Nachdem ich im „Neuen Pitaval“ von Mostar/Stemmle auch über Adolf Seefeld gelesen hatte, möchte ich einmal genauer auf die Opfer und die Umstände ihres Verschwindens und der Auffindung der Leichen genauer eingehen. Speziell die genaue Schilderung dieser Fälle findet sich in Strickers Buch leider nicht. Da ist der „Neue Pitaval“, ein älteres Buch, einfach genauer.
Eine kleine Anmerkung: Matrosenanzüge waren seinerzeit bei Jungen sehr beliebt und wurden von Eltern gerne gekauft. Im Winter oder der kalten Jahreszeit wurden Strümpfe dazu getragen, die an Strumpfhaltern befestigt wurden.
Hier ein paar Bilder:
https://upload.wikimedia.org/wikiped...anzug_1892.jpg
http://www.berlin-kindheitundjugend....anzug_schu.jpg
https://c2.staticflickr.com/4/3869/1...f1ac655a_b.jpg
http://www.lagis-hessen.de/img/bd/s2/54-007.jpg
Fall Nr. 1 – Ernst Tesdorf
Am 2. November 1923 fuhr der 10jährige Schüler Ernst Tesdorf, der seinen blauen Matrosenanzug mit kurzer Hose und Bluse trug, gegen dreizehn Uhr aus dem Dorf Grabow bei Ludwigslust von zu Hause fort, um in der Stadt Kienäpfel, die er Wald gesammelt hatte, zu verkaufen. Die Eltern hatten ihm erlaubt, den kleinen Erlös auf dem Jahrmarkt auszugeben, der gerade in Ludwigslust stattfand. Darum hatte er auch seine Sonntagskluft, den blauen Matrosenanzug, angezogen. Ernst stellte sein Fahrrad bei Bekannten in der Nähe des Jahrmarkts unter.
Er hat es nicht wieder abgeholt. Seit dem 2. November 14 Uhr 10 blieb Ernst verschwunden.
Die Ermittlungen nach seinem Verbleib, durch die verzweifelten Eltern bei der Polizei noch am Abend veranlasst, blieben ergebnislos. Gerüchte und Hoffnungen, dass der Junge mit Zigeunern mitgezogen sei, bewahrheiteten sich nicht. Vernehmungen der Eltern und der Lehrer ergaben, dass Ernst ein braver Junge und ein guter Schüler war. Er brauchte also keine Angst vor Strafe zu haben, er kam immer pünktlich nach Hause. Konnte er sich im Wald verirrt haben? Aber er kannte den Wald wie seine Hosentasche, und außerdem war er auf dem Jahrmarkt gesehen worden – was sollte er im Wald?
Über den rätselhaften „Fall Tesdorf“ schloß Oberstaatsanwalt Bausch die Akten. Mord oder Unfall – niemand wusste es.
Zehn Jahre und sechzehn Tage lang trauerten die Eltern um ihren Jungen, ohne zu wissen, ob er vielleicht doch noch lebte, irgendwo, und jetzt ein einundzwanzigjähriger Mann war. Am 18. November 1933 fanden bei einer Treibjagd Jäger in einer dichten Kieferschonung gar nicht weit von der Landstraße Ludwigslust-Schwerin das Skelett eines Zehnjährigen Knaben. Es lag in einer länglichen Bodensenkung, wie in einem Grab, Reste des Matrosenanzugs waren noch zu erkennen, die arme waren sorgsam über der Brust zusammengelegt und die Hände gefaltet. „Es machte“, heißt es im polizeilichen Protokoll, „den Eindruck, als sei der Knabe im Schlaf verstorben“. Das es sich um den vor zehn Jahren vermissten Ernst Tesdorf handelte, stand nun außer Zweifel. Die Eltern konnten ihren Sohn unter großer Anteilnahme der Bevölkerung wenigstens bestatten. Der Fall selbst blieb weiter unaufgeklärt. Mord oder Unfall?
Fall Nr. 2 – Alfred Praetorius
Nur vier Tage, nachdem die Leiche des kleinen Ernst gefunden war, verschwand in Rostock am 22. November 1933 der zehnjährige Schüler Alfred Praetorius. Er trug an diesem Tag seinen besten Anzug, da er zu einem Freund zu einer Geburtstagsfeier eingeladen war: kurze blaue Hose und Kieler Bluse. Bei dem Freund war er nie angekommen. Auch hier blieben zunächst alle Nachforschungen ohne Ergebnis. Sieben Wochen später fand man die Leiche des Knaben, diesmal wohlerhalten durch die Frosteinwirkung, in einem Schilfdickicht in der Nähe vom Ufer der Warnow.
Diesmal deuteten verschiedene Umstände darauf hin, dass der Kanbe möglicherweise Opfer eines Verbrechens geworden sei. Bei der Obduktion wurden Schädelverletzungen festgestellt. Die Sachverständigen waren sich jedoch nicht einig, ob diese Verletzungen vor oder nach dem Tod entstanden waren, etwa als der Täter sein Opfer zum Schilf ans Ufer schleppte. Auch hier erweckte die Leiche des Eindruck, als wenn Alfred „sich zum schlafen niedergelegt hätte“. Am Tatort deutete nichts auf einen Kampf hin. Die noch völlig erhaltene Kleidung war in Ordnung, der Mantelkragen war hochgeklappt. War der Junge in der Winterkälte vielleicht doch erfroren? Woher kamen dann aber die Schädelverletzungen?
Die Arbeit der Kripo führte hier wenigstens zu einen ersten bescheidenen Ergebnis: ein Rostocker Ehepaar meldete sich, das am Tage des Verschwindens des jungen Praetoriusin der Nähe der späteren Fundstelle der Leiche einen älteren Mann gesehen haben wollte. Die Aussagen waren aber so verschwommen, dass sie keine Möglichkeiten zur Aufklärung des falles boten. Auch hier wurde die Akte vorläufig geschlossen.
Fall Nr. 3 – Hans Korn
Im höchsten Maße beunruhigend war, dass bereits zwölf Tage nach Auffinden der Leiche des kleinen Praetorius in Lübeck wieder ein Knabe verschwand: der neunjährige Schüler Hans Korn. Er trug eine kurze blaue Matrosenhose und einen blauen Pullover. Auch bei ihm bestand keinerlei Anlaß, aus Angst vor Strafe von zu Hause wegzubleiben. Einen Monat später wurde seine Leiche in einer Tannenschonung gefunden. Der Junge lag wieder wie schlafend da. Die eine Hand lag auf der Brust, zwischen Zeige- und Mittelfinger war noch der Rest einer Zigarette erkennbar. Die linke Hand lag auf dem Bauch und hielt eine leere Zigarettenschachtel. Neben der Leiche wurden eine volle Schachtel Streichhölzer, mehrere Zigarettenstummel und abgebrannte Streichhölzer gefunden. Auch hier keine Spur einer Gewaltanwendung.
Sehr leicht machte es sich allerdings der Polizeiarzt. Er stellte „übermäßige Nahrungsaufnahme und übermäßigen Nikotingenuß“ fest, was beides zum Tode durch Herzschlag geführt habe. An Mord dachte niemand. Warum auch? Der Knabe war ja offenbar eingeschlafen und dann erfroren.
Die Ermittlungen der örtlichen Kripo ergaben auch hier keine wesentlichen Anhaltspunkte. Immerhin wurde festgestellt, dass Hans Korn am Tage seines Verschwindens zu einem Mitschüler beim Verlassen der Schule gesagt hatte, er müsse um elf Uhr auf dem Markt vor der Post sein, er werde dort erwartet, er sei zum Essen eingeladen. Aber in keiner Gastwirtschaft war Hans mit seinem Gastgeber gesehen worden. Auch diese Akte wurde vorläufig geschlossen.
Fortsetzung folgt!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen