Samstag, 9. Mai 2015

Der Fall Hinterkaifeck - Teil 10

Ein interessanter Fund im Zusammenhang mit dem Mord ist das Sterbebildchen.

Allgemein wissenswertes:

Sterbebildchen wurden seit dem 17. Jahrhundert verfasst, um Todesnachrichten zu verbreiten und um die Erinnerung an den Verstorbenen aufrecht zu halten.
Neben den faktischen Informationen wie Name, Geburts- und Todesdatum des Verstorbenen, Familienstand usw. enthielt das Sterbebild meist auch Illustrationen von Bibelszenen oder Darstellungen von Schutzengeln oder -heiligen.
Ab Ende des 19. Jahrhunderts wurden zunehmend Fotografien des Verstorbenen in das Sterbebild aufgenommen.

Fundort des Sterbildchens

Dieses Sterbebild ist v.a. wegen der handschriftlichen Notizen darauf interessant. Es stammt aus dem Besitz von Stefan Rosenmeier aus Hagelstadt und wurde wegen seinem Fundort als "Hagelstädter Sterbebild" bekannt.
Es wurde Rosenmeiers Vater vom ehemaliger Mesner geschenkt, der es beim Abriß der alten Sakristei der Kirche in einem Kirchenbuch fand.
Hagelstadt liegt 20km südlich von Regensburg und ist etwa 100 km von Hinterkaifeck entfernt. Wie das Bildchen nach Hagelstadt kam, ist ungeklärt.

Es war aber damals so, dass Menschen von weiter weg zu einer Beerdigung kamen, auch wenn sie nicht zur Trauerfamilie gehörten. Bei der Beerdigung der Opfer von Hinterkaifeck waren etwa 1000 Menschen anwesend…die Neugierde war damals nicht kleiner als heute!

Gedanken zum Sterbebildchen

a) für mich sind die Worte wie folgt zu lesen (ich kann die alte Schrift noch einigermaßen lesen, leider nicht schreiben, schade) : neidisch, räuberisch, in der ganzen Umgegend verachtet, wg. Unsittlichkeit 1 Jahr, Blutschande, Strafe Gottes

b) Das Kürzel "wg." kann man tatsächlich für Steno halten, aber ich denke, dass hier einfach nicht genug Platz war, das Wort auszuschreiben und außerdem war der weitere Text wichtiger.
Nebenbei: früher kürzte man Worte auch ab. Ich habe zu Hause ein altes Andenken an Altötting, dass die Besitzerin/der Besitzer auch beschriftet hat. Dabei finden sich zwei abgekürzte Worte: heilige und feierlich.
Der Gesamtext lautet: Erinnerung an die hl. feierl. Profeß von Sr. (abgekürzt von Schwester, auch heute noch üblich (Rest fast unleserlich, da das Andenken nur klein ist (Breite: 3,5 cm, Höhe: 9,5 cm)


c) Ich habe noch nirgends gehört, dass Menschen ein Sterbebild, ein Wallfahrtsandenken, ein Heiligenbild beschriften, ohne dass sie in irgendeiner Beziehung zu der Person gestanden hätten. 
Privat sammle ich diese alten Bildchen und drei davon sind beschriftet. Einmal: "Das einzige Andenken an meine Mutter", "Erinnerung an die hl. feierl. Profeß der Sr. ...."
und ein Geburtsdatum des Verstorbenen, das offensichtlich vergessen wurde.

d) Der Besitzer des Sterbebilds muß den älteren Erwachsenen, nicht den Kindern oder der Magd, außerordenlich negativ gegenüber gestanden haben, das ist nicht nur ein einfaches "dem Herzen Luft machen".

Der Zusatz "Mein Jesus, Barmherzigkeit" ist mit den Worten "Strafe Gottes" überschrieben worden. Dazu ist folgendes wissenswert: Pius X. erlaubte 1857 einen Ablaß von jedesmal 300 Tagen, wenn ein Gebet mit diesem Stoßseufzer beschlossen wurde. Dieser Ablaß konnte für sich selbst,gewonnen werden, beim Gebet für Verstorbene kam er ihnen zugute, d.h. 300 Tage weniger im Fegefeuer. Es gab noch mehr solcher Stoßseufzer, z.B. "Süßes Herz Mariä, sei meine Rettung (300 Tage Ablaß).

Auch wichtig: wer stirbt und mit seinen letzten Worten "Jesus" oder "Mein Jesus, Barmherzigkeit" sagt, muß nicht in die Hölle, sonder "nur" ins Fegfeuer.
Der Verfasser der Worte "Strafe Gottes" wünscht ihnen also die Hölle, weder Gnade, noch Barmherzigkeit, noch Vergebung, sondern ewig währende Strafe.

Hier kann man das Sterbebildchen betrachten:

http://www.google.de/imgres?sa=X&biw...ed=0CFcQrQMwAA

Dienstag, 5. Mai 2015

Der Fall Hinterkaifeck - Teil 9

Da mich auch immer die Opfer interessieren, ein kleiner Exkurs über Viktoria Gabriel, die Bäuerin. Entgegen dem Gerede, dass der alte Gruber der "Tyrann von Hinterkaifeck" war und sich alle vor ihm ducken mußten, sehe Viktoria Gabriel als sehr selbstbewußte Frau, die sich nicht geduckt hat.

a) Ihr gehörte der Hof und zwar schon seit 1914. Ihr Stiefbruder erhielt nur ein kleines sog. Muttergut, das immer in Geldform hinterlegt, bzw. ausbezahlt wurde, worüber dieser bestimmt nicht glücklich war, da es zur dieser Zeit eher üblich war, dass man einem männlichen Nachkommen, hier Stiefbruder, ein Anwesen überschrieb.

b) Die Verhandlungen über den Umbau des Hofes, die Stahlträger dafür waren schon vor Ort, führte sie. Denn sie signalisierte in den Vorverhandlungen einem Unternehmer, dass sie bar bezahlen könnte. Nicht zu vergessen, die 700 Goldmark, also Geld das nicht entwertet werden konnte, im Beichtstuhl. Und das in einer Zeit, in der eine Frau beinahe immer noch unter der Vormundschaft des Mannes, des Bruders oder Vaters stand.

c) Die Wertsachen, die nach dem Mord gefunden wurden, siehe bei Wiki die Inventarliste, wurden ausschließlich in ihrem Schlafzimmer aufbewahrt. Kaum vorstellbar, dass einer der Familienangehörigen dort hingehen durften, um Dinge dort zu holen, z.B. eine Uhr. Sie "saß" darauf, paßte auf, kurz, hatte sie in Verwahrung.

d) Nach der Hochzeit mit Karl Gabriel kam es zu außerordentlichen Streitigkeiten, dass sogar eine Scheidung ins Auge gefaßt wurde. Wie sich eine Frau ducken mußte, selbst wenn sie einen Knecht heiratete, kann man in der Kurzgeschichte "Hölleisengretl" von Oskar Maria Grafhttp://www.robert-hueltner.de/media/...tdokumente.pdf nachlesen. Aber Viktoria war die Herrin auf dem Hinterkaifecker Hof! Dazu paßt auch, daß sie nie mehr heiratete, wozu auch, sie brauchte keinen Herrn über sich und an Bewerbern hat es auch nicht gefehlt.

e) Sie war,lt. verschiedenen Aussagen, ein schöne, wahrscheinlich rotblonde Frau, mit der für damalige Zeit für eine Frau eher ungewöhnlichen Größe von 1,70 m. Da sie mit anpacken konnte, war ihr Körper, heute würde man sagen, trainiert und schlank war sie obendrein.
Die Frau war sich sicher ihrer Ausstrahlung bewußt und unterstrich diese, bei passender Gelegenheit, mit Kleidung und Schmuck. Den Mann, der ihr gefiel, suchte sie sich wohl immer einmal wieder aus, denn sie wird als sexuell freizügig geschildert. Man stelle sich das zu einer Zeit vor, in der man schon durch ein Lächeln, oder wenn man mit einem Mann sprach, der nicht zur Familie gehörte, oder als Heiratskandidat galt, schon in Verruf kommen konnte.

f) Nach der Verurteilung wg. Inzests ( wobei ich mich frage: wenn da schon ständig Inzest getrieben wurde, warum gab es da keine Kinder? Verhütungsmittel gab es so gut wie nicht und abtreibende Kräuter wirken nicht immer zuverlässig) sie mußte eine Gefängnisstrafe antreten. Sie machte sich nicht klein und sonderte sich nicht von der Gemeinschaft ab, indem sie den Kirchenchor verlassen hätte, sondern bleib weiterhin die erste Sängerin und pflegte weiterhin ihre sozialen Kontakte (dass diese für heutige Begriffe als mager gelten, liegt einfach daran, dass die damalige Zeit, gerade auf einem Hof, mit schwerer Arbeit angefüllt war).

g) Nach der Geburt ihres Sohnes, bei dem keinesfalls erwiesen ist, dass er geistig zurückgeblieben war, kapselte sie sich auch nicht ab. Der Kindsvater war ihr auch nicht wirklich wichtig, sonst hätte sie ja LS heiraten können, der sowieso als solcher fungierte, und falls sie Schande gefürchtet hätte, es war ihr Sohn, ihr Erbe.

Alles in allem eine selbstbewußte Frau, schon modern zu nennen, eine Herrin, die alle Sachen selbst in die Hand nahm und sich bestimmt wohl dabei fühlte.

Wer das anders sieht, kann gerne dazu schreiben, sollte seine Meinung aber fundiert begründen.
Dann muß man aber schon berücksichtigen, wie verhält sich der Mensch nach außen.
Und, ganz wichtig, man sollte sich, unter Berücksichtigung der zeitlichen Umstände, in die Person einfühlen.
Ein Profil erstellt sich ja nicht aus irgendwelchen Gerede, sondern aus vielen Einzelteilen. Das entstandene Bild kann dann ganz anders aussehen, als das, daß durch das Gerede der Leute entstanden ist und dann schon eher ungewöhnlich sein kann.

Der Fall Hinterkaifeck - Teil 8

Kommen wir jetzt zu den Tatwaffen. Ich werde mit den Tatwaffen beginnen, denen nicht soviel Bedeutung beigemessen wird, die Reuthaue werde ich in einem gesonderten Beitrag behandeln.

Da wäre als erstes das im Stadl aufgefundene Taschenmesser. Der alte Gruber war im Besitz eines Taschenmessers, die zu dieser Zeit wohl alle so ziemlich gleich ausgesehen haben dürften, und hatte es angeblich verloren. Das Taschenmesser wurde als das Messer des alten Gruber von der ehemaligen Magd Kreszentia Schmidt, geb. Rieger", identifiziert. Das klingt plausibel, aber es gab da ein Brüderpaar aus Sattelberg, ich werde sie noch gesondert behandeln, von denen einer äußerte, es täte ihm nicht leid, nur, dass er sein Taschenmesser (!) verloren hätte. Über das Taschenmesser dürften nur wenige Leute Bescheid gewußt haben. Die kleine Cäcilie Gabriel wies eine Halsverletzung auf, die von einem Taschenmesser stammen konnte.

In den letzten Jahren wurde bekannt, daß, ebenfalls im Stadl, ein Bandeisen, Erklärung dazu am Ende, gefunden wurde, das Blutanhaftungen aufwies. Das Bandeisen findet aber keine weitere Erwähnung. Evtl. befand es sich bei den Asservaten die im Augsburger Justizpalast eingelagert waren und mit den Akten, sowie weiteren Asservaten, in der schweren Bombennacht von 1944 verbrannten.


Bandeisen (Reifeisen, Faßreifeisen, Radreifeisen), das ausgewalzte Eisen, dessen Dicke 0,8–7 mm und dessen Breite 10–32 mal so groß ist.
Es kommt in vielen Sorten, je nach der Dicke und Breite, und in großen Längen im Handel vor. Man unterscheidet dünnes, 11/4faches, 11/2faches und doppelt dickes, welche vier Gattungen z.B. bei 15 mm Breite 1,4, 1,75, 2,1 und 2,8 mm und bei 105 mm Breite 3,5, 4,4, 5,25 und 7 mm dick sind.
Hier kann man ein Bandeisen sehen: http://www.google.com/images?site=&q...2F%3B600%3B302


Im Stall wurde in einem Futtertrog, in dem das Heu für die Kühe geschüttet wurde, einKreuzpickel gefunden. Ursprünglich war er an der Wand des Futtergangs gelehnt, dort hatte ihn Lorenz Schlittenbauer gefunden und in den Trog gestellt. Die Untersuchung ergab, dass dieser Pickel von den Tieren bereits abgeleckt worden war und keinerlei Spuren aufwies. Bild zum Kreuzpickel: http://www.google.com/images?site=&q...%3B2787%3B2180

Wie ungenau diese labortechnischen Untersuchungen genutzt wurden,zeigt bereits der äußerst mangelhafte Obduktionsbericht. Es gab seinerzeit schon Möglichkeiten:

Daktyloskopie, also das Fingerabdruckverfahren, war damals eingeschränkt möglich (nur ungenau, teilweise unterlassen)
Haarprobenvergleich( unterlassen) 
Todeszeitpunktbestimmung (in der Genauigkeit unterlassen) 
Schwangerschaftsnachweis ( erfolgte bei Viktoria Gabriel)
Tatortdokumentation wie Farbbilder, Schwarzweißbilder, Kartenerstellung, Inventarlisten (teilweise nur mangelhaft) 
Zeugenbefragungen (ging in alle Richtungen, war teilweise schlampig, siehe Monteur Hofner 
Blutanalysen: Unterscheidung zw. menschlichem und tierischem Blut war möglich



Schon allein die Anwesenheit nur eines Arztes, statt der gesetzlich vorgeschrieben zwei Ärzte, läßt auf wenig Sorgfalt schließen.
Ebenso fehlt für jedes einzelne Opfer ein einzelnes Blatt, mit Angabe des Namens, Alters, Geschlecht, Allgemeinzustand, sowie älterer Verletzungen wie etwa Narben.

Bei Viktoria Gabriel werden neun Schläge auf den Kopf gezählt, ebenso Würgemale. Keine Erwähnung, ob bereits diese Würgemale auf eine Todesursache hindeuten und schon gar keine Untersuchung des Kehlkopfes. Es werden auch keine weiteeren Abwehrverletzungen erwähnt, wie etwa Schnitte oder Hämatome. Auch der Zustand der Leiche, nach Verwesung, wie etwa Totenflecke fehlt völlig.
Es wurden lediglich die Köpfe abgetrennt, ein damals angewandtes Verfahren, um die Anzahl der Schläge feststellen zu können: es sollen insgesamt neun Schläge gewesen sein.

Schon diese Beschreibungen machen stutzig, denn sie sind nicht genau und zählen im Grund nicht mehr als die Anzahl der Schläge auf. Keine genaue Beschreibung, wo sie sich eigentlich befanden. Da der Schädel der Viktoria Gabriel neun sternförmige Löcher aufwies, und, nach Rekonstruktion, alle auf der gleichen Seite waren, ist die Frage berechtigt, ob diese Schläge nicht der Sterbenden oder Toten zugefügt wurden, um andere Verletzungen zu überdecken, es steht doch wohl außer Frage, daß niemand still hält, wenn er in diser Weise geschlagen wird; die Löcher müßten weiter verteilt sein.
Ein Schädel, der diese Anzahl von Schlägen aufweist, müßte auch eingedrückt sein und ein Gemisch von Blut, Haaren und Knochensplittern aufweisen. Aber davon steht nicht in diesem äußerst mangelhaften Obduktionsbericht.
Es fehlt auch der Abgleich, spätestens mit den nackten Schädeln wäre dies möglich gewesen, mit der angenommenen Tatwaffe, der Reuthaue, die ich wie gesagt, noch gesondert behandeln werde.

Gut, man mag einwenden, dass im II. Weltkrieg doch vieles durch den Brand des Augsburger Justizpalastes vernichtet wurde, aber in der verbliebenen Aktenlage, einsehbar in München, gäbe es Hinweise oder Querverweise. Fazit: es wurde nicht korrekt gearbeitet.