm es nur, ich brauche kein Geld mehr." 
Weber beginnt zu weinen, der König schenkt ihm jetzt auch noch eine seiner diamantenen Hutagraffen:
"Nimm diese Agraffe und den Schuldschein. Sollte man dich zwingen, die Diamanten auszuliefern, so wird dir mein Dokument einen Schadensersatz von 25.000 Mark sichern!"
Nun reicht er Weber ein kleines, viel benütztes Gebetbuch, die Sterbegebete sind aufgeschlagen:
"Bete für mich!"

Draußen geht der Wind, schwere Regengüsse rauschen auf das Schloß herab.

Persönliches Fazit

Nach der ersten "Pleite" scheint man in München nun fest entschlossen, den Staatsstreich gegen den König durchzuführen. Dr. Gudden prescht dabei unverhältnismäßig weit vor, denn er ist weder Beamter noch Minister. Im Grunde dürfte er ohne das Beisein eines Ministers diese ohnehin widerrechtliche Aktion gar nicht durchführen. Doch ihm scheint dies alles egal zu sein, kein Wunder, denn er hat schon so viele Vorschriften und Gesetze gebrochen, dass ihm eine weitere Aktion dieser Art nichts auszumachen scheint.
Angeblich hatte man als Aufenthaltsort des Königs ursprünglich Schloß Linderhof gewählt, sich dann aber für Schloß Berg entschieden. In den Wochen vor der Gefangennahme des Königs hatte man dort schon Vorkehrungen getroffen, das Schloß in einen Aufbewahrungsort zu verwandeln.
Nun zu den aus dem Ausland abgesandten Telegrammen. Dass sie existieren, bzw. existiert haben, ist sicher. Nur: wie umfangreich war der Telegrammverkehr wirklich? Was für Fragen, Antworten und Pläne wurden noch ausgetauscht? Dass ein Fluchtplan für den König existiert hat, ist für mich sicher. Kaiserin Elisabeth konnte sehr tatkräftig sein, wenn sie das wollte und es gibt eine Bestätigung von Prinzessin Therese, der Tochter von Prinzregent Luitpold, dass die Kaiserin in die Flucht eingeweiht war. Das erzählte Prinzessin Therese nach dem I. Weltkrieg, als man ihr nicht mehr gefährlich werden konnte. Wie bekannt, ging man mit ihr nicht gerade zimperlich um, als sie sich resolut gegen den I. Weltkrieg aussprach. Man verbot ihr weitere Äußerungen, sonst würde sie im Irrenhaus landen.....
Ob der König wirklich zum Selbstmord entschlossen war, bezweifle ich. Er hätte dazu kein Gift benötigt und auch nicht vom Turm springen müssen. Das angeblich verlangte große Küchenmesser wäre glänzend dazu geeignet gewesen, sich die Pulsadern aufzuschneiden oder es sich in das Herz zu stoßen. Für einen Sprung in die Tiefe hätte der Balkon auch eine Möglichkeit geboten. Zudem war das Schloß seinerzeit noch eine Baustelle, eingerüstet von der Erde bis zum Dach.....
Dass er Weber allerdings noch ein Geld-sowie ein Sachgeschenk gemacht hat, ist bewiesen. Nach dem Tod des Königs wurden diese Geschenke, nebst anderen Geschenken, die Weber schon vorher erhalten hatte, zurückverlangt. Doch Weber nahm sich einen Rechtsanwalt, da haben sie Weber alles gelassen, bis auf die Diamantagraffe für die er Schadensersatz erhielt. Jedenfalls quittierte er den Dienst, kaufte in Stuttgart eine Buchdruckerei und ließ sich dort nieder.
Auch der Alkoholkonsum des Königs wurde schon früh angezweifelt. Selbst ein Mann von Ludwigs Statur und Gewicht wäre sinnlos betrunken gewesen. Rum an sich verursacht schon schwere Räusche, im Zusammenhang mit Champagner eine noch fatalere Mischung. Da schläft man dann schon einige Stunden. Aber die Alkoholgeschichte von Neuschwanstein paßt ausgezeichnet zu der Aussage, dass der König am Abend des 13. Juni viel Alkohol zu sich genommen hätte(woher hatte er denn den?)
Als die zweite Fangkommission in Neuschwanstein eintraf, saß der König beim Essen. Er hatte nicht mehr damit gerechnet, dass eine Zweite Kommission eintreffe würde. Alle Lakaien, auch das Küchenpersonal, wurden nämlich nach der Arretierung des Königs unter Druck gesetzt: sie durften, unter Androhung von Strafe nichts über die letzten beiden Tage zu erzählen.

König Ludwig II. - ein vertuschter Kriminalfall? - 46.Teil

Weiter mit den Ereignissen des 10. Juni 1886.

Der König befiehlt unverzüglich die Gefangennahme der "Fangkommission", Wachtmeister Boppeler macht sich mit acht Mann auf den Weg nach Hohenschwangau, um die Verhaftung durchzuführen.
Gleichzeitig wird ein Telegramm des Königs an Graf Dürckheim, seinen Adjutanten, der gerade auf Urlaub in seinem Schloß in Steingaden weilt, aufgegeben.
In den frühen Morgenstunden wird in München die Regentschaftsproklamation des Prinzen Luitpold bekannt gemacht, gleichzeitig erläßt Luitpold den "Armeebefehl". Beides zusammen zeigen die "Erkrankung" des Königs an und nehmen ihm die Macht aus den Händen. Frank Wedekind schildert in einem Brief an seinen Vater die angespannte, unruhige Lage in München und die Erwartung, dass der König seinen Wächtern entfliehen und sich, unter großem Jubel der Bevölkerung, zeigen werde.
Unterdessen reagiert Minister v. Crailsheim kaltblütig: er zitiert den Telegrafisten Brummer zu sich und überzeugt ihn, indem er auf die Regentschaftsproklamation Luitpolds verweist, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht verkündet ist, nicht mehr dem König zu gehorchen. Damit schneidet er dem König und seiner Umgebung alle Informationswege ab. Der König kann sich nicht mehr des staatlichen Apparats zur Befehslübermittlung bedienen und so keine eigenen Aktionen mehr steuern.
Gegen sechs Uhr morgens kommt Wachtmeister Boppeler in Hohenschwangau an. Er läßt sofort alle Ein- und Ausgänge des Schlosses besetzen, damit stehen alle Mitglieder der Kommisson unter Hausarrest. Der Protest läßt den treuen Wachtmeister ungerührt.
Da kommt ein vom König eigenhändig geschriebener Befehl, ein sog. Kammerbefehl, per Stafette in Hohenschwangau an. Alle Mitglieder der Fangkommission seien unverzüglich nach Neuschwanstein zu bringen. Der König erläßt klare Anweisungen, von den so oft erwähnten angeblichen Befehlen des Königs, die Leute zu peitschen, die Haut abzuziehen und die Augen auszustechen, findet sich kein Wort. Lediglich der Befehl, sie zu fesseln und zu knebeln, lassen die Wut des Königs erahnen.
Dann setzt sich der Zug mit den Gendarmen und deren Gefangenen in Bewegung. Zu Fuß geht es durch den Nieselregen nach Neuschwanstein, vorbei an der feindseligen Bevölkerung, die sich unterdessen versammelt hat. Man sieht es den Menschen an, dass sie nicht übel Lust hätten, die Gefangenen anzugreifen, doch Boppeler gelingt es, sie sicher auf´s Schloß zu bringen und sie in Zimmern im Torbau einzusperren.
Der König hat unterdessen einen Wutausbruch, er läuft im Zimmer auf und ab, kritzelt mit Bleistift Befehle auf ein Blatt Papier. Er erläßt folgende Anordnungen: die Gefangenen sollen gefesselt und geknebelt werden, die Uniformen weggenommen und einzeln eingesperrt werden. Außerdem sollen alle stark geschlagen werden.
Was evtl. ziemlich heftig klingt, ist im Hinblick auf auf die augenblickliche psychische Verfassung des Königs nur zu verständlich. 
Gegen zwölf Uhr trifft die Regentschafsproklamation beim Bezirksamtmann Sonntag in Füssen ein. Der macht sich umgehend auf den Weg nach Neuschwanstein, um die Gefangenen auf freien Fuß zu setzen. 
Gegen 13.00 Uhr erreicht er das Schloß und teilt den Inhalt Wachtmeister Boppeler mit. Die Freilassung der Gefangenen erfolgt ohne Wissen des Königs, ihre Inhaftierung hat etwa zwei Stunden gedauert.
Zwischen 14.00 und 14.30 Uhr trifft Graf Dürckheim in Neuschwanstein ein und läßt sich beim König melden. Dieser erwartet ihn schon sehnsüchtig und erzählt ihm in gedrückter Stimmung die Ereignisse der letzten 24 Stunden. 
Graf Dürckheim ist ein Mann der Tat und schlägt dem König vor, sofort anspannen zu lassen und nach München zu fahren. Dort solle er sich dem Volk zeigen, das ihm zujubeln würde - jede Intrige bräche sofort zusammen. Doch der König zögert. Da schlägt Dürckheim die Flucht nach Tirol, das zu Österreich gehört, vor. Der König lehnt ab, denn er fürchtet, Österreich würde ihm kein Asyl gewähren, außerdem fürchtet er ein unnötiges Blutvergießen.
Unterdessen hat der König ein Telegramm von Hesselschwerdt, dem Verräter, dem er immer noch vertraut, erhalten, der ihn vor dem Erscheinen in München warnt, angeblich bevölkerten sie Sozialisten, mit roten Fahnen in der Hand, die Straßen. Der König fürchtet die Sozialisten und deren Anschläge.
Der König ist völlig apathisch und zu keinem Entschluß mehr fähig.

Persönliches Fazit

Wenn ich über die Vorkommnisse am 10. Juni 1886 lese, so habe ich meine Zweifel an deren Richtigkeit. 
Richtig ist, dass die Fangkommission, deren Auftreten doch gesetzeswidrig ist, den Herren sollte doch die Gesetzeslage geläufig gewesen sein, ist, durch den ausgeführten Befehl des Königs arretiert wurden. Natürlich haben sie Angst, als sie in den verschlossenen Zimmern sitzen, Graf Holnstein gibt später zu, er habe zwei Duelle ausgefochten und würde lieber noch andere ausfechten, als nochmals in so einer Lage zu sein.
In München ist die Lage, nach Bekanntmachung der Regentschaftsproklamation, angespannt und unruhig. Die Münchner, die den König doch angeblich nicht mochten, hoffen, dass er seinen Wächtern entkommt und sich in München zeigt.
Unterdessen hat die Proklamation Füssen erreicht, der Bezirkshauptmann sorgt für die unverzügliche Freilassung der Gefangenen, freilich ohne Wissen des Königs. Die Männer sind unversehrt und unverletzt. Später kolportierte Gerüchte über Befehle, die Mißhandlungen wie auspeitschen, Haut abziehen, usw., erweisen sich später, bewiesen durch die handschriftlichen Kammerbefehle des Königs, als gelogen. Ganz klar: dies war ein Mosaikstein an dem Bild des "verrückten Königs", das der Bevölkerung auf diese Weise ein Stückchen schmackhafter gemacht werden sollte.
Ein bischen komisch wird die Sache, als Graf Dürckheim eintrifft. Stunden vorher war der König der tatkräftige Mann, der unverzüglich seine Häscher und Verräter ohne viel Aufhebens gefangen nehmen ließ, jetzt ist er apathisch und angeblich zu keinem Entschluß fähig.
Dürckheim schildert später, wie er in den König gedrungen sei, sofort nach München zu fahren, bzw. nach Tirol zu fliehen, doch der Monarch habe abgelehnt. Ob das Telegramm Hesselschwerdts wirklich so eine entscheidende Rolle gespielt hat?
Oder hatte der König längst andere Pläne? In einem meiner Fachbücher las ich, dass der König am Dienstag nach Pfingsten, das Fest umfaßte in Bayern schon zwei Tage, achtspännig nach München fahren und vor dem Landtag erscheinen wollte, um seine Sache darzulegen. Das wäre für die führende Fraktion, die Bayernpartei, ein gefundenes Fressen gewesen und Lutz wäre mitsamt seinem Kabinett gestürzt. Noch mehr: man hätte ihm und den beteiligten Herrn ohne weiteres einen Prozeß wegen Verrat machen können. 
Außerdem: dem König war sicher schon bekannt, dass die Mitglieder der Fangkommission frei und auf dem Rückweg nach München waren, seiner Ansicht nach war von dieser Seite vor Dienstag kein Kommen mehr zu erwarten. Was im Nachhinein auch richtig war: die zweite Fangkommission setzte sich aus anderen Männern zusammen. 
Was der König und Dürckheim nun wirklich auf Neuschwanstein bis zur Rückbeorderung Dürckheims besprachen, läßt sich nicht mehr ermitteln. Eine Art Fluchtplan muß existiert haben und man darf auch nicht vergessen, dass sich Dürckheim auch nicht später um Kopf und Kragen reden wollte, nachdem er bei seiner Rückkehr vom König nach München in Gewahrsam genommen wurde. Er macht später übrigens noch eine beachtliche Karriere, denn er starb 1912 als kommandierender General in Metz.

König Ludwig II. - ein vertuschter Kriminalfall? - 45. Teil

Eine Zwischenbilanz - Teil 2

Am 19. Mai 1886 vernimmt Graf Holnstein Kammerdiener Welker. Versicherungsdirektor Kleeberg hatte dem König bereits im März 20 Millionen angeboten, aber nichts von ihm gehört. Er schreibt daher an Bismarck, dass mit dem König "ein eigenthümliches Spiel getrieben werde. Bismarck rät Ludwig II. zur Sparsamkeit und zur vorübergehenden Einstellung seiner Bautätigkeit.

Am 20. Mai 1886 fragt Dr. Gudden vertraulich bei den Psychiatern Dr. Grashey, Dr. Hubrich und Dr. Hagen an, ob sie zur Mitwirkung am psychiatrischen Gutachten über den Geisteszustand des Königs bereit seien. Alle Drei sagen zu.

Mit Dr. Müller, seinem Assistenzarzt, spricht er am 24. Mai 1886 weit über eine Stunde vom König, des er für krank hält, für verrückt und dass des Königs Krankheit der des Prinzen Otto sehr ähnlich sei.

Bismarck entscheidet am 25. Mai 1886, dass sich Preussen und das Deutsche Reich nicht in den "Fall Ludwig II." einmischen wird.

28. Mai 1886: man sucht, das die Zeit knapp wird, händeringend weitere Zeugen für das psychiatrische Gutachten. Aber Graf Drückheim, Hofsekretär Bürkel, Kammerdiener Mayr und der ehemalige Vertraute des Königs, Hornig, verweigern die Aussage.

Der König, der von alledem nichts ahnt, reist zunächst am 1. Juni 1886 nach Hohenschwangau und verlegt sein Hoflager am 2. Juni 1886nach Neuschwanstein, wo er sich bis 12. Juni 1886 aufhält.

In der Zwischenzeit haben folgende Zeugen für das Gutachten ausgesagt: Friedrich von Ziegler, Ludwig von Müller, Kammerdiener Welker, Friedrich von Thelemann, Stallmeister Richard Hornig und natürlich Marstallfourier Karl Hesselschwerdt.

Der König bearbeitet, wie immer und bis zu seiner Verhaftung gewissenhaft die ihm vorgelegten Akten. Er unterzeichnet sie nicht nur, sondern versieht die Dokumente mit Anmerkungen und Empfehlungen. Bis zu seiner Entmündigung am 10. Juni 1886 bleibt er ein verlässlicher Bearbeiter aller Verwaltungsangelegenheiten, er genehmigt beispielsweise eine Kirchenkollekte zur Erbauung einer Kirche in Otterbach im Bezirksamt Kaiserslautern, mit einer anderen Anweisung verbietet er das Feuermachen auf dem Tegelberg, da bei der trockenen Witterung sehr leicht ein Waldbrand entstehen kann. Von dem gegen ihn geschmiedeten Komplott ahnt er nichts.

Am 7. Juni 1886 werden, zusammen mit Prinz Luitpold, alles Modalitäten zur Entmündigung des Königs in die Wege geleitet, von der Übernahme der Regentschaft durch den Prinzen bis hin zur Unterbringung des Königs. Außerdem wird Gudden mit der Erstellung des Gutachtens beauftragt.
Noch in derselben Nacht, nach einer ausgiebigen Geburtstagsfeier des Dr. Gudden, erstellt dieser, ohne seine Kollegen Grashey, Hubrich, Huber und Müller das Gutachten.

Am Morgen des 8. Juni 1886 unterzeichnen Müller, Huber, Hubrich und Grashey das Gutachten, das ihr Chef in der Nacht erstellt hat. Sie geben später zu Protokoll, dass sie davon überzeugt waren, dass alles seine Richtigkeit habe.

Am Nachmittag des 9. Juni 1886 macht sich die Fangkommission, wie man sie später nennt, reisefertig. Insgesamt elf Personen machen sich auf den Weg: fünf Beamte (Crailsheim, Törring-Jettenbach, Holnstein, Rumpler, Washignton), zwei Ärzte (Gudden, Müller) und vier Krankenpfleger (Braun, Mauder, Scheller, Hack). Etwa um 23.00 Uhr kommen sie in Hohenschwangau an. 

Doch anstatt sich für den kommenden Tag vorzubereiten und dann ins Bett zu gehen, essen die Herrschaften gegen 0.30 Uhr, es ist also schon der 10. Juni 1886. Man unterhält sich und um ca. 1.00 Uhr inspiziert Holnstein den Pferdestall. Dort trifft der den Kutscher Osterholzer, der soeben die Pferde vor die Kutsche des Königs spannen will. Holnstein gibt ihm den Befehl, die Pferde auszuspannen und als sich Osterholzer auf den König beruft, antwortet Holnstein, dass der König nichts mehr zu sagen habe, nur noch Prinz Luitpold. Osterholzer spannt die Pferde aus und erfährt von Burgwart Schramm, dass mit der Gruppe vier Irrenwärter mitgekommen sind.
Osterholzer läuft sofort den Waldpfad hinauf, der nach Neuschwanstein führt und erreicht die Burg gegen 1.20 Uhr. Aufgeregt stürzt er ins Speisezimmer und erstattet dem König, der ihn zunächst nicht erkennt, Bericht. Ludwig gibt Alarm und läßt das Schloß absperren, außerdem wird die Gendameriemannschaft der Brigade Füssen alamiert und die Feuerwehren der umliegenden Dörfer zusammengezogen.
Gegen 3.00 Uhr entdeckt Holnstein das Fehlen des Kutschers Osterholzer und benachrichtigt Crailsheim. Der informiert alle Anderen und man macht sich, früher als vorgesehen, auf den Weg nach Neuschwanstein.
Ludwig beobachtet, zusammen mit zwei Leibdiener, Rutz und Hitl, das Nahen der Fangkommission. Die Wagen halten vor dem Schloßportal, davor haben sich acht Gendarmen zu Fuß und zwei zu Pferd postiert. Sie haben die Bajonette aufgepflanzt, die Gewehre geladen und verweigern der Fangkommission höflich den Entritt. Die Kommission pocht auf ihr Beglaubigungschreiben, doch das beeindruckt den Wachtmeister Heinz nicht, er kenne nur eine Order und die komme vom König. Jetzt wollen sich die Herren gewaltsam Eintritt verschaffen, da reißt der Wachmeister sein Gewehr hoch, andere Gendarmen drängen vor. Einen Irrenwärter trifft ein Kolbenstoß, da fällt ihm ein Fläschchen aus der Hand, man riecht das Chloroform.
Da braust auch noch Baronin Spera heran, schwingt ihren Regenschirm und überschüttet die Herren der Fangkommission, die sie von München her kennt, mit den heftigsten Vorwürfen wegen ihres illegalen Verhaltens. Schließlich gelingt es ihr, Zutritt zum Schloß zu bekommen. Sie fällt vor dem König auf die Knie , der hebt sie freundlich auf und beruhigt sie. Da erzählt die alte Dame was sie am Burgtor erlebt hat und als die Namen Crailsheim und Holnstein hört, gerät er in helle Wut.
Vor dem Schloßportal ist mittlerweile für die Fangkommssion eine ungemütliche Situation entstanden, denn nun kommen Männer, vor allem Bauern, Frauen und sogar Kinder zum Schloß herauf und bedrohen die Kommission. 
Zornig, gedemütigt und naß bis auf die Haut, beschließt man, sich nach Hohenschwangau zurückzuziehen.

Persönliches Fazit

Wie man heute weiß, hat der König seine Verwaltungsaufgaben in keiner Weise vernachlässigt, wie man ihm so gerne unterschieben wollte. was fleißig und gewissenhaft. Er war als Bauherr auch Unternehmer, der Firmen viele Aufträge erteilte und so auch Menschen in Lohn und Brot brachte.
Ein Mann, zwei Berufe! Nach übereinstimmenden Berichten war der König als Bauherr ebenso gewissenhaft wie in der Erledigung seiner Verwaltungsaufgaben und brachte seine Architekten und Maler oft an den Rand der Verzweiflung.
Sicher, er hatte Schulden durch seine Geldanleihen beim Staat gemacht, aber wenn er das gleiche Geld für Mätressen, uneheliche Kinder und Bauten in München ausgegeben, dann hätte man das eher beklatscht, denn kritisiert.
Er war auch keinesfalls für seine Untertanen unsichtbar, jedenfalls nicht für die Landbevölkerung und nur die Stadtbevölkerung bekam ihn nur sehr selten zu Gesicht, was diese ihm sehr verübelte - der Klatsch und die Gerüchte wucherten sehr üppig.
Auch das Gerede, dass der König den Tag zur Nacht und umgekehrt machte, halte ich für übertrieben. Vielleicht war es noch möglich, mit den Architekten in der Nacht zu sprechen, aber die Bauarbeiter und Maler haben am Tag gearbeitet. Der König beobachtete sie, z. B., mit einem Fernrohr von Hohenschwangau auf der Baustelle Neuschwanstein.
Keinesfalls ist es zu verstehen, dass sich Minister und ehemalige Freunde für "Zeugenaussagen" hergaben. Bismarck hat es im Nachhinein als Zettel aus Papierkörben und Toiletten bezeichnet. Das Verhalten der "Zeugen" erinnert stark an einen modernen "Shitstorm", wie er heute oft im Internet zu finden ist. Ich bin überzeugt, dass nicht nur persönliche Aversionen bei den Aussagen eine Rolle spielte, sondern vor allem die Lust, einen Menschen ins Verderben zu stürzen, wie man einen edlen Hirsch bis zum Tode hetzt.
Eine ganz zwielichtige Persönlichkeit ist in diesem Fall Dr. Gudden. Er hatte vom König, der ihn als den besten Arzt für seinen kranken Bruder bestellte, Beweise königlicher Huld erhalten. Er hätte zufrieden sein können: ein schönes Haus, eine Familie, die gedieh, einen einträglichen Posten, verbunden mit einem ansehnlichen Salär und der persönliche Adelstitel. 
Und doch setzt sich dieser Mann über die damals schon gesetzlichen Schritte hinweg, die zur Entmündigung eines Menschen führte. Angefangen bei den ärztlichen Vorschriften, zu der unbedingt eine persönliche Untersuchung zählte, bis hin zur richterlichen Genehmigung eines Amtsgerichts, einen nachweislich Kranken unter Kuratel zu stellen. Außerdem schreibt Gudden das Gutachten nach a) seiner Geburtstagsfeier und b) unter Ausschluß dreier Irrenärzte, deren Unterstützung er sich vorher versichert hat. Da hat man also nicht Krankenakten gewälzt und Aussagen auf die Richtigkeit überprüft, sondern die Unterschrift unter ein Schriftstück gesetzt, das über das weitere freie Leben eines Menschen entschied. Als Entschuldigung wurde später angeführt, dass man geglaubt habe, der "Chef" hätte schon alles richtig gemacht.
Wie eilig es die Fangkommission hatte, ihr Unrecht in die Tat umzusetzen, sieht man beim ersten Versuch der Fangkommission. Die wußten sehr wohl, was sie taten, deswegen die Hetze und die Eile. Wo lag nun der wirkliche Grund für die Entmündigung? Schulden, Homosexualität? Selbst wenn man das gesellschaftliche Wertesystem dieser Zeit betrachtet, ist das nicht ausreichend. Homosexualiät wurde, auch wenn man nach außen ein tadelloses Familienleben führte, im Geheimen betrieben. Die Entschädiungssumme, die man nach dem Krieg von 1866 an Preußen bezahlte, war ebenso hoch wie die Schulden des Königs, wurde aber ohne Murren bezahlt. Was war nun so entsetzlich, dass man den König entmündigen wollte? Das beantworte ich noch ausführlich.

König Ludwig II. Tod - ein vertuschter Kriminalfall? - 44. Teil

Eine Zwischenbilanz – Teil 1

Bevor ich dazu komme, mich mit den ungeklärten Stunden, also ab 18:30 Uhr des Pfingstsonntag, 13. Juni 1886, zu beschäftigen, ziehe ich noch eine Zwischenbilanz.

Ein ganz wesentlicher Grund, den König zu entmündigen, sind seine Bauvorhaben, die bereits 1865 ihren Anfang genommen haben:

- die Ausgestaltung der königlichen Wohnung in der Münchner Residenz
- die Gestaltung des Nibelungenganges
- Bau des Wintergartens
- Königshaus Schachen

Die kleinen Bauvorhaben verursachen noch keine Schulden.

Die eigentliche Verschuldung beginnt in den Jahren 1875 bzw. 1876 mit dem Baubeginn folgender Projekte:

- Schloß Neuschwanstein ( 6, 2 Millionen Mark)
- Schloß Linderhof ( 8, 5 Millionen Mark)
- Schloß Herrenchiemsee ( 16, 6 Millionen Mark)

In den nachfolgenden Jahren sind weitere Projekte geplant:

- Schloß Falkenstein ( 10 Millionen Mark)
- Byzantinisches Schloß ( 10 Millionen Mark)
- Chinesischer Sommerpalast ( 10 Millionen Mark)

Im Jahr 1886 betragen die Schulden des Königs insgesamt 14, 3 Millionen Mark.

Allerdings konnte sich der König nicht einfach an der Staatskasse bedienen, wenn sein Privatvermögen nicht ausreichend war. Daher musste er Kredite aufnehmen, für die bis 1884 sogar die Familie des nachmaligen Prinzregenten Luitpold bürgte.
Ministerpräsident Lutz hatte auch dafür gesorgt, dass die Kredite des Königs stets bewilligt wurden.

Der König weiß selbst um seine miserable finanzielle Lage und versucht selbst, Geldgeber zu finden. Es finden sich Darlehensangebote, u.a. von

  • 1885 bietet ein Herr Söhnlein dem König ein Darlehen von 10 Millionen Mark an. Als Gegenleistung möchte er einen Adelstitel. Ludwig lehnt dies angeblich ab.
  • Der Großherzog von Luxemburg, Albert von Nassau; erklärt sich bereit, Ludwig Schulden zu tilgen und auch für künftige Schulden aufzukommen. Der Preis: die Überlassung sämtlicher Hofjagden auf Lebenszeit. Auch diese Aktion verläuft im Sande.
  • Das Bankhaus Landau, Berlin, bietet einen Kredit von 13 Millionen Mark, zum Zinssatze von 3%. Der Vertrag kommt nicht zustande.
  • Der Versicherungsagent und Finanzmann Kleeberg, erklärt sich bereit, einen Kredit von 20 Millionen zur Verfügung zu stellen. Die Angelegenheit wird offensichtlich sabotiert, so dass sich der Finanzmann bei Bismarck beschwert, dass man mit dem König von Bayern ein übles Spiel treiben würde.



Da dem König und seinen Bürgen unter Umständen ein Insolvenzverfahren droht, spitzt sich die Lage weiter zu. Der Landtag und Ministerpräsident schauen weiterhin tatenlos zu, die Familie des Prinzen Luitpold überlegt schon, wie man den König wegen seiner Schulden entmündigen könnte. Aber als Bürgen sitzen sie selbst im Boot, im Falle von Zivilklagen und Pfändungen würden sie als erstes zur Kasse gebeten werden.

Da macht die Bayernpartei, die zwar die stärkste Fraktion im Landtag ist, aber nicht den Ministerpräsidenten stellt, das Recht ihn auszusuchen hat der König, ein verführerisches Angebot. Wenn der König den verhaßten Ministerpräsidenten Lutz entlässt, wird die Bayernpartei dafür sorgen, dass dem König weitere Kredite gewährt werden. 
Der König droht Anfang 1886 Lutz mit der Entlassung, wenn er nicht weitere Kredite gewähre.

Bis 1884 scheint die Welt für die Luitpoldsche Familie und Ministerpräsident Lutz, mit Kabinett in Ordnung gewesen zu sein. Ein König der baut, sich sozusagen seinem Hobby widmet, mischt sich weder in Regierungsgeschäfte ein, noch entwickelt er eigene politische Ambitionen. Er ist zwar noch König, aber viel wichtiger ist das Deutsche Kaiserreich mit seinen Repräsentanten. Also gewährt man ihm immer wieder Kredite, damit er sich möglichst nicht ins Tagesgeschehen einmischt.
Übrigens: die gleiche Summe, die der König für seine Bauten verbrauchte, wurden nach Beendigung des Krieges von 1866 an Preussen als Reparationszahlung geleistet und zwar ohne Murren…

Lutz, der natürlich Angst vor seiner Entlassung hat, trifft sich Ende Februar / Anfang März 1886 mit seinem Duzfreund Dr. Gudden.
Dr. Gudden stammt eigentlich aus dem Rheinland und wurde von König Ludwig schon früh nach München berufen, um sich um seinen erkrankten Bruder Otto zu kümmern. Der König wollte den besten Arzt für seinen Bruder und das war Dr. Gudden. Gudden machte in München rasch Karriere und der König erhob ihn, als Dank für seine Dienste, sogar in den persönlichen Adelsstand. Gudden konnte sich nun "von Gudden" nennen, allerdings war der Titel nicht vererbbar und auch nicht mit Landbesitz verbunden.

So nehmen die Dinge ihren Lauf. 
Der Ministerrat, das Kabinett Lutz, beschließt im März 1886 die Gesundheitsverhältnisse des Königs überprüfen zu lassen. Lutz stellt Dr. Gudden vor, der auf Fragen von Lutz und Crailsheim erklärt, dass er den König für geisteskrank und regierungsunfähig halte. Er sei bereit, ein ärztliches Gutachten über ihn abzufassen.
Der König ahnt von alledem nichts, allerdings befolgt er Anfang April Bismarcks Rat, wegen der Schuldenproblematik das Parlament einzuberufen. Doch das wird von Lutz geschickt hintertrieben.

Anfang Mai 1886 leitet er sogar ein Verfahren zur Amtsenthebung des Königs ein und fordert eine Untersuchung des Königs auf seinen Geisteszustand hin. Die Rückendeckung für alle Maßnahmen und Unternehmungen haben sie vom Prinzen Luitpold, der, zusammen mit anderen Familienmitgliedern Angst davor hat, für die Schulden des Königs aufkommen zu müssen.

Am 15. Mai 1886 wird beschlossen, die Amtsenthebung des Königs zügig einzuleiten. Lutzt trifft sich mit Gudden zu einer erneuten Besprechung.

Am 18. Mai 1886 erklärt Gudden den König erneut für "originär geistesgestört" aber "begabt mit einer ungemeinen Geschicklichkeit, das zu verbergen, wenn er das will."
Jetzt beginnt auch die Sammlung der Zeugenaussagen für das psychiatrische Gutachten, der erste "Zeuge" ist Marstallfourier Hessellschwerdt.

Persönliches Fazit

Bauen ist des Königs Leidenschaft und Hobby zugleich, aber das ist für Mitglieder des Hauses Wittelsbach nicht ungewöhnlich. Schon sein Großvater, Ludwig I., verschönerte München mit vielen repräsentativen Bauten, die teils der Antike nachempfunden sind.
Jetzt ist hier der junge König Ludwig, der sehr jung zum Chef des königlichen Hauses wurde und keinesfalls für diese Aufgabe vollständig ausgebildet war. Das war ein Fehler seines Vaters, Maximilian II., der zwar schon seit Jahren krank war, er weilte oft monatelang in Italien, um seinen Gesundheitszustand im milden Klima zu bessern, aber keinesfalls vorsorglich ein Testament aufsetzte, dass für seinen Sohn, im Falle seines Ablebens, einen Vormund bestellte, bis etwa zum Alter von 21 Jahren, damit er seine Studien beenden konnte und auf die "Grande Tour" geschickt werden konnte, um die Welt kennenzulernen. König Ludwig klagte später oft, dass er für seinen Beruf nicht vollständig ausgebildet worden sein und seine Studien vorzeitig abbrechen mußte.
Die älteren Familienmitglieder fühlen sich brüskiert und beleidigt, dass nun ein "Grünschnabel" ihr Oberhaupt ist und sie kritisieren ihn so oft wie möglich, die Klatsch- und Intrigenküche wird ständig am laufen gehalten.
Nun entdeckt man, dass der König gerne verschönert und baut, das ist allemal besser als der Umgang mit Wagner oder sonstigen unerwünschten Personen, die evtl. Einfluß auf den König nehmen könnten. Außerdem kann man den König so auf unauffällige, elegante Weise kaltstellen, indem man ihm Kredite für seine Bauvorhaben gewährt und dafür bürgt. Das entwickelt sich über die Jahre auch sehr bequem, bis die darin verwickelten Personen kalte Füße bekommen, da Pfändungen, Klagen und Insolvenzverfahren drohen, bei Lutz sogar die Entlassung im Raum steht.
Lutz reagiert schnell und effektiv: er kontaktiert seinen Duzfreund Dr. Gudden, einen anerkannten Nervenarzt und Psychiater. Was Lutz in diesem ersten Gespräch seinem Freund ist Aussicht stellt, ist nicht bekannt, aber es muß für Gudden lohnend gewesen sein. Denn bereits im März erklärt Gudden offiziell vor Lutz und Crailsheim, dass er den König für geisteskrank halte und bereit sei, ein Gutachten darüber abzufassen. Gudden verstößt schon jetzt gegen alle gesetzlichen und ärztlichen Vorschriften, er hat den König nicht persönlich gesehen, geschweige denn untersucht. Da will er ein neutrales Gutachten abgeben?
Im Mai scheint man Prinz Luitpold und seine Familie dafür gewonnen zu haben, gegen den König ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten, was allerdings kein Wunder ist, das die Familie Luitpold gerne aus der finanziellen Zwickmühle heraus möchte.
Mitte Mai treffen sich Lutz und Gudden erneut, nun scheint Lutz ein Versprechen in der Tasche zu haben, das für Gudden unwiderstehlich ist. Beruflich gesehen hat er alles erreicht, was könnte ihn noch locken? Ein vererbarer Adelstitel, verbunden mit Landbesitz, ein Wappen dazu? 
Man weiß es nicht und wird es auch nie wissen, da die Brieftasche Guddens seit dem Tatabend vom 13. Juni 1886 verschwunden ist.
Jedenfalls attestiert er dem König eine ursprüngliche Geistesgestörtheit, d.h. sie ist angeboren und damit vererbt. Damit wird die Brücke zu Prinz Otto, dem Bruder des Königs, geschlagen, der als geisteskrank gilt.
Der Gipfel aber ist der Satz Guddens, der die Hilflosigkeit des Arztes und auch das Konstrukt des Gutachtens zeigt. Der König kann angeblich seine Geistesgestörtheit verbergen, wenn er das will. Das hieße im Umkehrschluß, dass er als "verrückt" auftreten kann, wenn er das will, dass er über die Pole "Geistesgestörtheit" und "normal" nach Belieben hin und her schalten könne....