Mittwoch, 3. Februar 2016

Mein Lesetagebuch - Teil 3

Und schon damals galt: er liebe Gott sieht alles, die Nachbarschaft noch mehr.
Diese Affaire bleibt von den Kleinstadtbewohnern natürlich nicht unbemerkt. Der Klatsch, damals wie heute immer interessant, blüht und jeder weiß es, natürlich auch wie immer, etwas besser.
Xaver merkt zunächst nichts und kurze Verdachtsmomente schiebt er beiseite oder redet sie sich schön. Doch ein gewisses Mißtrauen bleibt und als er eines Nachts, er hat eigentlich Nachtdienst, nach seiner Frau Hanni sieht, findet er ein leeres, unbenutztes Bett vor. Anstatt jetzt dieser Sache nachzugehen, verschließt er selbst jetzt wieder die Augen.
Erst nachdem er auf einer Beerdigungsfeier, auf der Xaver dem Spott der Dorfbewohner ausgesetzt ist, wagt er halbherzig, seine Frau auf den Klatsch anzusprechen, er hat wohl auch noch das leere Bett im Hinterkopf. Hanni reagiert entrüstet: man könne sich bei dem Geschwätz gar nicht mehr sehen lassen, die Leute würden wohl nichts besseres zu tun haben, als sie zu beobachten und so gehe sie häufig in der Nacht oder am späten Abend spazieren. Sie macht ihrem Mann die heftigsten Vorwürfe, dass er sie nicht schützen würde. Xaver gibt wieder klein bei.
Aber es kommt noch besser: als Merkl erfährt, dass Dorfbewohner über ihn und Hanni geredet haben, verklagt er sie. Xaver tritt als Zeuge auf und schwört, unaufgefordert, unter Eid, dass er nie einen Verdacht geschöpft habe. Das ist natürlich gelogen, er hatte Verdachtsmomente und sah sogar im Nachtdienst nach Hanni, er macht sich also des Meineids schuldig.
Hanni, unter äußeren und inneren Druck geraten, macht sich bei Franz Merkl immer rarer und gibt schließlich, natürlich unter scheinheiligen Argumenten, das Verhältnis mit ihm schließlich auf. Innerlich leer, schließlich fehlt ihr der Kick, der Reiz des Verbotenen, wird sie mit Xaver nicht mehr glücklich, denn ihr fehlt die Einsicht in ihr Fehlverhalten. Man lebt eher nebeneinander her, wobei Hanni mit ihrem Verhalten auch noch quält.
Bei einem Friseurbesuch, Hanni will sich die langen Haare modisch kürzen lassen, sie schwankt zwischen Bubikopf und Greta-Garbo-Locken, erweckt der Friseur Schaffthaler durch sein charmantes Interesse, das freilich zuallererst seinem geschäftlichen Interesse dient, Hannis Neugier. Es kommt, wie es kommen muß: sie beginnt ein Verhältnis mit dem Friseur.
Obwohl sie es diesmal erheblich geschickter anstellt, bleibt die Affaire Franz Merkl nicht verborgen. Er bedrängt, nein, erpresst Hanni fast, das Verhältnis mir ihm fortzusetzen. Hanni, die an ihrem verflossenen Liebhaber keinerlei Interesse mehr zeigt, weist ihn kühl zurück. Doch als sich Franz weiterhin aufdringlich verhält, kündigt sie ihm mit sofortiger Wirkung den von ihr gewährten Kredit und verlangt die Rückzahlung. Franz, zunächst empört über Hannis Verhalten, läßt sie wissen, dass er den Kredit sofort zurückzahlen wird, da er über die finanziellen Mittel verfügt.
Doch Hannis Verhalten und seine gekränkte Seele schreien förmlich nach Rache. Als "Freund" Xavers berichtet er ihm über Hannis Affaire mit dem Friseur. Doch Xaver, in seinem unterwürfigen, ängstlichen Verhalten seiner Frau gegenüber nimmt das gleichgültig hin. Selbst als Hanni und ihr Liebhaber gemeinsam eine Woche verreisen, zieht er hier nicht die Bremse, wirft die Frau heraus oder zeigt sie und ihren Liebhaber wegen Ehebruchs an, sondern duldet dies in seiner typisch resignierten und unterwürfigen, ja beinahe hörigen Art seiner Frau gegenüber.
Merkl sieht rot: er zeigt Bolwieser wegen des geleisteten Meineids an. Es kommt natürlich zu einer Gerichtsverhandlung, in der Bolwieser den Meineid gesteht. Er wird zu Gefängnis verurteilt, aus seinem Beamtenverhältnis, mit Ansprüchen auf eine geringe Pension entlassen.
Bolwieser büßt seine Strafe ab, Franz Merkl verkauf seine Gastwirtschaft und zieht fort. Hanni hat, nach der Scheidung von Bolwieser, den Friseur geheiratet und nun geschiht ihr das gleiche, was sie mit Bolwieser getan hat: er betrügt sie nach strich und Faden und hält sie unter seinem Willen.
Als Bolwieser aus dem Gefängnis entlassen wird, kehrt er nicht in seine Heimatstadt zurück, sondern schließt sich einem Fährmann an und teilt mit diesem Arbeit und das geringe Brot. Als der Fährmann stirbt, übernimmt er seine Arbeit ganz und gilt in der ganzen Umgebung als gebrochener Mann, dem man allerdings zuletzt eine gewisse Achtung nicht versagt.
Mich hat dieser Roman beeindruckt, zeigt er doch auf schmunzelnd-liebenswerte Weise das soziale Netzwerk der Vorzeit auf. Was seinerzeit im Dorf, in der Kleinstadt, im Stadtviertel der Großstadt gang und gäbe war, hat sich heute in die virtuelle Welt verlagert.
Xaver Bolwieser, ein Mann, der unter dem Pantöffelchen seiner Holden steht, aber gleichzeitig den Frozzeleien seiner Stammtischbrüder ausgesetzt ist, mächtig stolz auf seine Frau und seinen Beruf ist, eine typische Figur des städtischen Kleinbürgers und zeitlos zugleich.
Und unter dieser glatten Oberfläche brodelt das pralle Sinnvergnügen, schon auf den ersten Seiten findet sich dieses Motiv, in der Gerichtsverhandlung, bei der Bolwieser nur Zuhörer ist. Er selbst gibt sich selbst dem Sinnvergnügen mit seiner Frau hin, die freilich sucht es zuerst mit dem Gastwirt Merkl, dann mit dem Friseur Schaffthaler.
Ja, im Grunde ändert sich nichts!
Graf erzählt diese zeitlose Geschichte vor dem Hintergrund des ihm vertrauten Milieus und man muß schmunzeln, wie treffsicher er ist. Mehr noch: mitunter driftet die Erzählung in Richtung Theater, ins tragisch-komische.

Nebenbei bemerkt: für mich waren die Romane "Der harte Handel", "Bolwieser" und "Anton Sittinger" ein echter Lesegewinn.
Nicht nur was die Erzählweise angeht, eben unnachahmlich Graf, sondern auch der geschichtliche Hintergrund, der diese Zeit wie ein buntes Gemälde malt und so lebendig vor dem inneren Auge entstehen läßt.
Ich werde die Romane für meine Sachgeschichte "Der Fall Hinterkaifeck" nutzen, um anhand der Erzählungen, sich in geschichtliche Zusammenhänge einzudenken ist mitunter eben etwas schwierig, aufzuzeigen, wie damals die Demokratie, die im Grund ständig in Gefahr war, funktioniert hat, wie die Menschen dachten und sich verhielten, wie Entwicklungen aus diesem Zusammenspiel verliefen.

Mein Lesetagebuch - Teil 2

Mit "Bolwieser - Roman eines Ehemanns" bin ich jetzt auch durch.
Der Roman ist nicht im bäuerlichen Raum, sondern diesmal im Mief des kleinstädtischen Millieus angesiedelt. Jeder kennt jeden, jeder weiß etwas, man steht quasi unter unterschwelliger ständiger Beobachtung. 
Nebenbei bemerkt: ist es heute im Grunde heute noch genauso? Dieser Mief hat sich nicht wirklich verabschiedet, nur verlagert....
In diesem Umfeld lebt nun Xaver Bolwieser. Er ist Bahnhofsvorstand, ein respektabler Mann in einer respektablen Position. In der Kleinstadt gehört er zu den gewichtigen Persönlichkeiten. Seine Frau ist eine appetitliche Person, hübsch, und als Tochter eines Brauereibesitzers eine gute Partie.
Aber der gute Xaver lebt auch sozusagen unter dem Pantöffelchen und versucht es seiner Frau Hanni Recht zu machen, wo immer es geht. Wirtshausbesuche, um mit seinen Freunden Karten zu spielen, zu rauchen und auch mal über den Durst zu trinken, unterläßt er ihr zuliebe. Hintenherum wird natürlich getuschelt, getratscht und gelacht, aber wie es eben so ist, offen sagt keiner etwas zu Bolwieser, sondern begegnet ihm mit scheinbarem Respekt und Höflichkeit.
Hanni langweilt sich jedoch zunehmend in ihrem Leben als Hausfrau. Es ist eintönig, da die Beiden auch keine Kinder haben. Zuerst wollte sie kein Kind, die Szene in der Hochzeitsnacht ist köstlich beschrieben, dann wollen sie noch warten und schließlich wollen Beide keine Kinder mehr. Der Vater Hannis versteht das nicht. Er fragt bei einem Besuch nach, er fährt öfters über Land, um schlecht gehende Gasthäuser aufzukaufen, sie in Schwung bringen zu lassen und dann mit Gewinn zu verkaufen, warum sie dann so sparsam seien, man müßte doch wissen wofür, eben für Kinder täte man das normalerweise. Xaver argumentiert, dass man es auch zu zweit schön haben könne.
Und wie gesagt, der Besuch von Hannis Vater hat einen Grund: die Gastwirtschaft "Torbräu" lauft schlecht und das hat auch seinen Grund. Der Wirt ist unfreundlich, das Personal schlecht und das Essen, auf das man zu lange warten muß, schauderhaft. Kurzum, nichts stimmt und dem alten Neidhard, eben Hannis Vater, gelingt es, den Torbräu günstig zu erwerben.
Und er hat schon einen Plan: nach einer gründlichen Renovierung wird er Franz Merkl als Pächter auf die Wirtschaft setzen. Franz Merkl ist ein tüchtiger Pächter und Metzger obendrein, versteht also etwas von Fleisch, Essen und einem gewissen Maß an Schläue, um die Gastwirtschaft in Schwung zu bringen.
Als Hanni von ihrem Vater hört, dass der Merkl die Wirtschaft übernehmen soll, freut sie sich, denn der Merkl ist ein alter Schulfreund von ihr, den sie lange nicht gesehen hat.
Und wirklich: kaum ist die Wirtschaft renoviert, kommt Franz, um sie richtig in Schwung zu bringen. Neben schmackhaftem Essen, süffigem Bier und gutem Personal, bietet er auch Tanzveranstaltungen an, selbst die Kartler finden ihren Platz. Und auch der Franz ist ein fescher Mann, dem die Frauen gerne nachsehen und das beste ist, er ist frei, ledig, noch zu haben. Das ist, natürlich, ein zusätzlicher Magnet.
Hanni geht mit Xaver einmal zu einer dieser Tanzveranstaltungen. Sie tanzt gerne, aber Xaver kann leider nicht tanzen, aber er gönnt seiner Frau das harmlose Vergnügen, bei dem er auch gerne zusieht. Hanni tanz sehr viel mit Franz, der offensichtlich ein guter Tänzer ist, doch in Hannis Bauch tanzen die Schmetterlinge...
Auch Hanni läßt den Franz nicht kalt, hat er doch nicht nur seine Schulfreundin, sondern auch seine Jugendliebe wiedergefunden. Hanni wehrt sich zunächst gegen ihre Gefühle, überlegt aber gleichzeitig, wie sie den Franz immer wieder besuchen kann, ohne dass es auffällt. Sie kommt auf die Idee, ihren Mann öfters in die Wirtschaft zu schicken. Dort verkehren auch seine Freunde, mit denen er früher öfters Karten gespielt hat und mit denen er sich gelegentlich auf ein Bier getroffen hat. Sie stellt es sehr geschickt an: sie redet Xaver ein, dass die Leute womöglich darüber tratschen würden, dass er nie mehr am Stammtisch erscheine. Das würde doch den Anschein erwecken, er dürfe das nicht. Xaver beißt prompt an und ist am Stammtisch herzlich willkommen. Auch zu den Tanzveranstaltungen gehen Xaver und Hanni regelmäßig und zwischen den Bolwiesers und dem Merkl scheint sich eine Freundschaft zu entwickeln. Hanni bezieht von Franz in der Zwischenzeit auch Fleisch und so scheint es zunächst gar nicht aufzufallen, dass sie immer wieder den Franz im "Torbräu" aufsucht. Das Gasthaus läuft im Laufe eines Jahres so gut an, dass sie der Franz kaufen möchte. Hanni leiht dem Franz aus ihrer Erbschaft das dazu nötige Geld und bindet ihn dadurch an sich. Das ist ihr nur recht, denn schon längst hat sich zwischen den Beiden eine heftige Liebesaffaire entwickelt.