Was mich aber dennoch immer verwundert: warum beißen, solche Menschen, jetzt bildlich gesprochen, während ihrer Haftzeit nicht in die Gitterstäbe ihrer Zellen?
Sie müßten doch jetzt das Personal, Mithäftlinge oder auch gegen sich selbst vorgehen?
Ich habe einmal, als ich über Peter Kürten nachlas, eine interessante Passage gefunden. Darin hieß es, dass seine, nachdem er eine heftige Hungersnot im Gefängnis erlebt hatte, er saß während des 1. Weltkrieges im Zuchthaus, blutrünstigen Triebe völlig erloschen waren. Nach Beendigung seiner Haftstrafe suchte er eine seiner Schwestern auf, sie war weitab ihrer Heimatstadt verheiratet, log ihr vor, er sein in russischer Gefangenschaft gewesen, lernte dort seine spätere Frau Auguste kennen, ging zur Arbeit in die Fabrik, wurde Mitglied im Arbeiterrat und führte über mehrere Jahre ein unauffälliges Leben.
Läßt die Unfreiheit und der Mangel an Gelegenheit den Hirnstoffwechsel sich normalisieren? Oder die Angst vor erneuter Strafe?
Kürten wurde jedenfalls wieder rückfällig, beging weitere Morde, bis er seiner Frau gestand, der von der Polizei dringend gesuchte Mörder zu sein. Sie ging umgehend zur Polizei, er wurde verhaftet.
Er entsprach im übrigen genau dem Profil, dass Ernst Gennat, ein bekannter Kommisar aus Berlin, von ihm erstellt hatte: somit war Gennat der erste Profiler und nicht Ressler.
Kürten führte stundenlange Gespräche mit Professor Berg, einem sehr behutsamen Psychologen, der dadurch schauerliche Einblicke in Kürtens Psyche gewann. Berg schrieb darüber später ein Buch, es ist heute wieder erhältlich.
Wie ich schon schrieb, sind Gefühllosigkeit und außerordentliche Fähigkeit zur Manipulation typisch für Psychopathen. Weniger deutlich, nur gelegentlich hinter Zornesausbrüchen, wie bei Bundy in seinem zweiten Prozeß, zu erahnen, ist die "schwarze Wut", die Wut, die keine Schranken kennt, keine Sperre, die unter der charmanten Oberfläche schwelt.
Fügt man diese Wut zur emotionalen Distanz und zu einem beinahe vollkommenen Mangel an Mitleid und Gewissensbissen hinzu, haben wir einen chemischen Prozeß, der, ich denke dabei an Stevenson, Dr. Jekyll in Mr. Hyde verwandelt. Die exakte Chemie dieser Umwandlung werden wir nie ganz verstehen. Kann eine Stirnlappenanomalie, bei Bundy nachweislich nicht vorhanden, einen Menschen zum Psychopathen machen? Oder entwickelt sie sich, weil der Mensch ein Psychopath ist? Kann sich der Hirnstoffwechsel normalisieren, wenn diesen Menschen harte Grenzen gesetzt werden (siehe Passage über Kürten)?
Aber selbst Psychopathen haben eine konkrete Furcht: erwischt zu werden. Der Gedanke, verhaftet zu werden und für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen zu werden, erfüllt sie mit Schrecken. Sie werden alles tun, alles versuchen, es zu verhindern.
Sitzen sie dann lebenslänglich hinter Gittern oder sie erfahren, dass sie mit ihrem eigenen Leben für ihre Taten büßen müssen, kehrt Klarsicht über ihre Taten ein oder weicht das Böse aus ihrer Seele?
Ted Bundy wartete jedenfalls beinahe neun Jahre, bis die Todesstrafe an ihm vollzogen wurde. In dieser Zeit heiratete er sogar und dachte sich wohl, dass nach dieser langen Zeit die Todesstrafe in "lebenslänglich" umgewandelt werden würde. Doch er täuschte sich, der Gouvaneur bestätigte endgültig das Todesurteil und es wurde ihm etwa sechs Tage vor Vollzug mitgeteilt. Da fiel das charmante Wesen von ihm ab, man sah ihm die Angst an: er schlief schlecht, weinte ständig und das Gesicht war wie versteinert. Dann gestand er detailliert weitere Morde, daher kennt man auch die genaue Anzahl. Und er bat Monsignore William Kerr, der Priester, der die Sterbenden im Chi Omega betreut hatte, sein Seelsorger zu sein. Kerr blieb bis zwei Tage vor der Hinrichtung bei ihm und Ted Bundy konvertierte....wie groß war wohl seine Angst?
Ja, wie groß war wohl seine Angst?
Standen ihm seine Opfer vor Augen, die ihn anklagend ansahen oder fiel ihm einer seiner berüchigten Sätze ein:
"You feel the last bit of breath leaving their body. You're looking into their eyes. A person in that situation is God!"
(Übersetzung:"Du fühlst wenn das letzte bisschen Atem ihren Körper verläßt. Du siehst in ihre Augen. Eine Person in dieser Situation ist Gott!")
So ein Satz, so ein Vergleich, so eine übermütige Überheblichkeit gilt in jeder Religion als Lästerung!
Ich schrieb schon Eingangs, dass er in seinen Gesprächen immer wieder auf ein christliches Elterhaus hinweist und dass Kirchenbesuch und Engagement wichtig war, dass es ihm wichtig war. Ich bin sicher, dass er aus Wut und Enttäuschung, vielleicht auch aus dem Gefühl heraus, unerwünscht zu sein, nicht nur von den ihm am nahestehensden Menschen, sondern auch von Gott, diese Tür zugeschlagen hat, nach dem Motto: Jetzt zeige ich es euch allen!
Ich schrieb weiterhin, dass es ihm schon bewußt war, Böses getan zu haben, auch in den Augen Gottes. Es war da also schon eine Stimme in seinem Inneren, sein Gewissen, das da anklopfte; er ließ es draußen und machte es sozusagen "mundtot".
Und dann gab es diese lange Zeit, in der er hoffen durfte, dass sein Todesurteil in lebenslänglich umgewandelt werden würde - nun wird die Berufung abgelehnt, das Todesurteil wird bestätigt!
Nichts läßt sich mehr verdrängen, es bleiben nunmehr sechs Tage Lebenszeit und dann? Dann muß er Rechenschaft abgeben und er weiß, dort steht dann nur die nackte Wahrheit. Alles fällt ihm wieder ein, was ihm einmal, vom Glauben her, wichtig war: er kann nicht schlafen, er weint, er will nicht sterben - nichts läßt sich ändern, nichts wieder gut machen....Angst, Angst, Angst!
Er bittet, wie schon erwähnt, Monsignore William Kerr zu sich. Zwei Tage: er konvertiert und erhält die Sterbesakramente. Doch die Angst bleibt: in der Todesnacht betet er stundenlang mit Freunden, bittet Kerr telefonisch, ihm zum Zeitpunkt der Hinrichtung eine Messe zu lesen.
So sieht seine Angst aus und nichts ist von seinem Übermut geblieben....
Es ist schon erstaunlich, dass ein Mensch wie er, der das Leben anderer nur gering oder überhaupt nicht geachtet hat, so sehr an seinem eigenen hängt.
Dass er sich seines Glaubens erinnert, oder wieder Raum gibt, das Gewissen erwacht, er Furcht vor Gott hat; man nennt dies Angst- oder Furchtreue.
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