Manchmal frage ich mich auch: was wollte er eigentlich vor Gericht erreichen?
Ihm wurde im ersten Prozeß ein "Deal" angeboten: gegen ein komplettes Vollgeständnis sowie die fachärztlich bestätigte Erklärung geisteskrank zu sein, eine lebenslange Freiheitsstrafe.
Er lehnte ab!
Wieso nur, ihm muß doch klar gewesen sein, dass es hier keinen Freispruch geben würde oder zeitlich begrenzte Freiheitsstrafe, sondern nur lebenslänglich oder den Tod.
Was steckte da in ihm drin? Eine unausgesprochene Erkenntnis, ich habe getötet und werde dafür mit dem Tode bestraft oder eine generelle Todessehnsucht?
Serienmörder wie er fallen nach ihrer Tat/Taten oft in Depressionen, nicht selten mit der Absicht, sich selbst zu töten oder ist es die Erkenntnis, getötet zu habe und dafür selbst den Tod zu verdienen? Wir werden es nie genau erfahren, da er, wenn explizite Fragen gestellt wurden, er es beinahe meisterhaft verstand, darum herum zu reden; am Anfang war der Fragesteller genauso schlau wie zuvor.
Dass er selbst in den Tagen vor seiner Hinrichtung an Selbstmord dachte, und auch in der Lage gewesen wäre, ihn auszuführen, ergab nicht nur seine eigene Aussage, sondern auch der Fund von dementsprechenden Gegenständen bei der Reinigung seiner Zelle nach seinem Tod.
Was hielt ihn nun davon möglicherweise ab? Feigheit, die Absicht, mit dem Tod zu sühnen oder die Angst, als Selbstmörder von Gott verworfen zu werden?
Da ihm die seelsorgerische Betreuung von Monsignore Kerr wichtig war und er große Teile der Todesnacht im Gebet verbrachte, denke ich, dass religiöse Gründe den Ausschlag gegeben haben.
Zu diesem Thema habe ich einige Tage Pause gemacht, denn ich habe ein bischen Abstand gebraucht und habe mich noch einmal eingehend mit seiner Kindheit beschäftigt.
Es ist mir immer noch nicht begreiflich, dass seine Mutter ihn als Kind quasi verleugnet hat, auch wenn es für ledige Mütter um diese Zeit in Amerika nicht leicht war.
Sie hätte immer die Möglichkeit gehabt, in eine der großen Städte zu gehen, Arbeit hätte sie bestimmt gefunden, sie war immerhin 22 Jahre alt und hatte eine abgeschlossene Ausbildung als Sekretärin, und ihr Kind mitzunehmen. Und als Vater hätte sie, wenn´s überhaupt in einer großen Stadt jemanden interessiert hätte, einen angeblichen Verlobten angeben können, der im Krieg gefallen oder vermißt gewesen wäre. Das wäre zwar auch ein Lüge gewesen, aber nicht so schlimm wie die Kindsverleugnung.
So galt das Kind als "Nachzügler" ihrer Eltern und wurde von diesen in den ersten Jahren aufgezogen. Später als seine Mutter ihren späteren Mann kennengelernt und auch geheiratet hatte, zog sie mit ihm nach in die Nähe von Tacoma und nahm ihren "kleinen Bruder" mit. Das Kind reagierte demensprechend bockig, wurde es doch von seinen "Eltern" getrennt und lehnte den Mann seiner "Schwester" ab.
Man versetze sich in die Lage des Kindes: ich werde von meinen Eltern getrennt, die wollen mich nicht, die geben mich meiner Schwester mit! Ich kann nichts dagegen tun, ich bin machtlos. Es hat die Botschaft empfangen, das es keinen Wert besitzt, seine Bedürfnisse ignoriert werden. Es empfindet sich als gedemütigt, zutiefst verletzt und kapselt sich ab. Dazu paßt, dass der Junge am liebsten mit seinem Hund alleine loszog, nur wenige Freunde hatte und später, als Jugendlicher, allein mit seinem Auto herumfuhr.
Seine sozialen Kontakte auf der Uni waren anfangs gleich Null,, das sagte nicht nur er selbst von sich, sondern auch seine Mutter.
Dann kam dieser verhängnisvolle Fund der Geburtsurkunde, er entdeckte, dass der unehelich war und damit kam die radikale Veränderung: aus dem introvertierten Menschen wurde ein aktiver, extrovertierter Mensch.
Innen sah es ganz anders aus: sein Selbsthass muß sehr groß gewesen sein, geboren aus Scham und Ekel, er glaubte, er hätte es nie verdient, mit Respekt oder liebevoll behandelt zu werden.
Dieser Selbsthass drückte sich wie folgt aus: er versuchte, nach außen gut und perfekt zu sein. Er stürzte sich in sein Zweitstudium, arbeitete hart, engagierte sich politisch - all das brachte die ersehnte Anerkennung und half, die negativen Gefühle im Inneren auszugleichen, die massiven Minderwertigkeitsgefühle zu kompensieren.
Doch auf Dauer half es nichts, ich schrieb ja schon, dass es von der Entdeckung des "Familiengeheimnisses" bis zum ersten Mord fünf Jahre dauerte.
Das Gefühl der Machtlosigkeit, er hatte in den Jahren des Aktivismus dissimuliert, war immer noch da. Liebe im echten Sinn hatte er nie erfahren: da standen Lüge und Verachtung - Liebe war für ihn schmerzlich, verwirrend, wohl auch gefährlich. Wenn jemand zu ihm sagte:" ich liebe Dich", konnte er es nicht wirklich annehmen, weil die weiteren Reaktionen, für ihn, nicht vorhersehbar waren. Es hätte ein Lüge sein können, eine Täuschung, eine Demütigung....
Er entwickelte über die Zeit ein übertriebenes Bedürfniss nach Kontrolle, dazu kam das der Wunsch zu strafen....
Um seine Vorgehensweise gegenüber seinen Opfern zu verstehen, darf man nicht vom ersten Mord ausgehen, sondern von dem Amoklauf, anders kann man es nicht bezeichnen, im Chi-Omega-Studentenwohnheim. Er prügelte dort im Mordrausch mit einem Eichenstock, wahrscheinlich war es ein Baseballschläger, auf die Köpfe der zwei Studentinnen ein, bis sie sich nicht mehr rührten. Erst dann kam der sexuelle Mißbrauch.
Das unterscheidet ihn ganz deutlich von Kürten oder Haarmann, die auch Gewalt gebrauchten, um zum sexuellen Höhepunkt zu gelangen, dann aber vom Opfer abließen oder es anschließend töteten.
Bei ihm standen brutale Prügel, die bewußt den Tod des Opfers in Kauf nahmen, oder wohl eher das Ziel war, im Vordergrund. Bei weitem nicht alle Opfer wurden vergewaltigt oder auf andere Weise sexuell mißbraucht, sondern viele regelrecht totgeprügelt. Prügel, Schläge, Agressionen - immer zuerst auf den Kopf, dann auf den restlichen Körper - warum?
Über Gesicht und Kopf nehmen wir zuerst die Persönlichkeit wahr, wie sie, z.B. durch Frisur, Make up oder Mimik betont wird. Also zerstörte, tötete er zuerst einmal die Persönlichkeit, das Erscheinungsbild: das Bild der Schwester!
Daher auch die raffinierte Methode, die Opfer anzulocken: natürlich zuerst einmal, um die Hilfsbereitschaft auszunutzen, das ist die reale Ebene, im Unterbewußten die große Schwester soll dem kleinen Bruder helfen!
Seine Opfer waren alle im Alter zwischen 17 bis 21 Jahre - seine Mutter war 22 Jahre alt, als sie ihn auf die Welt brachte....
Es gibt noch eine Komponente, die ich beleuchten möchte: die religiöse Seite in seinem Wesen.
Dazu zum besseren Verständnis: Religiosität war immer ein Grundzug Amerikas. Der französische Politker Alexis de Toqueville (1805-1859) bezeichnete die Grundlage der US-Demokratie als Religion mit demokratischen Zügen: "Von Anfang an waren Politik und Religion einig, und sie haben nicht aufgehört, es zu sein."
Dieser Satz gilt noch heute.
Religion ist für die Amerikaner Fundament eines Lebens, das Freiheit als gestalterische Kraft erlaubt.
Weiter vorne schrieb ich schon einmal, dass es ihm, laut eigener Aussage, bewußt war, in den Augen Gottes Böses getan zu haben. Er engagierte sich in seiner methodistischen Gemeinde, besonders in der Jugendarbeit.Nun kam dieser Schicksalstag, an dem er von seiner unehelichen Geburt erfuhr. Es muß für ihn eine komplette Welt zusammengebrochen sein, besonders weil die christliche Erziehung in seinem Elternhaus intensiv gepflegt wurde. Lüge, sein ganzes Leben bis jetzt eine Lüge! Seine Mutter hatte bis jetzt immer das Gebot (jetzt verkürzt ausgesprochen) "Du sollst nicht lügen", gebrochen, es war ihr sogar zur Selbstverständlichkeit geworden! Es gab bei ihm bestimmt Gedankengänge, ähnlich diese: "Gott, ich habe Dir bis jetzt gedient, ich habe mich engagiert,ich habe zu Dir gebetet und Du läßt zu, hast zugelassen, dass ich belogen werde. Dass ich unerwünscht war, dass man mich verleugnet hat, ich unwert gewesen bin, ihr Sohn zu sein. Wenn Du mich lieben würdest, hättest Du das nicht zugelassen!!" Der Bruch war da und er war groß, die Wut ebenso, auch die Verzweiflung. Ich denke, aus der Wut-Verzweiflung heraus wurde der Gedanke geboren, Gott herauszufordern, durch Taten (die Morde) und Gedanken (...man ist Gott!...).
Abschließend habe ich mir natürlich Gedanken zu seiner Rückkehr zum Glauben und seine Konversion zum katholischen Glauben gemacht.
Die Information zur Konversion habe ich ausschließlich auf englischsprachigen Seiten gefunden, da sind unsere deutschsprachigen Informationen etwas lückenhaft.
Kurz und gut: der Priester, der die sterbenden Studentinnen im Chi-Omega Wohnheim betreute, Monignore William Kerr, wurde von Ted Bundyum seelsorgerischen Bestand gebeten. Kerr wurde später gefragt, warum er das nicht abgelehnt hätte, und Kerr antwortete, dass selbst Serienmörder eine Seele hätte und der Gnade bedürften.
Nebenbei bemerkt: eine Konversion in einer Notsituation ist keine komplizierte Angelegenheit.
Bundy beichtete, tat Buße und kommunizierte. Kerr, der ihn fragte, warum er seine Tötungen im Wohnheim, er war ja in einem wahren Blutrausch, abgebrochen hätte, gestand Bundy, ihn hätte in einem Zimmer eine unsichtbare macht zurückgehalten (es stellte sich heraus, dass eine Studentin mit dem Rosenkranz in der Hand eingeschlafen war).
Gut, man kann jetzt sagen: der Mann hat Theater gespielt, dem war nicht ernst oder heilig, aber man muß bedenken, dass niemand in eine Seele, vor allem so kurz vor dem Tod blicken kann....
Das war jetzt der letzte Beitrag zu meinen Analysen über Ted Bundy, es hat mich mitgenommen, beschäftigt und so kann ich das Thema jetzt abschließen.
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