Zuerst fuhr sie aber in den Urlaub nach Spanien. Aber anstatt sich von der Sonne und der Gastfreundlichkeit der Spanier verwöhnen zu lassen, den Nachbarn zu vergessen und zu flirten, dachte sie täglich darüber nach, was sie denn nun zu Hause tun würde.
Sie war derart in ihre schwarzen Gedanken versunken, dass sie das schüchterne stupsen an ihrem Fuß zunächst gar nicht bemerkte. Erst nach dem dritten oder vierten Stupser blickte sie von ihrem Liegestuhl nach vorn. Und da saß sie, eine kleine magere Tigerkatze, struppig, ungepflegt mit bernsteinfarbenen Augen und gab ein leises "Miau" von sich. Sie war entzückt von dem kleinen Wesen und lockte es mit Worten an. Da kam auch schon ein Angestellter des Hotels und wollte die Katze verscheuchen. Doch sie bestand darauf, gegen ein dementsprechendes Trinkgeld, dass die Katze gefüttert würde. Noch am gleichen Tag ging sie in die Stadt und kaufte dort einen geräumigen Katzenkorb, Näpfe und Futter. Sie konnte den Tag ihrer Abreise kaum erwarten, um die kleine Mieze nach Hause zu bringen.
In den Wochen nach ihrem Urlaub schien sie wieder ausgeglichen zu sein und kümmerte sich in rührender Weise um die kleine Spanierin. Wenn man dem Klatsch im Viertel glauben durfte, dann hatte sie schon sehr viel Geld für Tierarzt und Medikamente ausgegeben; die kleine Katze erholte sich aber auch prächtig.
Zeitgleich kame aber seltsame Gerüchte über ihren Nachbarn und seine Familie auf. Das reichte vom Sozialhilfeempfänger bis zur Verwahrlosung der Kinder. Diese Nachreden schwirrten ganz fein, machten sich breit, und es gab immer Menschen, die einen so bösartigen Klatsch in sich aufsogen, wie ein trockener Schwamm Wasser. Und genauso, wie ein solcher Schwamm tropfte, gaben sie das Gerede weiter. Doch sie, als Urheberin, war nicht zu fassen, es war als würde man im Nebel stochern, denn auf sie, als Tierfreundin, war über jedem Verdacht erhaben. Sie amüsierte beinahe königlich über die Hilflosigkeit ihrer verhaßten Nachbarn.
Dann fand sie, dass es an der Zeit sei, diese erfolgreichen Gemeinheiten zu feiern. Sie bestellte einen Tisch im besten Restaurant der Stadt und lud ihre Klatschweiber zu einem üppigen Essen ein.
Gegen halb eins betrat sie, ziemlich aufgedonnert, das voll besetzte Restaurant. Ein eifriger Kellner begleitete sie zu ihrem Tisch, an welchem schon die Eingeladenen saßen. Bevor sie sich setzte, warf sie noch Blicke an ihre Nachbartische, in der Hoffnung, bewundernde Blicke zu ernten. Und wirklich: vom linken Nachbartisch aus, er war besetzt mit zwei Damen und drei Herren in tadellosen Anzügen und ebensolchen Kostümen, nickte ihr ein Herr mit einem Lächeln zu. Sie dachte bei sich, dass er zwar nicht groß war, aber mit seinem Waschbrettbauch ein tolle Figur machte, ebenso mit seinem perfekten Kurzhaarschnitt und der passenden Brille. Sie setzte sich so, dass er sie gut sehen konnte, dann begrüßte sie ihre Freundinnen.
Schon während der Vorspeise wurden ihre Nachbarn zum Gesprächsthema, das Hauptgericht begleitete die weitere Vorgehensweise gegen die Familie und das Dessert krönte ein Getratsche über den Arbeitgeber der Nachbarin, einer angesehenen Rechtsanwaltskanzlei, bei der die Nachbarin als Schreibkraft arbeitete. Es fielen Worte wie Gangster, Mandantengelder veruntreuen und vieles in der Art. Die Frauen waren schließlich so in ihre bösartigen Redereien vertieft, dass es ihnen gar nicht auffiel, dass am Nachbartisch die Unterhaltung erstarb und nur noch zugehört wurde. Aufmerksam wurde sie erst, als der fesche Mann vom Nachbartisch neben ihr stand und sie namentlich ansprach: ob sie sich noch an ihn erinnern könne? Sie lächelte ihn an und verneinte. Doch seine Antwort ließ sie erblassen: er sei Rechtsanwalt Dr. Kenzer von der Kanzlei Frank & Kollegen. Frau Schmidt, so hieß ihre Nachbarin, hätte einander vor etwa zwei Jahren, anläßlich einer Konzertaufführung vorgestellt. Er würde Klage gegen sie wegen übler Nachrede, Geschäftsschädigung und ähnlichem einreichen. Im übrigen vertrete er mit sofortiger Wirkung Frau Schmidt, die ihn wegen der üblen Gerüchte, die über sie und ihre Familie im Umlauf waren, um Rat gebeten habe. Dann drehte er sich um und verließ mit seinen Kollegen das Restaurant.
Jetzt fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: das war doch der pummelige, vollbärtige Mann, der seinerzeit sein Haare etwa schulterlang getragen hatte! Das Dessert, das noch zur Hälfte vor ihr stand, schmeckte nun überhaupt nicht mehr.
Plötzlich wollten auch ihre sogenannten Freundinnen nichts mehr mit ihr zu tun haben, wenn sie mit ihren Nachbarn in Haus und Viertel reden wollte, drehten sie sich entweder weg oder fanden lahme Ausreden, um ihr nicht antworten zu müssen.
Da fiel ihr ihre alte Freundin ein, die ihr seinerzeit geraten hatte, den Nachbarn in Ruhe zu lassen, da der einfach nur ein freundlicher Mann war; aber sie hatte ja nicht hören wollen, sondern ihren Kopf durchsetzen wollen. Sie rief also bei ihr an und die Freundin reagierte, wie nicht anders zu erwarten war, ausgesprochen einsilbig.
Sie hätte ihr damals gesagt, sie solle die Finger von dem Mann lassen und alles was jetzt passiere, habe sie sich selbst zuzuschreiben.
Darauf hin heulte sie ins Telefon: sie würde es gern ungeschehen machen.
Als Antwort kam, dass sie, die Freundin, die falsche Adresse sei, vielleicht würde die Nachbarin mit sich reden lassen und somit zumindest diese Klage dann hinfällig sei.
Geraten, getan!
Am frühen Abend, ihre Nachbarin war soeben von der Arbeit nach Hause gekommen, läutete sie an deren Wohungstür. Die Nachbarin öffnete und fragte kurz, was sie wolle.
Ja, das sei doch alles so nicht beabsichtigt gewesen, sie sei eben verliebt gewesen und da könne man doch darüber hinwegsehen....
Die Nachbarin schnitt ihr das Wort ab: wenn das so etwas wie eine Entschuldigung sein solle, so interessiere sie das nicht im mindesten. Man sähe sich vor Gericht wieder.
Dann schloß die Nachbarin die Tür wieder.
In den nächsten Tagen saß sie wie auf glühenden Kohlen und ging manchmal zweimal am Tag an den Briefkasten, doch außer Werbung und diversen Rechnungen lag nichts drin.
In der Zwischenzeit hatte er Hausmeister der hiesigen Vermietgesellschaft gewechselt und sie war ihm kürzlich begegnet: fescher Bursche, das mußte sie schon sagen! Doch wie an ihn herankommen?
Sie rief bei der Verwaltung an und bat, darum dass der Hausmeister käme, denn ihr Abfluß im bad funktioniere, trotz Abflußreininger, immer noch nicht richtig. Ja, hieß es, ob es wohl recht sei, wenn er noch kurz am Freitagvormittag vorbei käme. Sie bejahte hocherfreut.
Sie warf ihrem Spiegelbild im Bad noch einen letzten Blick zu: jawohl, so würde sie dem Hausmeister bestimmt gefallen! Die Haare frisch getönt und die Frisur mit Hilfe von Haarspary hoch aufgetürmt. Make-up,aber nicht zu knapp, dazu eine kurzen Rock, halb durchsichtige Bluse und Stöckelschuhe...
Es läutete, sie warf dem Spiegel noch einen letzten verführerischen Blick zu, dann öffnete sie.
Doch nicht der heiß ersehnte Hausmeister stand davor, sondern der Briefträger. Er händigte ihr gegen Unterschrift ein Einschreiben in einem beigen Umschlag aus. Sie schloß die Wohungstür und riß den Umschlag auf: die Klageschrift des Gerichts "Frank & Kollgegen; Schmidt gegen Ritterer". Es wurde ihr beinahe schwarz vor Augen, sie mußte sich zuerst einmal setzen. Dann schenkte sie sich zu nächst einen Cognac ein und griff zur Zigarettenschachtel - wieder läutete es.
Augenblicklich war die Angst vergessen, beschwingt öffnete sie die Tür. Doch davor stand ihr Nachbar. Für einen Moment hatte sie die vage Hoffnung, dass er ihr mitteilen würde, dass seine Frau die Klage zuletzt doch noch zurückgezogen hatte.
Doch dafür war sein Gesicht eine Spur zu ernst und mit kurzen Worten teilte er ihr mit, dass der Omnibus vor etwa fünf Minuten ihre Lieblingskatze aus Spanien überfahren hatte. Er bedauerte das hübsche Tier und meinte, dass es, Gott sei Dank, nicht leiden mußte, sondern sofort tot war. Dann drehte er sich grußlos um und ging.
Sie blieb zunächst wie erstarrt stehen, dann schloß sie die Tür und ging ins Bad. Sie wischte sich die Schminke aus dem Gesicht und zum Vorschein kam ihr eigenes Selbst. Es schaute unerbittlich aus dem Spiegel heraus, wortlos....zu spät, zu spät.
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