Nach ein paar Wochen, es ging ihr schon längst wieder gut, bat sie ihr Nachbar um einen kleinen Gefallen. Es war inzwischen Winter geworden, ein strenger mit viel Schnee obendrein, da tat sich ihr netter Nachbar schon schwer, wenn er von einem befreundeten Bäcker die köstlichen Backwaren, er hatte ihr einmal eine Tüte mit Semmeln und Süßem geschenkt, holen konnte. Noch mehr: er hatte mit dem Bäckermeister gesprochen, damit sie für eine Freundin, die immer alte Semmeln und Brot für ihren Gnadenhof brauchte, Ware abholen konnte, die ein oder zwei Tage alt war. Aber die Freundin war ihr in dem Fall gar nicht wichtig, für sie zählte nur, dass sie ihren Nachbarn zweimal in der Woche zu der Bäckerei fahren konnte; mehr noch, für ihn wäre sie bis ans Ende der Welt gefahren...
Sie genoß die Minuten, in denen sie mit ihm allein im Auto war. Wenn sie ihn anstrahlte, lächelte er freundlich zurück. Erzählte sie ihm von ihren Alltagssorgen, so hörte er ihr aufmerksam zu und tröstete sie mit warmen Worten, wenn sie wieder einmal Ärger mit ihrem Freund zu haben glaubte.
Mit der schöner werdenen Jahreszeit begann sie, sich zu verändern. Sie ging nun regelmäßig ins Fitnesstudio und quälte sich an den Geräten, den Ratschlägen des Trainers und des Muskelkaters zum Trotz. Als sie ihrem Nachbarn davon erzählte, was sie nun für ihre Figur täte, meinte dieser, dass Radfahren gesünder und schonender für die Gelenke sei. Also holte sie ihr Fahrrad, das bis dato sein Dasein jahrelang im Keller gefristet hatte, heraus und begann zu radeln. Als sie ihre Nachbarin, die Radfahren als Sport betrieb, in Radlerkleidung sah, kaufte sie sich natürlich auch solche Sportkleidung. Ihr Freund meinte, als er sie zum erstenmal darin sah, sie erinnere ihn an eine Preßwurst und schon wurde wieder lautstark gestritten.
Sie, die früher eine gepflegte Erscheinung gewesen war, dezent geschminkt und gut gekleidet, trug nun mehr Makeup auf als nötig war und auch ihr Kleidungsstil wurde schrill und laut: Miniröcke, von denen man nicht wußte, ob sie Gürtel oder Röcke waren, Lackleggins, hohe Stöckelschuhe und Tops, die selbst einen Teenager hätten rot werden lassen. An der Wäscheleine schaukelte Reizwäsche demonstrativ im Wind.
Die Nachbarschaft begann zu tuscheln und auch ihr netter Nachbar ging ihr, so gut es eben ging, aus dem Weg, nur sie bemerkte es einfach nicht.
Und in letzter Zeit gab es mit ihrem jüngeren Freund nur noch Streit, bösen, ordinären Streit, so dass ihr Freund immer öfters bei einem Freund übernachtete und davon sprach, sich wieder eine eigene Wohnung zu suchen. Anstatt dies als Warnzeichen zu betrachten, dachte sie darüber nach, dass der Kerl einfach zu jung für sie sei und sich von ihm trennen mußte; er konnte und wollte sie offensichtlich nicht verstehen.
Ja, sie würde ihn sozusagen in die Wüste schicken, damit sie frei für ihren netten Nachbarn war. Sie malte sich bereits aus, wie sie dem Angebeteten ihre Liebe gestehen würde. Ja, und dann würde er ihr er ihr endlich seine Liebe gestehen, endlich wäre alles gut, Friede, Freude, rosarot, himmelblau.....
Die Gelegenheit, ihren Freund los zu werden, denn den Mut, ihm zu gestehen, dass sie sich in einen anderen Mann verliebt hatte, fehlte ihr einfach aus lauter Feigheit, ergab sich etwa 14 Tage später. Sie ging in den Keller, um noch Gemüse aus der Tiefkühltruhe zu holen, da hörte sie, wie sich ihr verhaßter Freund und ihr netter Nachbar im Fahrradkeller unterhielten. Ihr Freund klagte dem Nachbar sein Leid, dass sie sich so zu ihrem Nachteil verändert habe, er kenne sie gar nicht wieder. Gut, dass sie schon früher öfter einmal gestritten hatte, lag wohl an ihrem Temperament, aber was nun im Gange sei, wirklich nicht mehr auszuhalten. Immer suche sie nach einem Grund für Streit, egal was er sagte oder täte. Sie merke wohl gar nicht, wie lächerlich sie sich mit ihren Klamotten mache, ihre Sportwut, die doch gar nichts brächte und, das mußte ihrem Freund von der Seele, ein Krönungssatz sozusagen, schmeckten ihre Küsse mittlerweile nach Aschenbecher, nach kaltem, abgestandenem Rauch. Sie kochte über vor Wut, rannte in den Fahrradkeller, gab ihrem Freund eine Ohrfeige und schrie ihn an, dass er sofort gehen sollte, aber sofort!
Eine Stunde später lud ihr Freund Koffer, Reisetaschen und Stereoanlage in sein Auto und fuhr davon.
Den Kerl war sie nun los, dachte sie befriedigt, und wie einfach das gewesen war! Im Hochrausch ihres vermeintlichen Sieges öffnete sie ein Flasche Rotwein, goß sich ein großes Glas davon voll und rauchte dazu eine Zigarette. Wie vermeintlich köstlich das war! Während sie nach und nach die ganze Flasche sowie die Zigarettenschachtel leerte, überlegte sie sich ihre weitere Strategie. Gut, jetzt war sie zwar frei für ihren Nachbarn, konnte aber nicht in den nächsten Tagen ihre Liebe gestehen, denn sonst wäre es doch womöglich aufgefallen, dass sie es war, die ihren Freund herausgeekelt hatte. Da mußte sie vorsorgen und erzählte jedem, der es hören wollte oder nicht, von ihrem bösen Freund, der sie betrogen und sie ihn dafür herausgeworfen hatte. Das klang natürlich sehr glaubhaft, weil es ja allgemein bekannt war, dass ihr Freund jünger als sie gewesen war.
Wen sie in den folgenden Wochen nur sehr selten sah, und da war er einsilbig, war ihr Nachbar. Natürlich, sie verstand sein Verhalten, hatte sie sich seinerzeit im Keller doch von einer höchst ordinären Seite gezeigt und das mochte den Nachbar wohl zuwider sein. Aber er lief ja nicht weg. Und sie beobachtete ihn weiterhin gerne,wie er sich bewegte, Fahrrad fuhr oder mit seiner Freundin am Arm ging. Ja, diesen Platz am Arm würde bald sie einnehmen; sie machte sich nicht im mindesten ein Gewissen daraus, was aus der Freundin und den Kindern werden würde. Ihre Liebe würde siegen, sie würde ihn verwöhnen, bekochen, sich um ihn beneiden lassen....
Nach weiteren drei Woche, hielt sie die Zeit für gekommen, ihrem netten Nachbarn ihre Liebe zu gestehen. An der Wohnungstüre konnte sie natürlich nicht läuten, das war ihr schon klar, aber um diese Jahreszeit war ihr Nachbar öfters vor dem Haus anzutreffen, wenn er etwa sein Fahrrad putzte oder im Rahmen der Kehrwoche den Gehweg fegte.
Es war an einem Montag, sie ging gedankenverloren von ihrem Auto auf die Haustür zu, da sah sie ihren Nachbarn, der offensichtlich ein neues Klingelschild montierte. Es stand nur noch sein Name darauf! Zog seine Freundin mit den Kindern aus? Hatte er ihre Liebe auch ohne Worte erahnt?
Sie fragte ihn also, warum er ein neues Klingelschild anschraubte.
Ihr Nachbar sah sie etwas irritiert an und wollte antworten, doch sie kam ihm zuvor. Seine Freundin und die Kinder seien wohl ausgezogen, oder würden ausziehen, er sei dann alleine, wie wunderbar; sie würde gerne für ihn da sein, weil sie ihn liebe und vom ersten Augenblick geliebt habe.
Der Nachbar machte einen Schritt rückwärts, als habe ihn eine Tarantel gestochen. Das Klingelschild habe er ausgewechselt, weil er seit letzten Samstag mit seiner Freundin verheiratet sei.
Da war es ihr, als habe sie ein Giftpfeil ins Herz getroffen, sie mußte an sie halten, sonst wäre es ihr schwarz vor Augen geworden. Vorbei, vorbei, alles vorbei.....
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