Sonntag, 3. August 2014

Wilhelm II. und Kronprinz Rudolf - eine feindliche Freundschaft Teil 1

Als ich in den letzten Tagen Gelegenheit hatte, endlich in den autobiographischen Erinnerungen Wilhelms zu lesen, "Aus meinem Leben - Die Jahre 1859 - 1888", die neu aufgelegt wurden, stieß ich endlich darauf, da war ich schon länger auf der Suche, wie sich die beiden Prinzen kennengelernt hatten.

Sie lernten sich keinesfalls als Erwachsene kennen, der Eindruck entsteht meistens, da Kronprinz Rudolf ein dezidierter Gegner des deutschen Kaisers Wilhelm II. war. In einem Brief schreibt er: "Wilhelm II. macht sich; er dürfte bald eine große Confusion im alten Europa ausrichten. Er dürfte im Laufe weniger Jahre das hohenzollernerische Deutschland auf den Standpunkt bringen, den es verdient." 
Aber diese antipreußische Haltung ist nun wirklich nichts Neues, da sich Rudolf bereits auf Bismarck und Moltke eingeschossen hatte.
Die Antipathie gegenüber Preußen, auch später dem deutschen Kaiserreich, hatte seinen Ursprung in Rudolfs Kindheit und Jugend.

Seine Großmutter, Erzherzogin Sophie war eine fanatische Preußenhasserin, die es niemals verwinden konnte, dass Österreich nicht mehr die Schlüsselposition in Europa hatte, sondern nach hinten gerückt war. Ursache dafür war zunächst die Schlacht bei Königsgrätz 1866, bei der Österreich, neben Bayern, zu den Verlierern gehörte. Leidenschaftlich nahm Kronprinz Rudolf an den Ereignissen des Jahres 1866 teil, genauso wie der gleichaltrige Prinz Wilhelm in Berlin. Wie ungeheuer stolz muß der junge Hohenzoller gewesen sein, wie sehr muß das Selbstbewusstsein des jungen Habsburgers gelitten haben. In seiner Jugend musste er mit ansehen, wie Österreich eine Position seiner einstiegen Größe aufgab: die Lombardei 1859, Venetien 1866, ebenso die Vorherrschaft in Deutschland und natürlich auch den Ausgleich 1867 mit Ungarn, woraus die k&k. Monarchie entstand. Das hatte natürlich auch weitreichende Konsequenzen: es gab zwei getrennte Staatsgebiete mit eigenen Verwaltungen, zwei Verfassungen, zwei Parlamente, zwei Residenzstädte und daraus entstand eine komplizierte Koordination. Vor allem aber behinderte die neue Staatsform und die Machtstellung Ungarns jeden künftigen Reformversuch, was der Kronprinz später beklagen sollte. Ganz klar: Östereich-Ungarn war kein föderalistischer Staat wie das spätere deutsche Kaiserreich und die vielen Völker, deshalb hieß es ja auch Vielvölkerstaat, die eben keine besondere Rolle wie Ungarn genossen, fühlten sich unterdrückt und benachteiligt.
Auch den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 erlebte der kleine Kronprinz intensiv mit. Sein Herz stand ganz auf der Seite der Franzosen. Dazu kam der Deutschenhaß Sophies und ihr deutlicher Wunsch, Östereich-Ungarn möge auf der Seite Frankreichs gegen Preußen kämpfen. 
Sophie, die an Stelle von Elisabeth, der Kaiserin Sissi, die Erziehung der Kinder Gisela und Rudolf überwachte, gab diesen Haß, bewusst oder unbewußt, gerade an Rudolf weiter. Rudolfs deutschfeindliche Haltung wurde allerdings in der Öffentlichkeit bekannt und es wurde betont, dass er darin von seiner Großmutter, Erzherzogin Sophie untersützt wurde. 
Diese heftige Abneigung, die bereits hier ihren Ursprung hatte, gepaart mit politischen und privaten Enttäuschungen, dürften dieses Feuer noch kräftig geschürt haben, aber darauf komme ich später zurück.

Kurz und gut: die beiden jungen Herren lernten sich im Teenageralter kennen, genauer anläßlich der Weltausstellung 1873 in Wien, zu der das preußische Kronprinzenpaar eingeladen war und die, als Belohnung für gute schulische Leistungen, ihren ältesten Sohn Wilhelm mitbrachten.
Wilhelm machte recht schnell die Bekanntschaft Rudolfs und beschreibt ihn als gewinnenden Menschen. Die beiden jungen Herrn unternahmen gemeinsame Ausflüge: in den Wiener Wald, den Lainzer Tiergarten, den Kahlenberg und besichtigten die zahlreichen Sehenswürdigkeiten Wien.
Auch die Mahlzeiten wurden gemeinsam eingenommen, manchmal wurden sie auch an die kaiserliche Tafel geladen.
Doch nach 14 Tagen mußte Wilhelm nach Hause abreisen, die Eltern hingegen reisten weiter nach Italien.

Die Freundschaft entwickelte sich zunächst gut, was von beiden Ländern wohlwollend aufgenommen wurde.
Wilhelm schildert in seinen Erinnerungen Rudolf als eine anregende, lebhafte und kluge Persönlichkeit, mit sprudelndem Humor, der mit einer heftigen satirischen Ader durchsetzt war.
Er betont auch beider Interesse an der Natur und die verbindende Jagdleidenschaft, er hebt auch lobend hervor, dass Rudolf ein kenntnisreicher Zoologe war, speziell auf dem Gebiet der Ornithologie.
Im Mai 1881 wurde Wilhelm mit seiner Frau anläßlich der Hochzeit Rudolfs mit Stephanie eingeladen und freute sich darüber, dass seine Frau so herzlich aufgenommen wurde.
Das gleiche geschah im Mai 1883, als die Beiden vom kronprinzlichen Ehepaar nach Wien und Prag eingeladen wurde.
Und 1885 wurde sie wieder eingeladen, diesmal zur ungarischen Landessausstellung in Budapest. Dort lernte Wilhelm sogar des Grafen Andrassy kennen, der über den Prinzen von Wales keine besonders gute Meinung im politischen Sinne hatte.

Dann folgt das Kapitel über die Jagdeinladungen in Mürzsteg und Eisenerz, die allerdings Kaiser Franz Joseph ausgesprochen hatte. Eine ganze Jagdgesellschaft reiste mit dem Zug dorthin, u.a. der König von Sachsen, Prinz Leopold von Bayern und der Großherzog von Toskana. Wilhelm beschreibt, dass man Tracht anlegte und dass Kronprinz Rudolf nur ab und zu anwesend war, also nicht ständiger Jagdgast.
Das führt mich zu dem dem, allerdings vom „Figaro“ nicht veröffentlichten, Zeitungsbeitrag, in dem Rudolf, freilich unter Falschnamen, Wilhelm beschuldigt, mit Damen ein Treffen gehabt zu haben. Das taucht schon die Frage auf: wie will er das, wenn er nicht ständig anwesend war, alles gesehen oder erlebt haben? Wieviel Beweiskraft hat die Tratschgeschichte, womöglich aus zweiter oder gar dritter Hand?


Rudolf hatte in der Zwischenzeit den Prinzen von Wales kennengelernt, den nachmaligen König Eduard VII., auch Bertie genannt.
Seine Eltern ließen ihm eine Ausbildung zukommen, die ihn zu einem vorbildlichen konstitutionellen Monarchen machen sollte. Sein überaus strenger Vater bestellte Privatlehrer und Erzieher und übergab ihnen den siebenjährigen Prinzen, der jedoch von unstetem Wesen war und sich nicht als Musterschüler erwies.
Während seiner Studienzeit glänzte Eduard weniger mit Leistung denn mit seinem ausschweifenden Lebensstil. Der Prinz war ein Dandy mit Vorlieben für Glücksspiel, Alkohol und junge Schauspielerinnen, dessen Liebesabenteuer kein Geheimnis blieben. Dies führte dazu, dass sein bereits schwer kranker Vater im Dezember 1861 nach Cambridge kam, um Eduard ins Gewissen zu reden und ihn zurechtzuweisen. Zwei Wochen später starb Prinzgemahl Albert. Königin Victoria verwand den Verlust ihres geliebten Gatten nie und machte „Bertie“ zeitlebens für dessen frühen Tod verantwortlich.
Da Eduard nur in geringem Maße von seiner Mutter in offizielle Aufgaben eingebunden wurde,genauso wie Rudolf von seinem Vater Franz Joseph, hatte er ausreichend Zeit sein Privatleben zu kultivieren. Er pflegte seine Vorlieben für Glücksspiel, Pferderennen und französische Lebensart sowie die Welt des Theaters und von exklusiven Jagdgesellschaften.
Seine Reisen durch Europa waren von ständigem Klatsch und Aufregung begleitet. Obwohl seine Gemahlin, Alexandra von Dänemark, als eine der schönsten Frauen Europas galt, hielt er sich zahlreiche Mätressen, u.a. die Schauspielerin Lily Langtry und Alice Keppel, mit der regelmäßig Urlaube in Biarritz verbrachte.

Wilhelm war, unter dem Einfluß der Gräfin Waldersee, die angeblich seine Geliebte war, allerdings war die Frau gut 19 Jahre älter als Wilhelm und zudem sehr puritanisch , glaubensstreng und tugendsam geworden.
Wilhelm war von Hinzpeter calvinistisch erzogen worden, obwohl er evangelisch-lutherisch war, und so fiel die puritanische Denkweise auf fruchtbaren Boden. Wilhelm war aber keineswegs religiös verbohrt, was sich daran zeigt, dass er sich um eine Annäherung an die Katholiken bemühte und der Kulturkampf Bismarcks verhaßt war. 
Aber wahrscheinlich waren Religon und Glaube ohnehin ein starkes Bedürfnis bei Wilhelm.

Wilhelm erzählt in seinen Erinnerungen ganz freimütig, dass es ihn schmerzte, dass Rudolf es mit der Religion nicht ernst nahm und sogar seinen spöttelnden Witz über Kirche, Geistlichkeit und über den schlichten Glauben des Volkes ausgoß.

Schon Rudolfs Erzieher Latour bemerkte bei ihm eine zunehmende Neigung zur Unwahrheit, verbunden mit Unlust zum Gebet, allmählich zeigte Rudolf auch eine radikale und kirchenfeindliche Einstellung. Das wurde dem Kaiser berichtet, der sich auch beunruhigt darüber zeigte und das aus gutem Grund.
Nicht nur, weil die Frömmigkeit des Kaiserhauses, bei etwa der Feier des Fronleichnamfestes, nach außen gezeigt wurde, sondern vor allem aus kirchenpolitischen Gründen.
Er hätte nämlich, als künftiger Kaiser, ein Mitspracherecht in der Rota gehabt und ein Vetorecht in der Konklave gehabt, auf das sein Vater bei der Papstwahl 1903 noch pochte.
Neben anderen Privilegien hatte er außerdem das Recht, einen der zwölf Richter des päpstlichen Gerichtshofes zu ernennen. Dieses Recht hatte sich am Ende des 15. Jahrhunderts herausgebildet und selbst Pius X. gelang es nicht, als der die Kurie grundlegend reformierte, die kaiserlichen Vorrechte abzuschaffen.
Man stelle sich vor, ein Kaiser Rudolf hätte hier Vorgänge auf Dauer lahmlegen können!

Dass er sich Gedanken über Religion und Glaube gemacht hat, hätte eben Privatsache bleiben müssen. Er tauschte sich in mindestens einem Brief mit König Ludwig darüber aus, dass die Religion und ihre Ausübung für das einfache Volk so bleiben solle, ihnen aber auf Dauer nicht genügen könne.
Nebenbei: man findet in seiner Privatkorrespondenz nicht einen Hinweis darauf, dass er, wenn er einmal Kaiser sein würde, diese kirchenpolitischen Privilegien aufgeben würde....

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