Sonntag, 8. Juni 2014

Wie süß kann Rache sein? Eine fast alltägliche Geschichte...

Gerade eben hatte sie aufgelegt und starrte mit einer Mischung aus Zorn und Enttäuschung das Telefon an. So einer war er also! Er suchte das Vergnügen, die Abwechslung, ohne im geringensten daran zu denken, dass er weh tun könnte. Er wußte offensichtlich, dass er sich, trotz seines Alters auf sein männliches Aussehen verlassen konnte, dazu eine gelungene Mischung aus Höflichkeit und betörendem Charme. Kein Wunder, dass er im Grunde jede Frau erobern konnte und auch sie war letztlich auf ihn hereingefallen. 
Eines wußte sie: ihm wütend gegenüber zu treten, ein Szene zu machen, das wäre sinnlos. Das glitt an ihm wie Wasser an einer Ölhaut ab, das würde überhaupt nichts nützen. Er kam ihr vor wie der regelmäßige Gast einer Konditorei, der jeden neuen Kuchen, jede neue Torte probierte, aber nicht, um sich einmal für einen Lieblingskuchen, oder auch mehrere zu entscheiden, sondern um immer einen neuen Gaumenkitzel zu erleben. Sie kicherte bei der Vorstellung, so ein Tortenstück zu sein....da kam ihr eine Gedanke, oder sollte man besser sagen, eine Erkenntnis? Wer immer nach der Suche nach Neuem war, mußte doch innerlich leer oder ein völlig gleichgültiger, gefühlloser Mensch sein. Aus beruflicher Erfahrung wußte sie, dass es etwas bei jedem Menschen gab, woran er hing, was sozusagen seine Achillesferse war. Und die gab es bei diesem Mann auch. 
Plötzlich war ihr Kopf völlig frei, sie konnte sich konzentrieren. Er suchte das Neue bei jeder Frau, die Komplimente, die Umarmung und mehr. Wenn da noch ein paar Hindernisse waren, indem sie sich ein bischen entzog, dann strengte er sich an, die Frau zu erobern. Aber das hatte nichts vom ritterlichen Eroberer, sondern eine gewisse Brutalität an sich. Doch das war nicht wichtig, sondern die Tatsache, dass er eine Frau unbedingt erobern wollte.
Da fiel ihr Blick auf ihren Rechner und es kam ihr eine Idee...

Ein paar Wochen später stand ein neuer Eintrag im Gästebuch seiner Website. Freundlich und irgendwie ein bischen naiv in seiner unverhohlenen Bewunderung, dabei war Aufmachung und Inhalt der Site von der sehr mittelmäßigen Sorte. Für den Eintrag hatte sie einen Allerweltsnamen gewählt, der sich so langweilig las, wie sie es beabsichtigt hatte. Wenige Tage später erhielt sie eine Mail, in der er sich auf seine schleimig-charmante Art bedankte, aber das kannte sie schon. Sie dachte bei sich, dass ihm wohl auch nichts Neues einfiel, aber diese Masche hatte immer funktioniert. Im nun folgenden Briefwechsel, der sich entspann, entzog sie sich ihm immer wieder, indem sie einfach tagelang nicht antwortete. Als er ein Bild von ihr wollte, erklärte sie ihm, dass sie zu dumm sei, ein Bild hochzuladen. Nach seiner ausführlichen Beschreibung, wie das zu machen sei, beschrieb sie sich als unattraktiv und so ein Aussehen wollte sie ihm nicht zumuten. 
Natürlich wollte er, als der Briefwechsel nicht mehr genügte, ihre Telefonnummer haben. Sie erfand daraufhin einen Freund, der offensichtlich nur darauf aus war, sie zu kontrollieren und dem auch schon mal die Hand auszurutschen schien. Sie jammerte ihm vor, dass sie in ihrem Leben bis jetzt nichts als Enttäuschung erlebt hätte. Vom Mädchen, das auf ihre Geschwister aufpassen mußte, ihren Berufswunsch nicht verwirklichen durfe, sondern etwas praktisches lernen mußte. Ihrem jetzigen Freund, der zwar häßlich zu ihr war, aber wen hatte sie denn sonst?
Als sie diese Zeilen tippte, wunderte sie sich über die Phantasie, die sie entwickelte, aber noch mehr darüber, wie er sich von so einer Schmonzette beeindrucken ließ. Ja, da wollte er wohl der Retter einer unterdrückten, unverstanden, einsamen Frau sein und das gab ihm bestimmt ein gutes Gefühl!
Mit der Zeit war in seinen Briefen echtes Mitgefühl zu spüren. Jetzt hatte sie ihn auf der richtigen Schiene! 
Nun gab sie die Frau, die ihre Weiblichkeit gerne leben wollte, sich nach Zärtlichkeit und Liebe sehnte. Prompt antwortete er ihr, dass er ihr das gerne geben wolle. Daraufhin verfiel sie in die religiöse Masche. Dass so etwas Sünde sei und sie schon ein schrecklich schlechtes Gewissen habe, weil sie unverheiratet mit ihrem Freund zusammenlebe. Er beruhigte sie damit, dass Gott die Liebe zwischen den Menschen gewollte hätte und sie sich nicht quälen sollten.
Nun hielt sie die Zeit für gekommen, ihm zu gestehen, dass sie sich in ihn verliebt habe, ihn den mitfühlenden Menschen, und dass sie sich von ihm gerne in den Arm nehmen lassen wolle. Er schrieb ihr daraufhin mit warmen, liebevollen Worten, dass er gerne mit ihr ins Bett gehen wolle.
Sie antwortete ihm nicht mehr, ließ alles ins Leere laufen und die Mails, die von ihm kamen, berührten sie nicht. Mochte er mal am eigenen Leib erfahren wie weh das tat, wie das in der Seele wühlte, wenn man stehengelassen wurde!
Etwa ein halbes Jahr später spazierte sie durch den frühlingshaften Stadtpark. Viele Menschen waren unterwegs: Familien mit Kinder, die auf dem Spielplatz tobten, ältere Leute saßen auf den Parkbänken und ganz mutige junge Leute lagen auf dem Rasen, um die Sonne zu genießen. Und ein paar Bänke waren von den klassischen Pennern mit Hund besetzt. Sie unterhielten sich, während die Hunde balgten. Diese Menschen waren harmlos, friedlich und ihr Leben verlief eben in diesen Bahnen. Sie war beinahe an ihnen vorbei gelaufen, da rief sie ein Mann, der wohl nicht richtig dazugehörte, mit Vornamen an. Sie schaute genauer hin. Ja, er war es, der Mann der sie gedemütigt hatte und an dem sie sich gerächt hatte. Sie fragte ihn was er wolle und vor allem, was hier, bei den Menschen am Rande der Gesellschaft zu suchen hätte. Er schaute sie: ja, mit ihm wolle niemand mehr etwas zu tun haben, seitdem er trinken würde, die Familie nicht und die Freunde sowieso nicht: da könne man mal sehen, dass alle Freunde tot seien, wenn man in Not geriete. Sie antwortete, dass er eben die Trinkerei sein lassen müsse, es gäbe genügend Anlaufstellen, wenn man nur den Willen dazu hätte. Resigniert blickte er zu Boden und sagte, dass auch die ihm nicht helfen könnte, dazu wäre nur ein einziger Mensch in der Lage. Ja, dann müsse er eben zu diesem Menschen gehen, antwortete sie, das wäre doch keine große Kunst. Er schluckte, um die Tränen zu unterdrücken: den Menschen könne er nicht erreichen. Es sei eine Frau, mit der er nicht nur geschrieben habe, sondern deren Schicksal ihn berührt und er sich in sie verliebt habe. Sie antwortete ihm höhnisch, dass er das schon vielen Frauen, sie selbst eingeschlossen, gesagt habe und dann stehengelassen habe. Nein, diesmal sei das anders gewesen, er habe wirkliche, echte Gefühle gehabt und er gäbe viel dafür, von dieser Frau nur ein Wort zu hören. Mit der Bedächtigkeit, mit der man einen vergifteten Pfeil auflegt, sagte sie zu ihm, sie könne ihm zum Kontakt mit dieser Frau verhelfen. Er sah sie an und ein Leuchten ging über sein Gesicht. Hämisch grinste sie ihn an und begann, Passagen aus den Mails zu zitieren. Seine Augen wurden immer größer, Entsetzten malte sich auf sein Gesicht, sie spürte, wie seine Seele zerbrach. Ein Schrei blieb ihm im Hals stecken, er konnte nicht einmal mehr schreien, und er sackte in sich zusammen und wurde immer kleiner. Nur noch ersticktes Schluchzen war leise zu hören. Doch niemand außer ihr nahm davon Notiz.
Sie drehte sich weg und nahm ihren Spaziergang wieder auf - wie süß konnte Rache sein?

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