Samstag, 5. August 2017

Der Fall Hinterkaifeck - Teil 23

Um das Ergebnis meines Fazits nachvollziehen zu können, ist es nötig, einen weiteren geschichtlichen Exkurs einzufügen.
Wie geschichtlich hinlänglich bekannt, zählte das deutsche Kaiserreich zu den Verlierern des I. Weltkriegs. Die Novemberrevolution von 1918/19 führte in der Endphase des Ersten Weltkrieges zur Abschaffung der Monarchie im Deutschen Reich und zu dessen Umwandlung in eine parlamentarisch-demokratische Republik. Die sog. "Weimarer Republik" wurde am 9. November 1918 von Phillip Scheidemann ausgerufen.
Die Geschichte der Weimarer Republik lässt sich nach der Gründungsphase in drei Abschnitte gliedern. In den Krisenjahren von 1919 bis 1923 hatte die Republik mit den unmittelbaren Kriegsfolgen, einer Hyperinflation sowie zahlreichen Umsturzversuchen und politischen Morden zu kämpfen. In den Jahren von 1924 bis 1929 erlebte sie eine Zeit relativer Stabilität, wirtschaftlicher Erholung sowie außenpolitischer Anerkennung und Wertschätzung. Die Weltwirtschaftskrise ab Ende 1929, die Präsidialkabinette nach dem Bruch der Großen Koalition am 27. März 1930 und der Aufstieg der Nationalsozialisten mündeten schließlich in ihren Untergang.
Doch nun zurück nach Bayern, das Teil des deutsche Kaiserreichs, das ein föderalistischer Staat war. Auch hier kam es unter Kurt Eisner zur sog. "Münchner Novemberrevolution".
Im Verlauf der vom Kieler Matrosenaufstand ausgehenden reichsweiten Novemberrevolution zum Ende des Ersten Weltkrieges war Eisner der führende Kopf der revolutionären Umwälzungen in Bayern, die München noch vor der Reichshauptstadt Berlin erreichten. Eisner führte zusammen mit dem Vertreter des revolutionären Flügels des Bayerischen Bauernbundes, Ludwig Gandorfer, im Anschluss an eine Massenkundgebung auf der Theresienwiese am 7. November 1918 einen stetig größer werdenden Demonstrationszug zuerst zu den Garnisonen Münchens und dann ins Stadtzentrum an, ohne auf nennenswerten Widerstand zu treffen.In der Nacht zum 8. November 1918 rief Eisner in der ersten Sitzung der Arbeiter- und Soldatenräte im Mathäserbräu die Republik Bayern als Freistaat aus (sinngemäß „frei von Monarchie“) und erklärte das herrschende Königshaus der Wittelsbacher für abgesetzt.Eisner wurde vom Münchner Arbeiter- und Soldatenrat zum ersten Ministerpräsidenten der neuen bayerischen Republik gewählt und bildete kurz darauf ein Regierungskabinett aus Mitgliedern der SPD und der USPD, in dem er neben seinem Amt des Regierungschefs auch den Posten des Außenministers einnahm. Am 12. November gab Ludwig III. die Anifer Erklärung ab, die am Folgetag in München veröffentlicht wurde. Er entband die bayerischen Beamten und Soldaten vom Treueid auf den König und stellte damit den Fortgang der Verwaltung sicher.In Eisners rund 100-tägiger Amtszeit als Ministerpräsident Bayerns blieben weitere umstürzende Veränderungen aus, da die Regierung, besonders von den SPD-Ministern, nur als ein Provisorium bis zur angesetzten Landtagswahl betrachtet wurde und zudem verschiedene Vorstellungen über die genauen Strukturen des kommenden Staates zu Konflikten führten. Ein wesentlicher Streitpunkt dabei war die Auseinandersetzung um die Frage der Einführung einer parlamentarischen oder einer Rätedemokratie. Eisner selbst vertrat eine Zwischenposition. Er betrachtete die Räte als eine beratende und kontrollierende Instanz gegenüber einem noch zu wählenden Parlament, wollte ihnen jedoch auf Dauer keine legislative oder exekutive Gewalt übertragen. Die Macht der Räte zu Beginn der Revolution verteidigte er als ein Mittel der Erziehung der Bevölkerung zur Demokratie.
Die Banken sowie die großen Industrie- und Wirtschaftsunternehmen blieben unter der Regierung Eisners unangetastet. Ihre zunächst geplante Sozialisierung wurde aufgeschoben. Die monarchistischen Beamten in Justiz und Bürokratie behielten im Wesentlichen ihre Stellungen und verhielten sich abwartend. Lediglich einige soziale und gesellschaftliche Veränderungen zugunsten der bis dahin eher benachteiligten Bevölkerungsschichten, vor allem der Arbeiter, wurden umgesetzt, etwa durch die Einführung des Achtstundentags und des Frauenwahlrechts sowie durch die Abschaffung der kirchlichen Schulaufsicht. Gleichwohl verprellte Eisner damit die einflussreiche katholische Kirche und das konservative Bürgertum, die ihre Vertretung in der Bayerischen Volkspartei sahen.
Außenpolitisch vertrat Eisner zeitweise separatistische Bestrebungen. Er konnte seine Vorstellungen einer Donauföderation zwischen Österreich, Bayern und der neu ausgerufenen Tschechoslowakischen Republik ebenso wenig durchsetzen wie die Forderung, dass die Weimarer Verfassung erst nach Zustimmung der Länder gültig werden sollte. Beides scheiterte am Widerstand der Reichsregierung.Um die von den alliierten Siegern der Ententemächte postulierte Kriegsschuld des Deutschen Reiches (und damit seiner preußischen Führung in der Person des Kaisers) zu beweisen und dadurch bessere Friedensbedingungen für Bayern zu erreichen, veröffentlichte Eisner die geheimen Gesandtschaftsberichte der bayerischen Regierung. Damit machte er sich die führenden Militärs, die ihm sowieso argwöhnisch bis ablehnend gegenübergestanden hatten, endgültig zum Feind. Auch von vielen reichspatriotisch und nationalistisch gesinnten Bürgern wurde er deswegen als Verräter angesehen, da er in ihren Augen auf diese Weise versucht habe, einen Teil Deutschlands gegen einen anderen auszuspielen. Am 25. November 1918 geriet er deswegen mit der Reichsregierung in Berlin, die – zwischen der Ausrufung der Republik und freien Wahlen – von der SPD unter Friedrich Ebert geführt wurde, in einen offenen Konflikt.
Vor den bayerischen Landtagswahlen am 12. Januar 1919 ging Eisner trotz der zunehmenden Kritik an seinen Maßnahmen davon aus, dass die große Mehrheit der bayerischen Bevölkerung hinter ihm und der USPD stünde, wobei er sich insbesondere hinsichtlich der großen Wählerschicht der Landbevölkerung deutlich irren sollte.
Nachdem die USPD bei den Wahlen mit nur 2,53 Prozent der Stimmen eine unerwartet klare Niederlage hatte hinnehmen müssen, sah sich Eisner Rücktrittsforderungen ausgesetzt, denen er sich aber bis zum ersten Zusammentreten des neuen Landtages widersetzte.
Am 21. Februar 1919 verließ Eisner die Räume des Bayerischen Ministeriums des Äußeren, in denen er letzte Hand an seine Rücktrittsrede gelegt hatte, die er um 10 Uhr im neu konstituierten Bayerischen Landtag verlesen wollte. Auf dem Weg durch die heutige Kardinal-Faulhaber-Straße wurde Eisner vom zu dieser Zeit beurlaubten Leutnant im Königlich Bayerischen Infanterie-Leib-Regiment Anton Graf von Arco auf Valley aus unmittelbarer Nähe mit zwei Schüssen in Rücken und Kopf erschossen.

Soweit der nüchterne geschichtliche Exkurs über eine Zeit die schon sehr weit weg ist und sich mit ihren Unruhen, ja bürgerkriegsähnlichen Zuständen unserer Vorstellung entzieht.
Lassen wir daher einen Zeitzeugen zu Wort kommen. Er berühmte Schriftsteller Oskar Maria Graf schilderte in mehreren seiner Bücher die damalige Zeit minutiös, war er doch selbst vom Land gebürtig und nahm an den revolutionären Bewegungen in München teil, wofür er mehrmals verhaftet wurde. Er erlebte also diese Zeit der Umstürze hautnah mit und erzählte, in unnachahmlicher Weise, begabt mit einem untrüglichen Auge, seine Erlebnisse, Eindrücke und Erkenntnisse.
Er beschreibt den Bauern als den Menschen, dem die Inflation zum Segen wurde, nachdem dieser durch den üppigen Schleichhandel, oder Schwarzhandel, und dem politischen Umsturz gewonnen hatte: ihm ging es damals ausnehmend gut. Die Regierungen hatten nach der Revolution den Bauern sehr weitgehende Zugeständnisse gemacht und so diese für sich gewonnen. Sie sicherten sich damit einen bedeutenden Zuwachs an Macht über die unzufriedenen Massen in den Städten.
Der Bauer entpuppte sich als der instinktsicherste Geschäftspraktiker und stand der Stadt unbarmherzig und feindlich gegenüber. Eines leitete ihn: "Mir geht nichts über mich!".
Er hatte den Segen des eigenen Vorteils scharf erkannt und wurde gierig, wie nie zuvor.
Den Bauern war die Politik im Grunde genommen völlig gleichgültig, sie waren lediglich für Ruhe und Ordnung. Sie waren dafür, weil man ihnen eingebleut hatte: wer daran rüttelt, schädigt euch!
Darum zogen sie als Landfahnen der Einwohnerwehr gegen die revoltierenden Städte und halfen, die verhaßten Räterepubliken vernichten. Jeder Streik, jede Forderung der Arbeiterschaft, jede noch so gerechte Gesetzesvorlage in den Parlamenten, welche auch sie in den staatlichen Pflichtenkreis mit einbezog, stachelte ihre Abneigung gegen alles Städtische an.

Ihre Ruhe sah so aus: jeder versuchte, ohne Rücksicht auf die allgemeine Not, möglichst viel aus seinen Erzeugnissen herauszuholen. Aus den Einnahmen baute man sein Haus aus, vermehrte den Viehbestand, kaufte Elektromotoren, erwarb Sachwerte wie etwa Grammophone, Fahrräder, manche kauften sogar Mietshäuser in der Stadt. Man häufte aus, hamsterte und raffte.

Ihre Ordnung war: Die Regierung kann so gelassen werden. 
Sie hat uns durch ihre Unterstützung mit Geld und Waffen zu einer schlagkräftigen Einwohnerwehr verholfen, weil sie uns gegen die Spartakisten, die Kommunisten und die aufständischen Arbeitermassen gebraucht hat. 

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