Samstag, 18. Juli 2015

Gedanken über König Ludwig II. - 4.Teil

Nachdem über das Leben König Ludwigs II. genügend bekannt ist, wird es ab dem 13.06.1886,18:45 Uhr zum Kriminalfall.
Das ist der Beginn des zweiten und letzten Spaziergangs von König und Arzt.
Später stellt man fest, dass in die Uhr des Königs Wasser eingedrungen ist und die Uhr um18:54 stehengeblieben ist.
Die Uhr Dr. Guddens hingegen erst um 20:10 Uhr. Man hat das immer damit begründet, dass Gudden häufig vergaß, die Uhr aufzuziehen.
Geht man von der offiziellen Version aus, dann haben die beiden Männer sich einen Kampf auf Leben und Tod im Wasser geliefert, wobei der König zuerst den Arzt getötet haben soll, dann die Leiche des Arztes etwa 25 Meter im seichten Wasser nachgezogen hat, Schleifspuren waren zu sehen, und sich dann im Wasser, Wassertiefe 1,30 Meter, ertränkt haben soll.
Und da liegt die erste Ungereimtheit. Die Uhren, die seinerzeit benutzt wurden, waren nicht wasserdicht und liefen bei Kontakt mit Wasser sofort voll, blieben also nach wenigen Sekunden stehen. Es hätte also Guddens Uhr etwa um den gleichen Zeitpunkt stehenbleiben müssen, aber so bleibt eine zeitliche Differenz von etwa 1 Stunde und 15 Minuten! 
Dazu kam, dass der Leichnam Dr. von Guddens gar nicht obduziert wurde, obwohl nach damals herrschender Rechtslage, bei unbekannter Todesursache, eine Obduktion zwingend vorgeschrieben war. 
Tatsache ist, Dr. von Gudden wies einen blauen Fleck an der Stirn durch eine Schlagverletzung auf, desweiteren einen eingerissenen Fingernagel und Würgemale am Hals. Diese sollen durch einen Zweikampf mit dem König entstanden sein. Der König hingegen wies keinerlei Verletzungen auf! Wenn die beiden miteinander gekämpft hätten, so hätte Gudden im Todeskampf den König sicherlich verletzt, siehe eingerissener Fingernagel! Die Todesursache bleibt also eigentlich im Dunkeln und Gudden wurde bereits am 17.06.1886 auf dem Münchner Ostfriedhof bestattet. Hier kann man es, andere Angehörige wurden dort auch bestattet, sehen: 
http://www.federfuchser.info/media/2...r_liegt_wo.jpg

Und überhaupt: beim gründlichen Nachdenken stellen sich doch viele Zweifel an der offiziellen Version ein. Stellen wir uns mal vor: Beide gehen nebeneinander den Weg am See entlang, plötzlich lief Ludwig los und in den See hinein und wurde im See von Gudden eingeholt.
Und da tauchen wieder Ungereimtheiten auf.

1. Ludwig war größer und jünger, also konnte er wahrscheinlich schneller laufen, wie soll der Doktor ihn dann einholen? Immerhin war Ludwig 1,91 groß, wog über 100 kg und erst 40 Jahre alt. Dr. Gudden hingegen war vergleichweise klein, etwa 1,75 m (soviel ich weiß) und 62 Jahre alt.

2. Der Mantel des Königs wurde am Ufer gefunden, in ihm steckte noch seine Jacke, hätte Ludwig sie dort ausgezogen, wäre er doch dort vom Doktor eingeholt worden und nicht erst im See. Der Doktor konnte ihm die Jacke nicht ausziehen, wie sollte er das schaffen? 

3. Nehmen wir einmal an, der König wollte wirklich Selbstmord begehen oder, viel eher, flüchten, wo würde er den Arzt "schachmatt" setzen? Natürlich am Ufer! Mantel und Jacke ausziehen und dem Arzt einen Faustschlag verpassen, so dass er das Bewußtsein verliert. Es wurde zwar eine Beule über dem rechten Auge des Arztes festgestellt, aber auch ein eingerissener Fingernagel. Also ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mensch, der von einem ungleich stärkeren und größeren Gegner einen Faustschlag ins Gesicht bekommt, oder auf den Kopf, nicht wenigstens für ein paar Minuten benommen ist. Es bliebe ein kleines Zeitfenster, in dem es möglich wäre, in den See zu gehen und dann los zuschwimmen. Spätestens dann, wenn der Verfolger, also Gudden ins Wasser gegangen wäre, um seines Patienten habhaft zu werden, wäre Wasser in die Uhr eingedrungen und stehengeblieben...
Es ist auch unvorstellbar, dass der Flüchtige, in dem Fall der König, umgekehrt wäre, um Gudden zu töten.
Wäre ich Gudden gewesen, der aus einer Benommenheit oder kurzen Bewußtlosigkeit wieder zu Bewußtsein gekommen, wäre ich nicht dem König ins Wasser nachgegangen, bzw. geschwommen, sondern hätte mir fix Hilfe aus Schloß Berg geholt. Natürlich hätte man das Risiko gehabt, dass der König Hilfe bekommen hätte und sich unter der Obhut seiner Helfer, ganz normalen Leuten, die den König verehrten, Rechtsanwälte und Gutachter nehmen können. Von dem entstandenen Skandal ganz zu schweigen!

4. Hätten der König und der Arzt wirklich gekämpft, egal ob im oder außerhalb des Wassers, hätte es Kampfspuren auch am König gegeben, etwa ein abgerissener Knopf, ein Riß in Hemd, bzw. Weste, Kratzer im Gesicht, etc.. Aber da war nichts, nicht der kleinste Hinweis.

5. Gudden hatte seinen Eltern angeblich versichert, dass er vor dem König keine Angst habe, da er ein Mittel habe, mit dem er den König augenblicklich außer Gefecht setzen könne. Was sollte das für ein Mittel sein? Es gab zwar Chloroform, Morphium, die Opiatmischung Laudanum (Alkohol, Opium plus weitere pflanzliche Bestandteile), Kokain und einen Vorläufer von Valium, aber sie wurden alle oral verabreicht, bzw. Chloroform eingeatmet. Die seinerzeit verwendeten Spritzen waren eher Klistiere und Spritzen, die man für die Verabreichung von Medikamenten nutzte, waren erst Ende des 19. Jahrhunderts etwas ausgefeilter. Sie waren aber nur dafür geeignet, Medikamente intravenös zu verabreichen. Also ein bloßer Einstich ins Fett- oder Körpergewebe reichte da nicht aus.
Außerdem: wäre es Gudden gelungen, dem König per Spritze ins Fettgewebe jenes geheimnisvolle Medikament zu verabreichen und es sofort gewirkt hätte, dann hätte er überlebt. Ganz unglaubwürdig, das Ganze!

6. Hatte der König einen ganz banalen Herzschlag, in dessen Folge er unter Wasser geriet und ertrank? Zugegeben, diese Theorie klingt auf den ersten Blick doch ziemlich plausibel, vor allem wenn man noch die vorhergehende Mahlzeit mit reichlich Alkoholgenuß, die kalte Wassertemperatur (12°C), sowie die Anstrengung und das Schockerlebnis, einen Menschen getötet zu haben, mit in Betracht zieht.
Nur: die Obduktion des Königs zeigt, dass er kein Wasser in der Lunge hatte. Ertrunkene haben Schaum vor dem Mund, im Mund, im Rachen und eine stark aufgeblähte Lunge. Die Leiche des Königs wurde in in halb gebückter Stellung, mit dem Gesicht im Wasser, aufgefunden. Außerdem waren bei der Obduktion des Königs zwar Ärzte, aber kein Staatsanwalt oder Richter anwesend, wie es damals schon üblich und gefordert war.
Außerdem ist da immer noch die Uhr Guddens: wäre er vor dem König im Wasser gestorben, da war schließlich auch der Auffindeort seiner Leiche, hätte seine Uhr in etwa um die gleiche Zeit wie die des Königs stehenbleiben müssen. 

7. So richtig interessant gestaltet sich die Situation nach dem Tod des Königs und Guddens.
Damit meine ich nicht die einseitige Obduktion des Königs und auch nicht die unterbliebene Obduktion von Guddens Leiche.
Sämtliche Anwesenden im Schloß, egal ob Ärzte, Verwalter, Bedienstete oder Gendarmen, werden nach München zu Ministerpräsident Lutz beordert und müssen dort auf die Bibel schwören, niemals, also auch nicht in der Beichte oder auf dem Sterbebett, über die Vorkommnisse am Abend, bzw. in der Nacht vom 13. Juni zu sprechen.
Hier die Liste der Vereidigten:

Dr. Müller, Irrenarzt
Huber, Verwalter
Schuster, Diener
Hartinger, Diener
Liebmann, Diener
Gumbiller, Küchengehilfe
Wimmer Schloßverwalter
Lidl, Leibfischer des Königs
Georg Klier, Gendarm
Max Lechl, Gendarm
Ludwig Rasch, Gendarm
Johann Lauterbach, Gendarm
Dr. Grashey, Guddens Schwiegersohn
Mauder, Pfleger
Hack, Pfleger
Schneller, Pfleger
Zanders, Stabskontrolleur
Baron Washington
Georg Ritter. Hofoffiziant
Karl Rottenhöfer, Hofoffiziant

Verdächtig mutet an, oder scheint zumindest eine auffällige Anhäufung von Merkwürdigkeiten, was mit einigen Personen weiterhin geschieht.

- Graf Holnstein, einer der aktivsten Personen im Entmündigungsverfahren gegen den König stirbt völlig erblindet. Er hatte den Ausspruch getan: "Wenn ich am Tod des Königs irgendeine Schuld haben sollte, dann will ich auf der Stelle blind sein!"

- Die Diener Schuster und Hartinger werden bald in die Irrenanstalt Haar eingeliefert, in der die Beiden bald sterben.

- Der Küchengehilfe Gumbmiller begeht Selbstmord in der Isar.

- Von den Gendarmen wird Georg Klier davon "überzeugt", nach Amerika auszuwandern und mit reichlichen Geldmitteln ausgestattet.

- Johann Lauterbach quittiert den Polizeidienst und wechselt zur Bayr. Staatsbahn, wo er innerhalb eines Jahres bei einem mysteriösen „Arbeitsunfall“ ums Leben kommt ( er wurde mit eingeschlagenem Schädel aufgefunden).

- Die anderen Gendarmen werden nach Franken und in die Oberpfalz versetzt, möglichst weit weg von München!

- Der Fischer Jakob Lidl hat nach einer gewissen Bedenkzeit, man drohte ihm mit der Unterbringung ins Irrenhaus ("Es wäre leicht gewesen, mich nach Haar zu bringen"), ebenfalls ein lebenslanges Schweigegelübde abgelegt. Er steigt in der Folgezeit zum Bürgermeister seiner Gemeinde auf und erhält ein schmuckes Haus als Eigenbesitz.
Doch Lidl war nicht dumm; er umging den Schwur auf äußerst raffinierte Weise: er vertraute sein Wissen einem Schulheft an, in das sein Nachfolger Mertl Einsicht nahm, dieser berichtete alles dem Ludwigforscher Albert Widemann.
Zwei Bögen dieses Heftes sind 1961 aufgetaucht und sind im Wortlaut im Buch " Anton Sailer - Bayerns Märchenkönig" abgedruckt.

8. Fassen wir noch einmal kurz zusammen.
Die Mord-Selbstmordtheorie scheidet meiner Meinung nach völlig aus. Der König hatte in der Nacht vor seiner Gefangennahme zwar Selbstmordgedanken, aber er führte den Selbstmord nicht aus. Man muß auch die Aufgeregtheit und die stressige Situation bedenken, in der sich der König befand. Er schenkte dem Soldaten Weber zwar 1.200 Goldmark, sowie eine seiner kostbaren Hutagraffen im Wert von 25.000 Goldmark und schrieb darüber sogar einen Schein aus, damit Weber,sollte die Agraffe zurückverlangt werden, eine dementsprechende Entschädigungssumme bekam. Er bat Weber, für ihn zu beten und sagte, dass er hoffe, dass Gott ihm diesen Schritt gnädig verzeihen möge. Ansonsten lief er ruhelos umher, schwadronierte darüber, wie schön es wäre, vom Turm oder der heutigen Marienbrücke in den Tod zu springen, er verlangte Gift. Später trank er dann übermäßig, um sich zu beruhigen: eine ganze Kanne Rum mit Gewürznelken und eine Flasche Champagner. Doch der Selbstmord kam nicht zur Ausführung, obwohl es ein leichtes gewesen wäre, vom Balkon zu springen, sich aufzuhängen oder sich die Pulsadern zu öffnen. Selbst bei der Kutschfahrt nach Schloß Berg hätte der König eines der Fenster der Kutsche zerschlagen, es gab damals noch kein Sicherheitsglas, zerschlagen und sich damit Verletzungen an den Adern zufügen können, z.B. an der Halsschlagader.
Ich denke, dass der König daran dachte, in Schloß Berg eine Möglichkeit zur Flucht zu finden. Die Landbevölkerung mochte seinen König, der im Beisein einfacher Leute nie schüchtern oder in sich gekehrt war. Er besann sich also auf seine charmanten Eigenschaften, mit denen er andere "einseifen" konnte....
Selbst wenn der König sich hätte ertränken wollen, wie hätte er das machen sollen? Wenn man schwimmen kann und gerät einmal selbst an einer Stelle, die sehr tief ist, schwimmt man ja auch zurück.... Ungeheure Willenskräfte, über die meiner Meinung nach kein Mensch verfügt, hätten aufgewendet müssen, um sich selbst unter Wasser zu drücken und zu halten!
Und da gibt es immer noch die zu unterschiedlichen Zeiten stehengebliebenen Uhren, die zu dieser Zeit nachweislich nicht wasserdicht waren....
Außerdem: Gudden war Nichtschwimmer! Es gerät wirklich zur Lachnummer, zu behaupten, dass eine kleiner, körperlich weit unterlegener Nichtschwimmer einem Koloss von Mann ins Wasser nachspringt, um ihn vom Selbstmord abzuhalten. Jeder einigermaßen vernünftige Mensch würde dies unterlassen und Hilfe holen, bzw. um Hilfe rufen, da Gendarmen im Park postiert waren.

Auch die Theorie vom Mord und anschließenden tödlichen Herzanfall scheidet somit aus. Selbst wenn man annimmt, dass der König Gudden bereits am Ufer bewußtlos schlug, um dann zu flüchten, erklärt dies wiederum nicht, warum erst so spät Wasser in Guddens Uhr eindrang. Es kann doch kaum angenommen werden, dass, man verzeihe mir meinen Sarkasmus, Gudden anschließend ins Wasser ging um sich zu ertränken, schließlich hatte er in punkto Verantwortung völlig versagt, und das nach reiflicher Überlegung über eine Stunde nach dem Tod des Königs.

Und selbst wenn der König den Arzt zunächst bewußtlos geschlagen hätte um fliehen zu können und dabei im Wasser einen Herzschlag erlitten hätte, wäre Gudden zwar verletzt, aber doch mit dem Leben davon gekommen. Man hätte den König sogar noch "irrer" aussehen lassen können, als ohnehin. Ich stelle mir die Schlagzeile vor: "Patient schlägt Arzt bewußtlos und erleidet anschließend tödlichen Herzanfall!" Oder man hätte tatsächlich von Selbstmord schreiben können - "irre" eben.

Was kann nun wirklich passiert sein?

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