Samstag, 26. September 2015

Graf, Oskar Maria - Einer gegen Alle

Der Autor

Oskar Maria Graf wurde 1894 als siebtes von acht Kindern einer Bauerntochter und eines Bäckers in Berg am Starnberger See geboren. Mit siebzehn lief er von zuhause fort, schlug sich in München als Gelegenheitsarbeiter durch und fand Anschluss an die Schwabinger Bohèmekreise. 1918/19 erlebte er die Münchner Revolution und Räterepublik. In den Zwanziger Jahren gelang ihm mit seinem Bekenntnisbuch »Wir sind Gefangene« der literarische Durchbruch. 1933 emigrierte er nach Wien, wo er seinen berühmten Protest »Verbrennt mich! Gegen Nazi-Deutschland veröffentlichte. Ab 1934 lebte Graf im tschechischen Brünn und ab 1938 in New York, wo er 1967 starb. Seine Urne wurde ein Jahr später überführt und auf dem alten Bogenhausener Friedhof beigesetzt.

Das Buch

Das Datum zu Beginn des Romans bezeichnet den Stichtag für die Niederlage der Arbeiterbewwegung: am 1. Mai 1919 brach in München die Räterepublik unter dem Ansturm der "Weißen", einer Verbindung von regulären Truppen und reaktionären Freikorps-Trupps, auseinander - die Hoffnung auf eine revolutionäre Umgestaltung in Süddeutschland war damit verflogen.
Der heimatlose Vagabund, eigentlich heißt er Georg Löffler, der als Untergangsheld im Verlauf des Romans durch deutsche Provinzen irrt, hat sich von politischen Utopien längst verabschiedet.
Er wird eingereiht in das Heer der Namenslosen, Entwurzelten, die, entgegen der romantischen Vorstellung vom lustigen Tippelbruder und Wanderburschen, ausgestoßen sind. Tagelanger Hunger, demütige Bettelei, schäbige Obdachlosenasyle wechseln sich ab. Heiße Sonne, wochenlanger Regen, harte Kälte, Läuse, Krätze, grenzenloses Ausgeliefertsein - dort ein Stoß, ein Tritt, unerkanntes Verrecken - was macht das schon aus! Menschen sind billig und einer ist nichts, alle nicht viel mehr.
Jeder ist für sich, der schmierige Hausierer, verkrachte Existenzen, Tippelschicksen, jeder nützt mitleidslos seine eigene List gegen den anderen aus und gemeinsam haben sie einen Feind: die Behörde, den Gendarm.
Und einer befindet sich unter ihnen: Georg Löffler, ein Bauernsohn aus dem Innviertel, vom Grauen des Krieges geprägt, amtlich als vermißt gemeldet, aber heimlich desertiert.
Er findet sich in diesen unsicheren Friedenszeiten nicht zurecht und wiederholt, einer gegen alle, den Krieg für sich allein.
Er streunt durch Oberbayern, wechselt Kleider, Pässe, Namen. In München verspricht er einer Hure eine goldene Zukunft, bestiehlt sie aber und fährt mit dem Zug in Richtung Vogtland und Sachsen. Hier zettelt der legendäre Arbeiterführer Max Hölz proletarische Aufstände gegen die sich wieder formierende bürgerliche Gesellschaft an.
Löffler wirft zwei kontrollierende Polizisten aus dem Zug, einer davon kommt unter die Räder und stirbt. Er taucht unerkannt unter, raubt stiehlt und tötet wieder, er scheint wie im Rausch zu sein, wie wieder im Krieg.
Und doch kehrt er nach München zurück, zu der Prostituierte, die er verlassen hat. Er läßt sie Geld ausgeben: für Kleidung, für Schuhe, natürlich auch für sich und das fällt in dieser Zeit auf, in einer Zeit, in der beinahe jeder verarmt ist.. Seine Untaten werden sehr schnell bekannt und er flieht wieder.
In der Nähe seines Heimatdorfes verdingt er sich als Knecht und nun kommt das unerwartete Ende. Sein Bruder erkennt ihn und da er um seinen Hof fürchtet, Georg wäre der ältere Bruder, also der Erbe, denunziert er ihn, schließlich hat er auch Frau und Kinder.
Während oberbayrische Heimwehrkommandos mithelfen, den letzten aufflackernden Widerstand von Arbeitern zu brechen, wird Georg Löffler verhaftet. Doch auch hier leistet er och einmal Widerstand: er bekennt sich nicht zu seinem Namen, beharrt auf seiner Anonymität. Zuletzt wählt er den Freitod.

Meine Meinung

Ein Buch das schier atemlos macht und eine hervorragende Ergänzung zu jedem Geschichtsbuch darstellt, das sich mit dieser geschichtlichen Periode beschäftigt.
Plötzlich wird sie lebendig, diese friedlose Friedenszeit! Man kann sich in die Menschen einfühlen, die sich nach Ordnung sehen. Man versteht den Kriegsheimkehrer, dem man die Zukunft zerschossen hat. Den Vertriebenen, der sich nach der Heimat sehnt. 
Man ist mit den Namenslosen unterwegs, die gegen ein geringes Entgeld, oft ohne Sozialversicherung, Arbeit als Knecht, Magd, Erntehelfer oder Akkordmäher suchen.
Man ist mit den Hamsterern auf den Landstraßen unterwegs, in der Tasche die letzten wertvollen Dinge, um sie gegen Lebensmittel bei den Bauern einzutauschen.
Die Bauern greifen natürlich zu, zurückbehaltene Gold- und Silbermünzen wechseln die Besitzer, auch Schmuck, teure Kleidung - nur nichts aus Papier, wie etwa Aktien, das ist wertlos, nicht durch sich selbst gedeckt!
Man kann sich in die Angst der Bevölkerung hineinversetzen, denn Unordnung ist an der Tagesordnung, der Kapp-Putsch in Berlin kommt noch dazu. Außerdem die Angst vor den Kommunisten, Flüchtlinge aus Russland, in dem jetzt die Kommunisten regieren, haben Schreckliches berichtet!
Auf dem Land haben sich Heimwehrkommandos gebildet, Waffen werden auf Höfen versteckt - die Bauern fürchten ebenfalls um ihren Besitz!

Wer sich für die Weimarer Zeit interessiert und ein Geschichtsbuch zu trocken ist, sollte dieses Buch unbedingt lesen. Farbig schildert Graf einen Abschnitt aus dieser Zeit, er hat die Menschen gut beobachtet und eine ungewöhlich radikale Geschichte daraus geformt.
Absolut empfehlenswert!